Die Coronapandemie sorgt auch 2022 für Verunsicherung. Der Erreger wird von Touristikerinnen und Touristikern weiterhin viel Flexibilität und spontanes Handeln verlangen. Zudem werden diese fünf Themen in der Branche zu reden geben.

1. Die Rückkehr der Fernmärkte

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Es war eine der erfreulichen Überraschungen des zurückliegenden Jahres: die kräftige Erholung einiger Fernmärkte. So haben etwa Gäste aus den Golfstaaten im September 2021 häufiger in Schweizer Hotels übernachtet als im September 2019. Auch aus Nordamerika und Indien hat die Nachfrage nach Reisen in die Schweiz im Verlauf des Jahres spürbar angezogen. Und das, obwohl Anfang Jahr die besorgniserregende Delta-Variante begonnen hat, sich in Europa breitzumachen.

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Andere wichtige Fernmärkte wie China, Korea, Japan und Taiwan liegen derweil nach wie vor am Boden. Gerade aus China erhoffen sich Touristiker jedoch nach dem Abschluss der Olympischen Winterspiele in Peking Ende Februar erste Signale für aufkeimende Reiselust.

Obwohl mit der Covid-19-Variante Omikron eine neue Unbekannte in der Gleichung ist, gibt es Hinweise dafür, dass 2022 die Fernmärkte eine noch grössere Rolle spielen werden als im Jahr davor: Eine Auswertung der globalen Google-Anfragen etwa zeigt, dass in den letzten Monaten im asiatischen Raum öfter nach internationalen Reisen gesucht wurde als sonst wo auf der Welt. Zudem wurde in vielen wichtigen Quellmärkten wie den USA, Korea und Indien zuletzt häufiger nach Schweiz-Ferien gesucht als im gleichen Zeitraum 2021.

Und was noch wichtiger ist für ein gutes Tourismusjahr in der Schweiz: Auch in Märkten wie Deutschland, Frankreich, Italien und Grossbritannien suchten die Leute insgesamt häufiger nach Schweiz-Ferien als noch zum Jahreswechsel 20/21.

2. Nachhaltigkeit: Vom «Nice to have» zum «Must»

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Das Konzept der Nachhaltigkeit ist zwar nicht neu, hatte aber zuletzt massiv Rückenwind. Es ist kein Zufall, dass Schweiz Tourismus letztes Jahr die Swisstainable-Kampagne und der Guide Michelin den grünen Stern lanciert hat. Bezeichnend auch, dass der Bundesrat im Herbst die Nachhaltigkeit als neue Zielvorgabe in seine Tourismusstrategie aufnahm.

Zahlreiche Umfragen zeigen, dass die Pandemie dem Kundenbewusstsein für Nachhaltigkeit Schub verliehen hat. Erste Grossfirmen, so ist aus der Hotellerie zu hören, haben damit begonnen, von den Beherbergungsbetrieben Nachweise für deren Nachhaltigkeit zu verlangen.

Interessant ist auch die Statistik zu den Bioumsätzen von Bio Suisse: Nicht nur wurden in der Schweiz 2020 so viele Bioprodukte verkauft wie noch nie. Auch das Wachstum gegenüber dem Vorjahr war mit 19 Prozent das mit Abstand grösste der letzten 15 Jahre – und das trotz Wirtschaftskrise.

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Gleichzeitig baut der Tourismus in der Schweiz auf intakte natürliche Ressourcen. Schmelzende Gletscher und magere Schneefälle sind nur zwei Beispiele dafür, wie die Klimakrise die Branche vor Herausforderungen stellt.

Der Tourismus ist von der Nachhaltigkeitsdebatte in vielen Bereichen betroffen – von der Anreise über energetische Sanierungen bis hin zu Food-Waste. Sich mit diesen Themen zu befassen und Antworten zu finden, wird immer mehr zum Must-have, das die Kunden einfordern.

3. Die Schweiz und Europa: Vieles ist offen

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Vor wenigen Wochen, nur Tage vor Weihnachten, kam auf einmal Bewegung in die Europafrage. Die SP präsentierte ihre Vorstellung, wie die Beziehung zur EU in Zukunft gestaltet werden soll. Auch FDP und Mitte arbeiten an eigenen Vorschlägen, wie die SRF-Sendung «Echo der Zeit» berichtete. Dies, nachdem seit dem Scheitern der Verhandlungen zum Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU monatelang Stillstand herrschte.

Für den Tourismus ist das Europadossier von zentraler Bedeutung: Für die Branche geht es zum Beispiel um ausländische Fachkräfte, barrierefreies Einreisen und günstige Importpreise.

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Es überrascht nicht, dass sich der Tourismus letztes Jahr klar zu einem Rahmenabkommen bekannt hat. Eine breite Front an touristischen Interessenvertretern – von HotellerieSuisse über den Schweizer Tourismus-Verband bis zu Seilbahnen Schweiz – hat damals vor sich abkühlenden bilateralen Beziehungen gewarnt. Und selbst auf der Gegenseite, in Baden-Württemberg, sah sich der Tourismus durch das Scheitern des Rahmenabkommens bedroht, wie die «Badische Zeitung» im Oktober berichtete.

Eine Neugestaltung der Beziehungen zu Europa sei unumgänglich, halten HotellerieSuisse und Parahotellerie Schweiz in ihrer Broschüre «Politische Schlüsselthemen 2022» fest und warnen: «Die bilateralen Verträge müssen mit den Entwicklungen am europäischen Binnenmarkt Schritt halten und sich weiterentwickeln. Tun sie dies nicht, verlieren die Verträge an Relevanz.»

4. Der Fachkräftemangel verschärft sich

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Momentan vergeht kaum ein Gespräch mit einer Hotelière oder einem Gastronomen, ohne dass der Fachkräftemangel zur Sprache kommt. Man hört von Gastgebern, die wieder selber zum Kochlöffel greifen, und von Wirtinnen, die Teile des Restaurants schliessen, weil das Personal für den Vollbetrieb fehlt.

Lohneinbussen wegen Kurzarbeit und Unsicherheit über die nahe Zukunft der Branche haben zur Folge, dass Fachkräfte dem Gastgewerbe den Rücken gekehrt haben. Und einiges deutet darauf hin, dass es zuerst schlechter wird, bevor es besser wird.

Corona sorgt weiter für Unsicherheit. Niemand weiss mit Sicherheit, ob es nicht doch noch zu strengeren Auflagen oder sogar einer weiteren Zwangsschliessung für die Gastronomie kommen wird. Gleichzeitig rechnen etwa die Autorinnen und Autoren des Fachkräftemangel-Index von Adecco Schweiz und des Stellenmarkt-Monitors Schweiz der Universität Zürich damit, dass «2022 die globale Konjunktur an Fahrt gewinnen und sich die pandemische Lage weiter normalisieren» und deshalb der Fachkräftebedarf zunehmen wird.

Kommt hinzu, dass es auch bei der Ausbildung hapert: Gemäss Bildungsmarktdaten von HotellerieSuisse wurden im Gastgewerbe seit 2010 nie so wenige neue Lehrverträge unterzeichnet wie im Pandemiejahr 2020.

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Immerhin: Die Branche scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Derzeit erreichen uns praktisch wöchentlich neue Initiativen, neue Arbeitsmodelle oder neue Anreize, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken sollen. Die htr hotel revue wird dieses Jahr in einer Serie einige dieser Lösungsansätze vorstellen.

5. Ein Schritt Richtung Digitalisierung

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Wenn nicht jetzt, wann dann, fragt man sich, wenn es um die Digitalisierung im Tourismus geht. Die Zeit scheint prädestiniert für einen grossen Schritt in eine digitale Zukunft. Die Pandemie hat digitalen Angeboten Vorschub geleistet: Wir zoomen, skypen oder teamsen heute wie selbstverständlich. Und laut Onlinehändlerbefragung 2021 der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat der E-Commerce seit Beginn der Corona-Krise so stark zugelegt wie sonst in fünf Jahren. Gleichzeitig hat der Tourismus Nachholbedarf. In Digitalisierungsindizes ist er in der Regel auf den hinteren Rängen anzutreffen.

Ob die Branche die Pandemie genutzt hat, um in Sachen Digitalisierung vorwärtszukommen, wird je nach Quelle anders beurteilt: Während HotellerieSuisse letzten Frühling eine Medienmitteilung mit dem Titel «Schweizer Hotels nutzen Krise für Digitalisierungsschub» verschickt hat, bewertet der vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Auftrag gegebene Progress Report «Digitalisierung im Schweizer Tourismus» die Fortschritte kritischer. Im Jahr 2020 seien etliche touristische Digitalisierungsprojekte aufgrund anderer Prioritäten ins Stocken geraten.

«Während des Scouting-Prozesses konnten wir noch keine Pandemie-induzierten strategischen Digitalisierungsprozesse identifizieren», schreiben die Autorinnen und Autoren. Wahrscheinlich sei die Reaktionszeit zu kurz gewesen. Gut möglich, dass die Pandemie ihre Wirkung als Digitalisierungskatalysator erst jetzt entfaltet. Dafür spricht etwa, dass die Bundesbeiträge bei Innotour-Projekten von 50 auf 70 Prozent erhöht werden sollen, was weitere Anreize für (digitale) Innovation schafft.

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