Peter Durrer, was wurde Reisenden in den Anfangszeiten des Tourismus im alpinen Raum auf dem Teller serviert?

Es waren einfache, lokale und saisonale Gerichte. Viel Eintopf, Eingemachtes oder Dörrfrüchte.

Fleisch war ein Luxus?

Damals schon. Doch nach den Weltkriegen wurde es auf dem Menüplan zur Hauptspeise. Fleisch mit irgendeiner Beilage, damit sind wir aufgewachsen. Nun verschieben sich in unserer Gesellschaft die Gewichte, und Fleisch wird immer öfter selbst zur Beilage. Begehrt sind dagegen Gemüse oder Getreide, und hier ist die Artenvielfalt beachtlich, etwa bei der Kartoffel. All das muss nur wiederentdeckt werden.

In der Innerschweiz verwurzelter Gastgeber und Ausbildner
 Peter Durrer, Nidwaldner Hotelier und soeben zum Projektleiter «Eröffnung» des «Culinarium Alpinum» ernannt, war zuvor unter anderem während fast elf Jahren Vizedirektor/Leiter Ausbildung an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern und von 2010 bis 2018 Gastgeber im Luxushotel Villa Honegg, Ennetbürgen.

Das kulinarische Erbe der Alpen soll mit einem Kompetenzzentrum für alpine regionale Kulinarik eine Heimat erhalten. Es nennt sich «Culinarium Alpinum» und wird im Herbst dieses Jahres im ehemaligen Kapuzinerkloster in Stans eröffnet. Wird es eine Art Heimatmuseum?

Ganz und gar nicht. Uns geht es nicht um Folklore, sondern darum, das Bewusstsein für diesen Reichtum zu stärken – in der Landwirtschaft, dem lebensmittelverarbeitenden Gewerbe, dem Handel, der Gastronomie und bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Wir wollen fast Vergessenes wiederentdecken, lustvoll miteinander kombinieren und neue Kreationen entwickeln. Ich selbst war mir ja lange nicht bewusst, wie viele Beerenarten oder Getreidesorten existieren.

Damit Dinkel auch wieder angebaut wird, muss jedoch erst eine Nachfrage geschaffen werden.

Das gehört ebenso zu unseren Zielsetzungen wie der Wissenstransfer, Weiterbildungsangebote und professionelle Beratung. Das Bedürfnis nach regionalen und saisonalen Produkten ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Aber verglichen mit den Möglichkeiten, ist das heutige Angebot noch immer bescheiden.

Denken Sie dabei auch an das Angebot beim Hotel-Frühstück?

Wir haben uns unter anderem zum Ziel gesetzt, Hoteliers für ein neues Schweizer Hotel-Frühstück zu begeistern. Wir befinden uns hier in Stans in einer Butter-Region. Warum lässt man die Gäste nicht aus fünf verschiedenen Buttersorten aus der nahen Umgebung auswählen? Oder warum macht man Cornflakes nicht selbst?

Ich kenne einige Hotels mit reichhaltigen regionalen Frühstücksbuffets. Aber nicht immer werden die angebotenen Produkte dem Gast auch erklärt.

Dabei ist die Kommunikation eines solchen Konzeptes genauso wichtig wie die angebotenen Produkte. Der Gast will heute wissen, was er isst. Darum denken wir darüber nach, eine Speisekarte 3.0 zu entwickeln, die diesem Bedürfnis nach Information und Transparenz maximal gerecht wird.

Das Projekt
Mit dem Kompetenzzentrum «Culinarium Alpinum» erhält das kulinarische Erbe der Alpen eine Heimat. Im ehemaligen Kapuzinerkloster Stans, das derzeit umgebaut wird, steht ab Herbst 2020 ein breites Angebot an Kursen, Seminaren, Produkten und Rezepten bereit. Eine Website wird demnächst aufgeschaltet.

Sie stiessen erst vor wenigen Tagen als Projektleiter «Eröffnung» zum Projektteam der Stiftung «Culinarium Alpinum». Was genau ist die neue Rolle des Hoteliers Peter Durrer?

Meine Aufgabe ist es, das Unternehmen operativ zum Leben zu erwecken. Träger ist eine Stiftung, die bis heute eine Stiftungsurkunde hat, eine Mehrwertsteuer-Nummer und ein Konzept oder eher eine Vision auf ziemlich hoher Flugebene. Das gilt es nun auf den Boden oder besser auf den Teller zu bringen. Derzeit verfüge ich noch nicht einmal über einen Computer oder einen Drucker.

Ein Hotel soll auch noch entstehen im umgebauten Kapuzinerkloster.

Ein klassisches Hotel wird es wohl nicht. Geplant sind vierzehn Zimmer, die wir in der Tradition des Klosters bewusst einfach ausstatten wollen. So verzichten wir zum Beispiel auf Fernseher.

Und dann ist Eröffnung – und der Projektleiter «Eröffnung» tritt wieder ab?

Ich finde die Idee so spannend, dass ich mir vorstellen könnte, die zentrale Stelle des Gastronomen zu übernehmen und damit auch die Verantwortung für die Finanzierung des Betriebs. Die Stiftung selbst ist nicht gewinnorientiert, die Gastronomie dagegen ein eigenständiges, gewinnorientiertes Unternehmen.

Das heisst, Sie bleiben womöglich länger als bis zum Herbst.

Das ist gut möglich.

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Hoteliers für ein neues Schweizer Hotel-Frühstück zu begeistern.

Peter Durrer

Sie waren zuvor schon einmal als «Eröffnungs-Manager» engagiert – im Luzerner Hotel Palace. Daraus wurde nichts, weil sich der chinesische Besitzer Gao mitten in der Umbauphase für die Mandarin Oriental Hotel Group als Betreiberin entschied. Wie blicken Sie auf diese schwierige Zeit zurück?

Ich tue das ohne Groll. Dass Besitzer ihre Pläne ändern, das kommt vor.

Aber Sie hatten doch so viele Pläne mit dem neuen «Palace». Es muss eine grosse Enttäuschung gewesen sein.

Enttäuscht war ich schon. Ich hatte die Chance, ein Hotel aufzubauen und zu repositionieren, und das war ein starker Antrieb. Ich brauche Herausforderungen, neue Perspektiven, eine Sinnhaftigkeit in meinem Tun. Nun bietet sich mir mit dem «Culinarium Alpinum» eine neue Chance.

Man hört es immer wieder: Mit Chinesen verhandeln ist schwierig. Wie haben Sie das erlebt?

Die Erkenntnis ist nicht neu, aber ich war stark mit der Tatsache konfrontiert, dass Chinesen die notwendigen Verhandlungen erst nach der Vertragsunterzeichnung führen. Das heisst, sie verhandeln den Vertrag. Das ist für unser Geschäftsverständnis schwer verständlich.

Verständlich, nachvollziehbar, authentisch: So wollen wir im ‹Culinarium Alpinum› Wirkung erzielen.

Peter Durrer

Hatten Sie je Heimweh nach der «Villa Honegg», die Sie 2010 eröffneten und erfolgreich als Luxushotel positionierten?

Nein. Nach acht Jahren verspürte ich das Bedürfnis, aus der Routine auszubrechen. Also fragte ich mich: Wie liesse sich das Haus weiterentwickeln? Nun, die Logiernächtezahlen waren so gut, dass sie sich kaum noch steigern liessen, und der Besitzer hatte nicht die Absicht, irgendwas zu verändern. Also war ich offen für eine neue Herausforderung, aus familiären Gründen wenn möglich in der Innerschweiz. So gesehen war der Wechsel zum Luzerner «Palace» ein logischer Schritt.

Auf den Instagram-Hype um die brasilianische Influencerin, die in den Honegg-Pool stieg, werden Sie bestimmt noch angesprochen. Sie wurden fast schon zu einem Spezialisten für Marketing in Social Media.

Stimmt. Dabei waren wir anfangs recht naiv. Wir spürten zwar, dass wir auf Social Media etwas machen sollten, hatten aber nicht das Geld für Kampagnen, wie sie uns angeboten wurden. Also begannen wir selbst, learning by doing. Vor vier, fünf Jahren hat sich ja noch jede und jeder selbst fotografiert – das Internet lebte von der Authentizität. Heute sind es bezahlte Werbekampagnen.

Sie haben Influencer nicht bezahlt?

Nie. Wir offerierten nur Leistungen wie Übernachtung und Essen.

Aber die Girls standen Schlange vor dem Pool.

Und erweckten mit ihren Bildern mehr und mehr den Eindruck, bei der «Villa Honegg» handle es sich um eine sehr weibliche Wellness- und Beauty-Oase. Ich versuchte dann Gegensteuer zu geben, indem ich männliche Influencer bevorzugte.

In welcher Kulisse werden Influencer im «Culinarium Alpinum» posieren?

Wir werden sehen. Voraussetzung ist, dass wir selbst genau wissen, was unsere Kernbotschaften sind.

Es ist so viel in Bewegung, die Technologien verändern sich rasant. Hat es auch etwas Beruhigendes, sich mit altem kulinarischem Erbe und altem Wissen zu beschäftigen?

Beruhigend ist es für mich, weil ich mich in der Materie sicher fühle. Viele Leute denken, weil ich Hotelier sei, müsse ich vom Wein eine Menge verstehen. Das ist aber nicht der Fall, auch weil es mich zu wenig interessiert. Beim kulinarischen Erbe dagegen fühle ich mich wie zu Hause. Gerade im Gastrobereich müssen Konzepte einfach sein, damit man sie auch gradlinig umsetzen kann. Verständlich, nachvollziehbar, authentisch: So wollen wir hier Wirkung erzielen.

Und welches ist Ihre komplexeste Herausforderung?

Das ist die Finanzierung dieses Projekts.