Luzern befindet sich zurzeit im Winterschlaf – zumindest Teile der Hotellerie. Aus Mangel an Buchungen hat etwa das Art Deco Hotel Montana seine Tore per 3. Januar bis mindestens Mitte Februar verriegelt. Keine einfache Situation, auch für die Mitarbeitenden nicht. Insbesondere für Lernende, die durch die Corona-Pandemie blockiert sind. Nachdem das Hotel bereits im Frühling 2020 beim nationalen Lockdown acht Wochen geschlossen hatte, sah sich die Hoteldirektorin nun zu Massnahmen gezwungen. «Wir haben vor Weihnachten befreundete Betriebe angefragt, ob sie für die Zeit der erneuten Schliessung Lernende von uns aufnehmen können», sagt die Hoteldirektorin Miriam Böger.

Einerseits ins kalte Wasser geworfen, andererseits gut betreut
Eine positive Antwort kam unter anderem vom 5-Sterne-Hotel Lenkerhof im Berner Oberland. Fasziniert vom internationalen Renommee des Betriebs, entschieden sich gleich drei Lernende für einen sechswöchigen «Arbeitsausflug» an der Lenk und haben dort am 4. Januar begonnen. Miriam Böger ist zuversichtlich, dass sich das Projekt für alle Beteiligten lohnen wird. Den «Lenkerhof»-Direktor Jan Stiller kennt Böger schon länger und hat darum auch diesmal ein gutes Gefühl. «Wir hatten schon vor Corona gemeinsam überlegt, ob man in der Wintersaison Mitarbeitende zwischen der Stadt und den Bergen ‹austauschen› könnte.» Für den «Lenkerhof» kamen die Lernenden wie gerufen. Nicht nur sei man generell offen für solche «Kulturaustauschprogramme», die immer frischen Wind in den Betrieb brächten, sagt Jan Stiller. «Wir hatten über die Festtage und den Jahreswechsel mit einem ausgebuchten Hotel auch alle Hände voll zu tun und konnten Unterstützung brauchen.» Daher hatten zuvor bereits vom 20. Dezember bis zum 2. Januar vier Lernende aus dem Park Hotel Winterthur einen zweiwöchigen «Stage» im «Lenkerhof» absolviert.

Für die jungen Zürcher Gäste war die Vorlaufzeit sehr kurz. Der nationale «Beizen-Lockdown», der das Park Hotel Winterthur in Zugzwang brachte, wurde bekanntlich erst Mitte Dezember verkündet. «Wir haben die vier ein Stück weit einfach ins kalte Wasser geworfen», räumt Jan Stiller ein. Gleichzeitig seien sie ab dem ersten Tag von Ausbildnern und Fachkräften begleitet worden. Es könne durchaus vorkommen, dass ein «Gast-Lernender» in einer «fremden» Abteilung eingesetzt werde, so Stiller. Dies jedoch stets in Abstimmung mit dem Ausbildungsplan. «Zurzeit beschäftigen wir einen angehenden Hotelkommunikationsfachmann aus dem Art Deco Hotel, der bei uns in der Hauswirtschaft arbeitet, diesen Part dafür ‹zu Hause› nicht mehr nachholen muss.»

Erfahrungs- und Mehrwerte für die Ausbildung
Die vier Winterthurer Lernenden sind inzwischen wieder ins Unterland zurückgekehrt. Philipp Albrecht, Direktor des Park Hotel Winterthur, zieht ein positives Fazit. Es habe ihm sehr gefallen, wie unbürokratisch, unkompliziert und motiviert die zweiwöchige Aktion auch vonseiten der Lernenden angepackt worden sei. Vor allem sei es aufgrund der Corona-Massnahme ja darum gegangen, «Manpower» zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort einzusetzen. Zudem habe den vier Lernenden das Gastspiel im «Lenkerhof» neue Erfahrungs- und Mehrwerte für die Ausbildung gebracht. «Wir konnten mit dieser Tauschaktion also gleich zwei Ziele erreichen.»


«Ich fühlte mich willkommen und aufgehoben»

Selina Marty (16), angehende Restaurantfachfrau EFZ, 2. Lehrjahr, Park Hotel Winterthur

«Mitte Dezember kam der Restaurantleiter des Park Hotel auf mich zu und fragte, ob ich mit drei anderen Lernenden aus unserem Betrieb für zwei Wochen in den Lenkerhof gehen wolle. Ich sagte spontan zu und dachte mir, dass sich eine solche Gelegenheit nicht alle Tage bietet. Da kamen wir also nach der langen Zugreise zu viert und in Trainerhosen gekleidet vor Ort an und waren etwas ‹baff›. Schon beim Betreten der Lobby spürt man im «Lenkerhof» dieses Flair von Qualität und Erstklassigkeit, was mich beeindruckte. Ich war auch etwas nervös beim Gedanken, dass hier wohl sehr viel laufen und eine rege Betriebsamkeit herrschen würde, an die man sich als Teammitglied zuerst gewöhnen muss. Sehr hilfreich war der herzliche Empfang vor Ort. Wir wurden auf unser Zimmer gebracht und danach im ganzen Hotel herumgeführt. Das gab mir rasch Sicherheit, ich fühlte mich willkommen und aufgehoben. Die Arbeit im grossen Restaurant machte mir viel Spass. Es war sehr gediegen, wir servierten teils mit Handschuhen.» [IMG 2]


«Ich empfinde das Ganze eher als Abenteuer»

Tim Theus (17), angehender Hotelkommunikationsfachmann EFZ, 1. Lehrjahr, Art Deco Hotel Montana, Luzern

«Weil wir ein Ganzjahresbetrieb sind, hätte ich nicht damit gerechnet, dass ich mal einen Teil meiner Lehre in einem anderen Hotel absolvieren würde. Als uns die Direktion über die sechswöchige Schliessung informierte, war dieses Szenario plötzlich präsent. Wir hatten die Wahl, die Überbrückung selbst zu organisieren oder in einen der uns angebotenen Ersatzbetriebe zu gehen. Zunächst wollte ich wegen der Nähe zur Schule im Raum Luzern bleiben. Die Verlockung des 5-Sterne-Hotels war dann aber doch grösser. Ängste hatte ich nicht, weil wir ja als Dreierteam ins Berner Oberland reisten. Ich empfinde das Ganze eher als Abenteuer. Der tolle Empfang vom ‹Lenkerhof›-Team hat es uns noch einfacher gemacht, rasch Fuss zu fassen. Was die Arbeit angeht, bin ich sehr flexibel. Zurzeit arbeite ich in der Hauswirtschaft und kann mir diese Wochen anrechnen lassen. Die Zeit im ‹Lenkerhof will ich voll aufsaugen und möglichst viele Erfahrungen sammeln, von denen ich sicher profitieren kann.» [IMG 3]

Robert Wildi