Gastkommentar von Jörg Kachelmann

Es ist einer der schönsten Erfolge meines Lebens, dass sich in dessen Lauf die Höhe meines Wohnorts immer mehr verbessert hat. Geboren auf 280, dann 340, 450, 850, 1080 und schliesslich 1150 Meter über Meer. Wenn man mit zehn Jahren schon leidenschaftlich auf Schneesturm hofft, ruft der Berg – damals wusste man noch nicht, dass die Welt immer wärmer werden würde. [IMG 1]

Ein paar Jahrzehnte später «isch es nüme wie aube», auch wenn sich die Katastrophenszenarien, die noch vor ein paar Jahren zu hören waren, eher nicht bewahrheiten werden. Der Klimawandel macht im Winter nicht alles gleichmässig warm und Skifahren bis weit hoch unmöglich, sondern es gibt im Schnitt weniger Westwindlagen vom alten Schrot und Korn, dafür mehr Nord- oder Südlagen. Das bedeutet, dass es durchaus Phasen geben kann mit viel Schnee und Kälte, aber abwechselnd auch warmes «Föhn­gschluder». Glück und Pech entscheiden darüber, ob man eher das eine oder andere Szenario oder eine ruhige Hochdrucklage mit «Unten grau, oben blau» erwischt.

Das erhöhte Temperaturniveau bringt uns also im Winter weniger Veränderungen im Gesamt­eindruck, als dies im Sommer der Fall ist. Temperaturen mit 30, manchmal 35 Grad sind hier häufiger geworden und Risiko und Chance für die Berge zugleich: Gletscher schmelzen ab, Permafrost taut und lässt feste Berge bröckeln – andererseits wird ein Begriff aus dem 
19. Jahrhundert, den man auch in Schweizer Tourismusbüchern jener Zeit lesen kann, wieder immer grössere Bedeutung erlangen: Die «Mehbesseren» zog es damals aus der schwülen Stadt in die kühleren Berge, wo die «Sommerfrische» wartete. Der Begriff wurde zuerst in Österreich geläufig, fand dann aber auch in der Schweiz seine Anhänger.

Die Unterschiede sind in der Tat gewaltig. An einem heissen Sommertag kann man mit einem Temperaturunterschied von gut einem Grad pro 100 Meter Höhendifferenz zwischen Stadt und Land rechnen – sind es in Zürich, Basel oder Bern unerträgliche 37 Grad, sind es auf dem Mostelberg oberhalb von Sattel und anderswo auf 1150 Metern Höhe keine 30 Grad, vom zusätzlich kühlenden Hangaufwind abgesehen. Ist das immer noch zu viel, wird man auf dem Klingenstock oberhalb von Stoos bei gut 21 Grad gar nicht mehr ins Schwitzen kommen.

Nachts ist es zwar auf den Bergen abgesehen von ­Tallagen fast so warm wie im Flachland, aber beim üblichen Bergwind lässt sich das gut aushalten, auch wenn plötzlich Tropennächte (Tiefstwert nicht unter 20 Grad) auf dem Üetliberg, Bachtel und Pfannenstiel und sowieso auf dem Gempenstollen üblich ­geworden sind.

Da bei uns im Gegensatz zu den USA weiterhin Klimaanlagen für den Privatgebrauch verpönt sein werden, wird sich die Arbeitszeit vieler Menschen in Zukunft im Sommer nach vorne verlagern, sobald sich herumgesprochen hat, dass der dumme Medienbegriff von der «Mittagshitze» völliger «Hafechäs» ist, sondern die Höchsttemperatur zwischen 17 und 18 Uhr gemessen wird. Wer kann, fängt früh mit der Arbeit an und fährt am Nachmittag mit dem Bähnli oder selbst auf den nächsten «Hoger» und geniesst die Temperaturdifferenz – und einen Znacht, wenn es unten am heissesten ist. Das wird aber auch bedeuten, dass das letzte Bähnli nicht mehr so fahren kann, dass alle Mit­arbeiterInnen pünktlich zum vorgeschriebenen Znacht punkt 
18 Uhr zu Hause sind, sondern etwas später.

Durch den Klimawandel wird der Sommertourismus immer wichtiger werden. Einen Essensbon auszuloben, wenn man im Bergort 30 Grad erlebe, ist kein grosses Risiko, weil man ziemlich gut berechnen kann, wie selten das vorkommt. Weil die Generation, die im Schlaf eine 1:25 000er-Karte erfasst und genau weiss, auf welcher Meereshöhe man wohnt, langsam das AHV-Alter erreicht und bei vielen jungen Menschen völlige Ahnungslosigkeit herrscht, ob es nun oben wärmer, kälter und wenn ja oder nein wie sehr ist, muss man die potenzielle Neukundschaft mit konkreten Zahlen überzeugen – an mehr oder weniger lustigen Slogans wie «Wir haben nie über 30» können Sie schon mal arbeiten.

Wir werden sehen, inwiefern sich der Klimawandel im Sinne des Schutzes unserer Natur und Umwelt bremsen bis aufhalten lässt. Es wird wichtig sein, umweltbewussten Menschen Angebote zu machen, damit die Kurz- oder Wochenendtour in die Sommerfrische ökologisch vertretbar wird. Wenn das gelingt, wird es mit der Zeit eine ebenbürtige Hochsaison im Sommer geben.

Jörg Kachelmann Meteorologe, Moderator und Unternehmer, betreibt das Wetterportal www.kachelmannwetter.com und möchte in jedem Ort und auf jedem Berg eine Wetterstation haben.

Jörg Kachelmann