Herr Jenal, Samnaun hat die Saison plangemäss am 25. November eröffnet. Standen Sie schon auf den Ski?
(lacht) Nein, dafür hatte ich noch keine Zeit.

Kein Wunder, Sie haben turbulente Wochen hinter sich. Ihre ursprüngliche Aussage, dass Samnaun als erstes und einziges Schweizer Skigebiet mit Österreich mitzieht und ebenfalls das 2G-Zertifikat verlangen wird, sorgte für Wirbel. Mit welchen Reaktionen wurden Sie konfrontiert?
Es gab Kommentare aus der untersten Schublade und einige Stornierungen. Aber – und das hat mich ehrlich gesagt überrascht – die negativen Stimmen waren keineswegs in der Mehrzahl. Wir erhielten viel Zuspruch, positive Statements und Buchungen von Gästen, die sich mit 2G sicherer fühlen.

Bergbahnen Samnaun
1977 wurde die Zubringerbahn I in Samnaun errichtet, kurz darauf sicherte die Silvrettaseilbahn AG mit einer Beteiligung von 51 Prozent die Finanzierung. Im Januar 1979 eröffnete Samnaun das Skigebiet auf Schweizer Seite mit einer ersten Saison, die alle Erwartungen übertraf. Gleichzeitig erfolgte der Zusammenschluss mit Ischgl – seither besteht der transnationale Verbund. Die Silvretta-Arena umfasst insgesamt 239 Pistenkilometer und 45 Lift- und Seilbahnanlagen. Mario Jenal, 64, ist seit 1989 Direktor der Bergbahnen Samnaun.

Wie ist es zu diesem Entscheid gekommen?
Die ganze Silvretta-Arena ist grenzenlos, im wahrsten Sinne des Wortes – also gilt stets die schärfere Covid-Regel. Zunächst war das in Österreich 3G, darauf folgte 2G. In einem transnationalen Verbund muss man die Gesamtsituation im Auge behalten. Es soll für die Gäste einheitlich sein und im ganzen Gebiet dasselbe gelten. Alles andere wäre zu kompliziert und würde zu einem Durcheinander führen.

Sie bezeichneten den Entscheid als «persönlichen Frust». Hand aufs Herz: Wäre es Ihnen in diesem Moment lieber gewesen, Sie hätten keine Kooperation mit Österreich?
Nein, gar nicht. Dieser Gedanke stand keine Minute im Raum. Sehen Sie, Ischgl und Samnaun arbeiten seit über 40 Jahren erfolgreich zusammen – und profitieren voneinander. Man muss wissen, dass wir in Samnaun 2500 Betten haben, aber eine Infrastruktur für 20 000 Gäste. Der Schweizer Anteil des Pistennetzes beträgt ein Drittel, wir sind auf Ischgl angewiesen. Auf der anderen Seite ist Samnaun dank zollfreiem Einkaufen für Gäste aus Österreich und Deutschland ein lohnendes Ziel. Unser Verbund ist eine klassische Win-win-Situation, die seit Jahrzehnten hervorragend funktioniert.

Und die jetzt, im zweiten Covid-Winter, einige Knacknüsse bereithält.
Keine Kooperation hat nur goldene Seiten. Aber wenn wir sehen, wie viel wir in den vergangenen Jahren dank des Zusammenschlusses mit Ischgl gewonnen haben, sind die Nachteile aufgrund von Covid vernachlässigbar.

Zumal Samnaun aktuell die besseren Karten in der Hand hält. Österreich befindet sich voraussichtlich bis am 13. Dezember im Lockdown. Welche Folgen machen sich in Samnaun bemerkbar?
Die Ankündigung des Lockdowns hat bei uns zusätzliche Buchungen ausgelöst – wir verzeichnen zum Saisonstart einen markanten Zuwachs an Gästen, die sonst auf österreichischer Seite logieren. Wenn ich jetzt aus dem Fenster schaue, sehe ich volle Parkplätze auf unserer Seite, darunter viele Autos mit deutschen Kennzeichnen.

«Wir erhielten viel Zuspruch und Buchungen von Gästen, die sich mit 2G sicherer fühlen.»

Könnte das auch daran liegen, dass in der Eröffnungswoche bis am 3. Dezember, wenn Ischgl planmässig eröffnet, in der Silvretta-Arena die Schweizer Regeln gelten? Damit bieten Sie den Fünfer und das Weggli: das ganze Pistennetz der Silvretta-Arena ohne Zertifikat und offene Schweizer Gastronomie mit 3G.
Ja, da sind wir für einmal im Vorteil – allerdings nur für gut eine Woche. Uns war wichtig, dass wir unsere Eröffnungsveranstaltungen wie das Konzert mit Megawatt durchführen konnten, zumal auf österreichischer Seite sämtliche Events abgesagt worden sind. Letztes Jahr mussten wir die Eröffnung wegen der Pandemie verschieben, umso glücklicher sind wir über den pünktlichen und erfolgreichen Saisonauftakt. Man darf nicht vergessen: Es geht nicht nur um ein Skigebiet, sondern um das ganze Tal – die Hotellerie, die Gastronomie, die Vermietungsbetriebe.

Hatten Sie im Vorfeld Zweifel, was die Eröffnung anging?
Nein, da war ich entspannt. Nichts deutete auf einen Lockdown oder Einschränkungen in der Schweiz hin.

Ab dem 3. Dezember gilt in der ganzen Silvretta-Arena 2G. Auf Schweizer Seite hingegen haben Sie in Windeseile eine 3G-Spezialtageskarte lanciert. Weshalb sind Sie von der ursprünglichen Idee – 2G im ganzen Gebiet – weggekommen?
Der Entscheid für eine Spezialtageskarte zu stark reduziertem Preis in Samnaun ist fast parallel zur 2G-Regel gefallen. Wir wollen allen Gästen und Einheimischen die Möglichkeit zum Skifahren geben und niemanden vom Schneesport ausschliessen. Dabei liegt es uns fern, uns in die Impfdiskussion einzumischen. Ob geimpft oder nicht, soll in Samnaun keine Rolle spielen, hier sind alle willkommen. In der Silvretta-Arena sind uns die Hände gebunden, doch auf Schweizer Boden haben wir die Möglichkeit zu 3G.

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Sie hätten in Samnaun auf die Zertifikatspflicht auf den Pisten verzichten können, wie andere Schweizer Skigebiete auch. Rechtlich wäre das kein Problem gewesen.
Diese Option haben wir kurz diskutiert, jedoch rasch wieder verworfen. Logistisch gesehen ist es einfacher, das Zertifikat einmalig beim Ticketkauf zu prüfen – das reicht für den ganzen Tag im Skigebiet und entlastet das Personal in der Gastronomie. Und für die Gäste ist es entspannter, wenn sie ihr Zertifikat nicht dauernd zeigen müssen. Ausserdem fahren wir damit auf derselben Schiene wie die Hotels und Pensionen, wo ebenfalls 3G gilt. Damit gewährleisten wir auch Sicherheit. Der hohe Buchungsstand zeigt, dass 3G nicht als Nachteil gesehen wird.

Die Spezialtageskarte für Samnaun kostet nur 27 Franken. Lohnt sich das?
Diese 27 Franken sind ein Pro-forma-Preis. Finanziell bringt die Tageskarte wenig bis nichts, doch das ist nicht matchentscheidend.

Was dann?
Dass Gäste wie Einheimische unsere Infrastruktur nutzen können und ein gutes Skierlebnis haben. Daran gekoppelt sind Restaurantbesuche, die Miete von Ferienwohnungen und Hotelnächte. Samnaun lebt zu 100 Prozent vom Tourismus, wir müssen auch in aussergewöhnlichen Situationen wie dieser Hand zu einer Lösung bieten.

«Wir erleben gerade, dass die Leute selbst in Corona-Zeiten zum Skifahren kommen, wenn man ihnen die Gelegenheit bietet.»

Wie hoch schätzen Sie das Segment ein, das Sie damit erreichen werden?
Erhebungen zeigen, dass 80 Prozent der Schneesportgäste geimpft sind. Somit bleibt ein kleiner Teil übrig, darunter möglicherweise auch Leute, die einen Skitag zu einem günstigen Preis geniessen wollen und dafür kein grosses Gebiet brauchen. Am Schluss der Saison wissen wir mehr.

Welcher logistische und personelle Aufwand steckt hinter der neuen Tageskarte? Immerhin muss verhindert werden, dass jemand ohne 2G plötzlich in der Silvretta-Arena auf österreichischer Seite carvt.
Der Aufwand beschränkt sich auf die Kontrolle beim Ticketkauf und die Installation respektive das Umprogrammieren beim Zugangsterminal. Ohne 2G-Zertifikat kommt niemand zum Zubringerlift. Unser System ermöglicht es Getesteten sogar, eine 6-Tages-Karte zu kaufen. Wenn das Test-Zertifikat abgelaufen ist, wird der Zugang nicht freigeschaltet – dafür braucht es ein neues negatives Resultat. Für die Tests arbeiten wir mit unserer Bergpraxis vor Ort zusammen. Die Leute sollen so rasch und unkompliziert wie möglich auf die Skipiste gelangen.

Nach dem 3. Dezember werden Gäste von Ischgl aus die Restaurants in der Skiarena Silvretta auf Schweizer Seite besuchen. Das ist aktuell besonders attraktiv, weil die österreichische Gastronomie abgesehen von einem Take-away-Angebot noch geschlossen ist. Rechnen Sie mit einem Ansturm?
Die Vermieterbetriebe, Hotels und Ferienwohnungen sind in Ischgl geschlossen, und das Zeitfenster bis am 13. Dezember ist kurz. Von einem Ansturm kann deshalb keine Rede sein, zumindest gehe ich nicht davon aus.

In österreichischen Medien war zu lesen, dass Touristen extra von Ischgl nach Samnaun gefahren werden, um dort in einer Bar während des Lockdowns «Halligalli» zu machen.
An diesen Berichten ist alles falsch, was falsch sein kann. Nur schon aus dem Grund, dass die genannte Bar noch gar nicht geöffnet hat. Wahr ist: Gäste aus Österreich haben Zutritt zu unseren Restaurants, selbst im Lockdown – ganz legal. Das gehört zur Sonderposition eines grenzüberschreitenden Skigebiets.

Vor der Pandemie war es umgekehrt: Ischgl lockte die Schweizerinnen und Schweizer mit einem breiten Après-Ski-Angebot. Bis es im März 2020 weltweite Berühmtheit als Corona-Hotspot erlangte. Wie sehr wurde Samnaun in Mitleidenschaft gezogen?
Die Medien bauschten die Sache damals auf, vieles wurde übertrieben dargestellt. Doch die Berichterstattung konzentrierte sich explizit auf Ischgl, Samnaun blieb unerwähnt. Bis heute wird diese Geschichte kaum mit Samnaun in Verbindung gebracht, somit entstand kein Kollateralschaden.

«Es kommt ganz selten vor, dass sich jemand nicht an die Massnahmen hält. Und falls es doch einmal passiert, reagieren die anderen Gäste.»

Vor einem Jahr nannten Sie als «worst case» einen potenziellen Covid-Ausbruch unter den Mitarbeitenden. Das ist glücklicherweise nicht passiert. Wie sehen die Schutzmassnahmen für die Angestellten aus?
Als Destination, die ihre ganze Wertschöpfung aus dem Tourismus generiert, sind wir beim Thema Sicherheit sensibilisiert und setzen auf regelmässige Betriebstests. Hier muss ich auch den Behörden und dem Gesundheitsamt ein Kränzchen winden: Der Kanton Graubünden hat bei den Tests eine Vorreiterrolle übernommen. Wir testen intensiv, drei Tage vor der Eröffnung hatten wir beinahe 200 Tests durchgeführt, quer durch die Abteilungen, die Angestellten der Gastronomie eingeschlossen.

Sicherheit gilt als neue Währung im Tourismus. Gleichzeitig ist nach bald zwei Jahren Pandemie eine gewisse Nachlässigkeit zu beobachten, zum Beispiel beim Maskentragen oder Abstandhalten in der Bahn. Erleben Sie das auch so?
Es kommt ganz selten vor, dass sich jemand nicht an die Massnahmen hält. Und falls es doch einmal passiert, reagieren die anderen Gäste. Insgesamt nehme ich die Leute als diszipliniert und verantwortungsvoll wahr. Auch das Zeigen des Zertifikats hat sich eingespielt, das ist schon fast zur Routine geworden. Wir hören kaum je Reklamationen.

Wie optimistisch schauen Sie auf die eben begonnene Saison?
Von einem Rekordwinter zu träumen, wäre unrealistisch. Falls die epidemische Lage nicht wieder alles ändert, sind die Chancen intakt, dass wir uns dem «Normalmodus» nähern, mit täglich durchschnittlich 13 000 Gästen am Berg. Dafür sprechen der geglückte Saisonstart, die hohe Auslastung und das Wissen, dass weder die Gastronomie noch die Hotels noch die Skigebiete im letzten Winter die Pandemie befeuert haben. Man weiss in einer Pandemie nie, was noch geschehen wird, doch für den Augenblick bin ich recht optimistisch. Wir erleben gerade, dass die Leute selbst in Corona-Zeiten zum Skifahren kommen, wenn man ihnen die Gelegenheit bietet.

Angenommen, Österreich würde den Lockdown tatsächlich am 13. Dezember beenden, wie mehrfach angekündigt: Wären dann die Festtage gerettet?
Ziemlich sicher. Dann wäre ich wirklich happy. Der 13. Dezember ist in diesem Jahr für uns wichtiger als Weihnachten. Oder sagen wir es so: Wird der Lockdown aufgehoben, findet Weihnachten für mich am 13. Dezember statt.

Eine Skiregion - drei Länder: Pragmatisches Vorgehen im Wallis

Auch das Wallis ist mit unterschiedlichen Covid-Regeln im grenzüberschreitenden Skigebiet konfrontiert, mit Frankreich und Italien können gar drei voneinander abweichende Regulierungen parallel zur Anwendung kommen. Aktuell gilt die Zertifikatspflicht für die Piste nur in Italien. Die Lösung ist gemäss Damian Constantin, Direktor von Wallis Promotion und Präsident der Schweizer Tourismusdirektorenkonferenz, pragmatisch: «Wer ein internationales Skiticket in der Schweiz kauft, ob online oder persönlich am Schalter, erhält dieses mit dem Hinweis, dass auf der italienischen Seite die Zertifikatspflicht gilt.»

Für die Kontrolle im Skigebiet selber ist die jeweilige Landespolizei zuständig. «Grundsätzlich liegt es in der Verantwortung der Schneesportgäste, ein gültiges Zertifikat vorweisen zu können», sagt Constantin. Würde es in Italien oder Frankreich zu Schliessungen kommen, sähe er das zwar als Einschränkung, aber: «Das Pistennetz in Zermatt ist so gross und vielfältig, dass es für Gäste sehr wahrscheinlich verschmerzbar wäre.» Anders schätzt er die Situation im Skigebiet Portes du Soleil ein, das sich über Frankreich und das Wallis erstreckt – dort befindet sich der grössere Teil der Pisten auf französischem Boden.

Als vor einem Jahr nur die Schweizer Skigebiete offen gewesen seien, habe man den Zustrom an italienischen und französischen Wintergästen im Wallis deutlich gespürt, so Constantin. «Dafür sind wegen der fehlenden Gastronomie viele Genussfahrer aus der Schweiz ferngeblieben. Man muss sehen, dass die Einkehr im Restaurant heute zum Gesamterlebnis gehört.» Weit schlimmer als eine verschärfte Zertifikatspflicht wäre in seinen Augen eine erneute Schliessung der Gastronomie.