Richard Kämpf, nach mehr als 20 Jahren Innotour mit mehr als 300 geförderten Projekten: Wie behält man da den Überblick?

Es klingt nach wahnsinnig viel, aber pro Jahr sind es vielleicht 20 bis 25 Projekte, die wir fördern. Die durchschnittliche Laufzeit beträgt zwei bis drei Jahre. Wir führen ein laufendes Monitoring zu den unterstützten Projekten durch. So verlieren wir sie nicht aus den Augen. Ausserdem haben wir im vergangenen Jahr eine neue Regel eingeführt, wonach wir zwei Jahre nach Abschluss eines Projekts nochmals ein Reporting der Träger bekommen.

Wissen Sie, wie viele «Leichen» Sie im Keller haben und wie viele Gelder in den Sand gesetzt wurden?

Klar, nicht jedes Projekt kann ein Erfolg sein. Innovationsförderung ist eine Gratwanderung und bedeutet auch, Risiko zu übernehmen. Aber andersherum: Wenn wir es nicht machen, wer dann? Unsere Unterstützung ist häufig auch ein Signal für andere, sich an einem Projekt zu beteiligen. Dass wir rückblickend für die eine oder andere weniger erfolgreiche Förderung kritisiert werden, nehmen wir in Kauf, damit müssen wir leben.

Richard Kämpf (50) leitet seit Mai 2008 das Ressort Tourismuspolitik beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Zuvor war er gut zehn Jahre bei BAK Basel Economics zuständig für Regionalanalysen und Tourismusstudien sowie zwei Jahre lang Mitglied der Geschäftsleitung. Kämpf studierte an der Universität Bern Volkswirtschaft mit den Schwerpunkten Aussenwirtschaft und Finanzwissenschaft. Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Olten.
Innotour ist das Innovationsförderprogramm für den Schweizer Tourismus und dem Seco angegliedert. Für seine Finanzierung wurde ein Kredit von 30 Millionen Franken für 2020 bis 2023 bewilligt.

Wann ist ein Projekt für Sie ein Erfolg?

Wenn es irgendwann in der Lage ist, auf eigenen Beinen zu stehen.

Oft geht es bei Innovation um Digitalisierung. Wie fortgeschritten ist diese im Schweizer Tourismus?

In der Schweiz mangelt es an Digitalisierungsleadern, die experimentieren. Die Vertreter der Tourismusbranche machen viele Standardanwendungen und gehen auf Nummer sicher. Daran ist nichts Schlechtes, aber es reicht nicht. Etwas mehr Selbstbewusstsein täte gut. Wir haben immerhin Hotelfachschulen, top Hotels, und die Schweiz ist ein Technologiestandort – da liegt durchaus mehr drin, als bloss die Industriestandards anzuwenden.

Woran liegt es?

Es hat sicherlich mit den KMU-Strukturen zu tun, die oft sehr familiär geprägt sind. Vielleicht liegt es auch an unserer föderalen Fragmentierung. Es ist schwierig, ein Hotelkonzept innerhalb der Schweiz zu multiplizieren. Wenn man zum Beispiel eine App selbst entwickelt, dann ist deren Anwendung nicht unbedingt an den eigenen Betrieb gebunden – je mehr mitmachen, desto besser. Irgendwie ist das in der Schweiz schwieriger zu realisieren als anderswo. Vielleicht ist der Markt auch zu klein. Die Schweiz registriert pro Jahr etwa gleich viele Hotelübernachtungen wie die Stadt Paris. Alles in allem ist das Thema Digitalisierung so wichtig, dass wir es priorisieren müssen. Deswegen ist es auch in der aktuellen Tourismuspolitik ein Schwerpunkt – und wird es auch bleiben.

Ein aktuelles Digitalisierungsprojekt ist der digitale Marktplatz von Valais/Wallis Promotion, das auch von Innotour unterstützt wird. Was genau ist der innovative Gedanke dahinter?

Die Promotionsagentur geht mit diesem Projekt stärker in Richtung Kommerzialisierung. Sie arbeitet mit einem starken Partner zusammen, der Matterhorn-Gotthard-Bahn, der im Kommerzialisieren zu Hause und schon lange im direkten Verkauf tätig ist. Die Zusammenarbeit mit den einzelnen Destinationen macht den Kern aus. Der Kunde darf auf seiner Customer Journey auf keine Disruption mehr stossen – sonst landet er schnell bei globalen Plattformen wie Booking.

Wenn ein Projekt staatliche Fördergelder erhält, führt das nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung?

Das ist ein wichtiges Thema. Genau aus diesem Grund fördert Innotour nicht einzelne kommerzielle Betriebe. Voraussetzung ist immer eine Kooperation. Die Herausforderung für uns ist, nur jene Projekte zu unterstützen, die in sich innovativ sind.

Was bedeutet eigentlich Innovation?

Meine Definition als Ökonom lautet: eine Idee so weit zu treiben, dass sie am Ende ein kommerzielles Produkt ergibt, zum kommerziellen Erfolg eines Unternehmens beiträgt. Auch beim Seco und insbesondere mit Innotour fördern wir Innovation mit der Absicht, dass am Ende Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Umsatz resultieren. Aber wir können Projekte auch unter dem zweiten Innotour-Schwerpunkt «Kooperationen» fördern. Hier steht der Innovationsgehalt nicht allein im Vordergrund. Beispiele dazu gibt es viele: die Matterhorn Valley Hotels, die Lötschentaler, die Hotelkooperation Frutigland – alles Projekte mit ähnlicher Zielsetzung.

Hat sich der Fokus der touristischen Innovationsförderung im Laufe der Corona-Krise gewandelt?

Es kommt zum Teil zu Projektverzögerungen, da sich bei vielen in der Unsicherheit der Fokus auf das unmittelbare Tagesgeschäft verschoben hat. Wir erhalten Anträge auf Projektverlängerung. Auch ging in den letzten Monaten die Anzahl Gesuche zurück. Das Fördervolumen hingegen blieb in etwa gleich, da es einige grosse Projekte darunter hat.

Ein grösseres Projekt, das mit 1,5 Millionen Franken unterstützt wird, ist der Hospitality Booster von HotellerieSuisse. Wie bewerten Sie dieses Projekt vor dem Hintergrund der aktuellen Krise?

Das Projekt ist zwar nicht aus der Krise heraus entstanden, aber es hat im Laufe der Krise noch an Relevanz gewonnen. Das Zusammenspiel von Bildung, Forschung und Hotelbetrieben, die gemeinsam Ideen für die Beherbergungsbranche der Zukunft entwickeln, ist in der Krise hoch relevant. Gerade für die Stadthotellerie und im MICE-Bereich. Eine Plattform wie der Hospitality Booster ist dafür geeignet, neue Trends aufzunehmen und zu beschleunigen. Das ist dringend nötig. Die cleveren, innovativen Hotels werden das sowieso tun. Aber ein kleiner Familienbetrieb ist damit häufig überfordert. Das wäre aus meiner Sicht eine Aufgabe, die der Hospitality Booster wahrnehmen müsste. Wichtig ist, dass Innovation nicht einer Elite vorbehalten bleibt.

Stichwort Stadthotellerie: Hier soll im laufenden Jahr eine Anpassung der Förderstrategie erfolgen.

Die Stadthotellerie ist in einer sehr schwierigen Situation. Bei der Schweizerischen Gesellschaft für Hotelkredit und der Neuen Regionalpolitik befinden sich die urbanen Regionen nicht oder nur sehr eingeschränkt im Förderperimeter. Innotour darf hingegen überall fördern. Zwar lag auch hier der Schwerpunkt bisher in ländlichen Gebieten. Der Stadttourismus war eher ein Selbstläufer, es fand in den Jahren vor der Krise ein grosser Boom statt. Mit der Krise gab es einen unglaublichen Einbruch. Die Stadthotellerie wird sicher ein wichtiges Thema bei der für dieses Jahr anstehenden Neuausrichtung der Tourismuspolitik sein.

Wie stark beeinflusst das Seco eigentlich das Krisenmanagement des Bundesrats?

Das Seco spielt eine sehr wichtige Rolle. Nehmen wir die Stadthotellerie. Covid-Kredite, Kurzarbeit und Härtefallprogramm sind für das Überleben der Stadthotels von entscheidender Bedeutung. Bei der Ausarbeitung dieser Instrumente hat das Seco massgeblich mitgewirkt. Ohne diese Massnahmen hätten viele städtische Hotelbetriebe längst schliessen müssen.

Für welche Themen hat sich das Seco sonst noch eingesetzt?

Dass bei der Ausarbeitung notwendiger Gesundheitsmassnahmen darauf geachtet wird, welches die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind. Das Seco hat sich schon sehr früh für eine Maskenpflicht eingesetzt, aus ökonomischer Optik eine günstige Massnahme, die dennoch viel bringt. Oder dafür, dass die Skigebiete – mit gewissen Einschränkungen – offen bleiben.

Das Gespräch führten Sabine Lüthi und Patrick Timmann.