Energie
Wo saubere Kraftwerke quer in der Landschaft stehen
Um die Energiewende zu schaffen, muss die Schweiz mehr erneuerbare Energie produzieren. Landschaftsschützer warnen vor Schäden in touristisch wertvollen Gebieten.
Ueli Abt
Die Zeit drängt. Die Dekarbonisierung bis 2050 macht es nötig, dass die Schweiz ihre Produktion von sauberem Strom rasch hochfährt. Solarenergie, Wind- und auch Wasserkraft: Die Stromproduktion mit diesen erneuerbaren Energieformen soll sich laut den Plänen des Bundes bis 2050 annähernd verdoppeln. [RELATED]
Insbesondere beim Solarstrom sieht das Bundesamt für Energie (BFE) grosses Potenzial. Neue Kraftwerke könnten die aktuelle Produktion von derzeit jährlich circa 3,5 Terawattstunden verzehnfachen. Gemäss dem Beschluss der Solaroffensive vom vergangenen Herbst soll es mit dem Bau von neuen Fotovoltaikanlagen in den Alpen vorwärtsgehen: Der Bund übernimmt bis zu 60 Prozent der Investitionskosten – sofern die Anlage bis Ende 2025 am Netz ist und jährlich mindestens zehn Gigawattstunden Strom produziert.
Solarpark in touristisch wichtigem Gebiet
Landschaftsschützer schlagen allerdings Alarm: Der Wettlauf um Fördergelder könnte dazu führen, dass nicht die besten, sondern die raschesten Projekte zum Zug kommen. Beispiel Projekt Grengiols-Solar im Wallis: Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SLS) lehnt das Projekt kategorisch ab. Die Anlage würde in einem Gebiet gebaut, das wichtig sei für den Sommertourismus, so die Begründung (siehe «Nachgefragt» und dritte blaue Box). Und: Der Standort Landschaftspark Binntal würde wohl sein Label «Park von nationaler Bedeutung» verlieren. Dies befürchtet auch Moritz Clausen, Geschäftsführer des Landschaftsparks Binntal. Es könne auch sein, dass die entsprechende Trägergemeinde aus dem Perimeter ausscheide. So oder so würde dies zu einer Kürzung der finanziellen Mittel führen. «Beides ist aus Sicht des Landschaftsparks keine Option, da wir das Gebiet unbedingt halten beziehungsweise sogar erweitern möchten», sagt Clausen. Er geht zudem von starken Einschränkungen während der Bauphase bis mindestens 2030 aus. Durch die Belastung in dieser Zeit befürchtet er einen irreparablen Schaden für den Sommertourismus, den grössten Wirtschaftsfaktor für die Region.
200 Turbinen weniger durch neue Raumplanung
Auch der Ausbau der Windkraft muss aus Sicht des Landschaftsschutzes rücksichtsvoll erfolgen. Hier ist die Produktion in der Schweiz mit aktuell circa 0,3 Terawattstunden noch unbedeutend. Sie soll bis 2050 auf gut 4 Terawattstunden (TWh) anwachsen.
Wie dies die Schweiz am besten erreichen kann, haben Forschende der ETH Zürich untersucht. Laut der in diesem Frühjahr publizierten Studie könnte die Lockerung der Raumplanungsvorgaben die Zahl der benötigten Windturbinen für die geplante Produktion von jährlich 4,3 TWh wesentlich reduzieren. Dies, wenn künftig auch Anlagen auf Ackerland in Gebieten im windreichen Mittelland gebaut würden. Die aktuelle Gesetzgebung schliesst bislang die sogenannten Fruchtfolgeflächen aus. Konkret kamen die Forschenden zum Schluss, dass mit der Lockerung der Raumplanungsvorschriften 200 Windturbinen in den Bündner und Walliser Bergen eingespart werden könnten
Der Bau des Solarkraftwerks könnte zu einer Kürzung der finanziellen Mittel führen.
Moritz Clausen, Geschäftsführer Landschaftspark Binntal
Etwas weniger kritisch sieht die SLS die 15 Projekte des runden Tisches Wasserkraft. Diese sollen zusätzlich rund 4 TWh bringen. Ausgerechnet das Projekt Gornerli am Fusse des Gornergletschers bei Zermatt, welches die leistungsfähigste Anlage vorsieht, lehnt die SLS indessen ab.
Insgesamt kritisiert die SLS den «Ausbauboom von erneuerbaren Energien» als «Vereinnahmung und Verbauung hochalpiner Lebensräume und Landschaften». Vergangene Woche forderte sie als Ausgleich einen runden Tisch zur Wiederaufnahme der Planung neuer Nationalpärke. Nur so könne Nachhaltigkeit gewährleistet werden.
Windenergie
Beispielprojekt [IMG 2]
Mollendruz VD
Windpark mit zwölf Turbinen auf dem Höhenzug östlich des Col du Mollendruz
Stromproduktion pro Jahr
100–112 GWh
Trägerschaft
Énergie Naturelle Mollendruz SA (ENM SA): fünf Gemeinden, EWZ (zu 50 Prozent beteiligt)
Stand Projekt
Das Bundesgericht hat im November 2022 alle Einsprachen abgewiesen, das Baugesuch ist bis Mitte 2023 in Vorbereitung. Die zweijährige Bauphase soll Anfang 2025 beginnen. Der Windpark soll während mindestens 25 Jahren in Betrieb sein.
Das sagt der Tourismus
Vallée de Joux Tourisme nimmt zum Projekt nicht Stellung.
Das sagt Raimund Rodewald, Präsident der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SLS)
«Die Horizontlinie gegen Westen ist das, was den Jura ausmacht. Projekte auf dahinter liegenden Kreten unterstützen wir. Mollendruz versenkt nun dieses Prinzip, was jahrelange Bemühungen des Landschaftsschutzes zunichtemacht. Das ist sehr bedauerlich und könnte ein Präjudiz für weitere Anlagen geschaffen haben.»
Das sagen die Projektverantwortlichen
Marie Oswald, Media & Public Affairs EWZ: «Es gibt kein Verbot für Windkraftanlagen oder andere sichtbare Infrastrukturanlagen auf der ersten Jurakrete. Ob Windparks auf der ersten Jurakrete gebaut werden sollen, wird in der Schweiz von der Politik im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung im Richtplan entschieden. Diese Interessenabwägung wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Waadt und vom Bundesgericht umfassend überprüft und für rechtlich einwandfrei befunden. Unter anderem hatte auch die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz gegen den Windpark Mollendruz bis vor Bundesgericht Beschwerde geführt. Das Bundesgericht hat die Beschwerde vollumfänglich abgewiesen und explizit gesagt, dass nichts gegen den Bau von Windparks auf der ersten Jurakrete einzuwenden sei.»
Wasserkraft
Beispielprojekt[IMG 3]
Gornerli, Zermatt VS
Rückhaltebecken in Form eines Stausees am Ausgang des Einzugsgebietes des Gornergletschers, circa 85 Meter hohe Staumauer, Stauvolumen circa 170 Millionen Kubikmeter mit mehreren Funktionen: Hochwasserschutz, Trinkwasser- und Bewässerungsreserve
Stromproduktion pro Jahr
650 GWh
Trägerschaft
Allianz Grande Dixence SA, Gemeinde Zermatt
Stand Projekt
Die Projektverantwortlichen wollen das Vorprojekt in diesem Jahr fertigstellen und mit den detaillierten technischen, geologischen und mit Umweltstudien fortfahren.
Das sagt der Tourismus
Daniel Luggen, Kurdirektor Zermatt Tourismus: «Wir sind überzeugt, dass in Zukunft ein verantwortungsvolles Handeln im Umgang mit der Natur eines der wichtigsten Kriterien für die Wahl des Reiseziels sein wird. Das Projekt Gornerli haben wir sorgfältig abgewägt und können heute mit gutem Gewissen dafür einstehen. Als Destination sind wir auf sauberen Strom angewiesen. Weitere Vorteile sind der Hochwasserschutz und die Wasserversorgung. Das Stauwerk wird topografisch sehr gut in die Landschaft integriert und stört die einmalige Landschaft rund um das Matterhorn nicht.
Das sagt Raimund Rodewald, Präsident der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SLS)
«Es ist sehr bedauerlich, dass eine Landschaft von nationaler Bedeutung dadurch beeinträchtigt wird. Das heutige Gletschertor würde überflutet. Da der Seespiegel durch die Wasserkraftnutzung schwankt, kann keine Vegetation entstehen. Die Böschung tritt dadurch als künstlich in Erscheinung. Es existiert bislang noch keine Machbarkeitsstudie.»
Das sagen die Projektverantwortlichen
Aline Elzingre-Pittet, Mediensprecherin der Alpiq Group: «Dieses Mehrzweckstaudammprojekt hat nur geringe Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Landschaft. Bei Hochwasserschutz- undEnergieerzeugungsprojekten von nationalem Interesse ist ein Bau zwar möglich, aber es muss eine Interessenabwägung durch die Behörden vorgenommen werden. Die ersten Arbeiten konzentrieren sich auf die Minimierung der Auswirkungen: auf die Landschaft und auf die Umwelt. Dank der bereits bestehenden Infrastruktur von Grande Dixence würde das Projekt lediglich den Bau der Staumauer und einer unterirdischen Pumpstation erfordern.»
Solarenergie
Beispielprojekt[IMG 4]
Grengiols-Solar, Saflischtal VS
Solaranlage auf einer Fläche von
3,4 Quadratkilometern mit bisher ungenügendem Netzanschluss
Stromproduktion pro Jahr
600 GWh
Trägerschaft
Gemeinde Grengiols, Energieunternehmen EnBAG, FMV, EKZ, Groupe E und IWB
Stand Projekt
Die Projektverantwortlichen wollen bis Ende 2023 einen Umweltverträglichkeitsbericht und das Bauprojekt vorlegen.
Das sagt der Tourismus
Elise Melly, Valais/Wallis Promotion: «Projekte wie jenes in Grengiols nutzen die Stärken unserer Region und tragen zur nachhaltigen Entwicklung des Wallis und der Schweiz bei.»
Das sagt Raimund Rodewald, Präsident der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SLS)
«Wo das Naturerlebnis und Exkursionen im Zentrum stehen, stören Kraftwerke. Aus diesem Grund ist das Projekt Grengiols völlig falsch. Um Tausende von Solarmodulen dort hinzubringen, müsste man entweder eine Transportseilbahn bauen oder sie mit dem Helikopter hinfliegen. Man baut solche Kraftwerke besser in der Nähe von bestehenden Kraftwerken. Das Projekt halte ich für nicht durchdacht.»
Das sagen die Projektverantwortlichen
Pascal Fauchère, Informationsbeauftragter von Grengiols-Solar: «Grengiols-Solar leistet einen namhaften Beitrag zur Stromversorgungssicherheit. Bei der nun anstehenden Weiterentwicklung des Bauprojektes werden die bestehenden Infrastrukturen des Kraftwerkes Heiligkreuz mit der Energieabtransportleitung optimal integriert. In dieser Phase werden die Umweltverbände und Vertreter des Landschaftsparks Binntal zusammen mit den Gemeindevertretern von Grengiols, Binn und Ernen zur Teilnahme an einer Arbeitsgruppe eingeladen. Dabei sollen die relevanten Umweltaspekte für die Bau- und Betriebsphase und deren Auswirkungen auf die Schutzziele des Landschaftsparks Binntal vertieft besprochen und analysiert werden.»