Horst Lichtner der Stiftung Keda im Gespräch

Die Stiftung Keda steht für das kulinarische Erbe der Alpen. Sie fördert Projekte, die dem Erhalt, der Weiterentwicklung und der Vermarktung der regionalen Bio- und Produktdiversität der kleinbäuerlichen Land-, Berg- und Alpwirtschaft dienen. Die Stiftung hat ihren Sitz im ehemaligen Kapuzinerkloster in Stans. Um mehr Visibilität zu erhalten, beantragt Geschäftsleiter Horst Lichtner bei der Unesco, das kulinarische Erbe der Alpen im Inventar des immateriellen Weltkulturerbes aufzunehmen. [RELATED]

Horst Lichtner, die Stiftung Keda befindet sich in den Räumen, wo Kapuziner einst gearbeitet und gebetet haben. Welche Werte nehmen Sie in Ihrer Arbeit auf?

Ein Kloster war immer ein Ort des Wissens. Bis 1908 war der Sitzungsraum, in dem wir sitzen, ein Schulzimmer für den Lateinunterricht. Aus der Schule entstand das Kollegium nebenan, das erst 1956 an den Kanton überging. Die Mönche haben auch immer einen grossen Garten bebaut. Er diente der Selbstversorgung, aber auch zur Erholung und zum Nachdenken. Wir versuchen unseren Gästen die Philosophie des gesunden und reflektierten Lebens der Mönche zu vermitteln. Als aussagekräftiges Bild könnte Folgendes dienen. Es gibt in den Zimmern keine Fernseher, sondern Ferngläser, um die Umwelt zu entdecken.

Unsere Vision ist, dass es in jedem der sieben Alpenländer ein Culinarium Alpinum gibt.

Das Kloster beherbergt nicht nur die Stiftung, sondern steht auch Gästen offen. Was bieten Sie an?

Peter Durrer ist Pächter des Gastbetriebes Culinarium Alpinum. Das Hotel hat 14 Zimmer und 8 Seminarräume sowie Schulungsküchen. Im Restaurant serviert sein Team ausschliesslich Gerichte aus regionalen Zutaten. Dazu kommen der Klosterladen und die essbare Landschaft im ehemaligen Klostergarten, in dem wir Permakulturpionier Siegfried Tatschl engagiert haben. Man trifft dort auf eine einzigartige Vielfalt von rund 250 Sorten: einheimische alte wie zum Teil eingeführte neue und in unseren Breitengraden unbekannte Sorten an Beeren, Obst, Nüssen, Gewürzsträuchern, Kräutern und Blumen.

Sie befinden sich im Bewerbungsprozess, als immaterielles Weltkulturerbe der Unesco anerkannt zu werden. Wie sieht die Bewerbung aus?

Die sieben Alpenländer bewerben sich unter der Führung Italiens gemeinsam. Die Keda ist Kompetenzpartnerin der Unesco-Bewerbung für die Schweiz.

Mehr Lösungen als Probleme
Horst Lichtner
blickt auf eine internationale Karriere zurück: Zuletzt war er während siebzehn Jahren Generalsekretär der International Ice Hockey Federation (IIHF) und zuvor während fünf Jahren Marketingdirektor des Deutschen Fussball-Bundes (DFB). Er zeichnete dabei unter anderem für die Durchführung der Fussballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland mitverantwortlich. Seit 2022 ist er Geschäftsleiter der Stiftung Keda, Kulinarisches Erbe der Alpen, in Stans. Das Lebensmotto des 64-Jährigen mit deutschen Wurzeln lautet: «Es gibt immer mehr Lösungen als Probleme.»

Weshalb ist die Bewerbung wichtig?

Wir haben ein Schiff names Keda, ausgeschrieben «Kulinarisches Erbe der Alpen», und das liegt in Stans vor Anker. Das ist nicht gut. Ein Schiff muss raus. Unsere Vision ist, dass es in jedem der sieben Alpenländer ein Culinarium Alpinum wie jenes in Stans für die Schweiz gibt, wo Regionalkulinarik erlebbar wird.

Was sind die Hauptkriterien, um Weltkulturerbe werden zu können?

Die Unesco-Charta beschreibt zahlreiche Kriterien, von denen drei für uns von zentraler Bedeutung sind: Tradition bewahren, Genuss erleben und Zukunft nachhaltig gestalten.

Wie kann ein konkretes Beispiel aussehen?

Nehmen wir den Sbrinz, ein Traditionsprodukt, das an Bedeutung verloren hat. Vor 20 Jahren wurden noch 5000 Tonnen Sbrinz hergestellt und vermarktet. Heute sind wir noch bei 800 Tonnen Käse, von denen auf acht Alpen Alp-Sbrinz hergestellt wird. Zuerst müssen wir alles Wissenswerte über den Sbrinz als sogenannten Case erfassen und den Käse nachher erlebbar machen. Erleben kann man ihn im Culinarium Alpinum, wo der Käse in einem begehbaren Natursteinkeller gelagert und in den Gerichten serviert wird. Zum ersten Mal zeigten wir die Säumerkultur rund um den Sbrinz auch an einem Säumerfest Ende August. Das war ein äusserst gelungener Anlass, der viel Visibilität gebracht hat.

Wie führen Sie den Sbrinz in eine nachhaltige Zukunft?

Da soll uns etwa der Milchkonzern Emmi helfen, der die Vermarktung des Sbrinz vor einem Jahr übernommen hat. Und auch die Fondation du Goût. Die fünf Kantone der Innerschweiz wollen als gemeinsamer Genussort für Sbrinz auftreten. Sie waren Teil des erwähnten Säumerfestes und haben weitere Aktivitäten geplant.

Das kulinarische Erbe der Alpen umfasst aber mehr als nur den Sbrinz. Welche Rolle nimmt die Keda in der Entwicklung der Regionalkulinarik ein?

In den sieben Alpenländern gibt es rund 1800 Täler und wir vermuten rund 20 000 bis 40 000 Regionalprodukte. Wir möchten das Kompetenzzentrum der Schweiz werden. Dazu haben wir eine neue Stelle geschaffen, die eine Datenbank mit allen Cases erstellt und interessierten Produzenten zeigt, wie man Kulinarik erlebbar machen kann. Heute schreibt man keine Bücher mehr, sondern produziert kurze Filme oder veröffentlicht Rezepte und betreibt ein Forum, auf dem diskutiert werden kann. Auch landwirtschaftliche Erfahrungsgruppen tauschen sich hier aus. Wir erweitern unser Wissen stetig und möchten bald andere Regionen darin beraten, wie man Regionalkulinarik erlebbar machen kann. Der Blick von aussen ist wegen der oft komplizierten politischen Strukturen in einem Tal recht hilfreich, um sich weiterzuentwickeln.

Gibt es Ideen für einen die Alpenländer verbindenden Anlass?

Im Oktober nächsten Jahres findet erstmals die Alp’24 statt. Das ist der erste internationale Markt und Wettbewerb für Regionalprodukte aus dem Alpenraum. Er wird im Culinarium Alpinum in Stans ausgetragen. Zugelassen sind Produkte aus den sieben Alpenländern Schweiz, Slowenien, Österreich, Liechtenstein, Italien, Frankreich und Deutschland. Produzentinnen aus diesen Ländern sind eingeladen, ihre Produkte einem internationalen Wettbewerb zu stellen und dabei wertvolle Anerkennung zu erhalten. Der Wettbewerb soll das kulinarische Erbe aus dem Alpenraum bekannter machen und gleichzeitig die Qualität und Bekanntheit der ausgezeichneten Produkte fördern. Experten aus dem Alpenraum präsentieren und diskutieren für Fachleute und interessierte Personen Themen rund um die Nachhaltigkeit des kulinarischen Erbes.

Wie soll das Culinarium Alpinum in fünf Jahren aussehen?

Je mehr wir machen, aktivieren, nach aussen gehen und erzählen, was wir tun, desto mehr kommen die Gäste hierher. Unsere USP sind einmalig. Wenn wir das noch besser kommunizieren, erreichen wir auch mehr Frequenzen. Die Stiftung Keda und das Restaurant im Culinarium Alpinum ergänzen sich gegenseitig.


Peter Durrer des Restaurants und Hotels Alpinum Culinarium im Gespräch

Seit 2020 ist das Culinarium Alpinum im ehemaligen Stanser Kapuzinerkloster ein Ort, wo man zur Ruhe kommt und sich der Herkunft der Lebensmittel besinnt, die man tagtäglich isst. Man schlendert dort durch eine essbare Landschaft, speist im Refektorium, wählt den Rebensaft in der Vinothek aus und schläft in ehemaligen Zellen. Seminargäste tagen in jahrhundertealten Zimmern und lernen in der modernen Schulungsküche, was man aus Kräutern machen kann. Gastgeber Peter Durrer erklärt, wie selbst produziertes Ketchup und Positionierung zusammenhängen.

Peter Durrer, die Herkunft der Lebensmittel, die im Culinarium Alpinum verwendet werden, hebt sich von anderen Restaurantkonzepten ab. Wie?

Viele Spitzenköche bedienen sich der Regionalkulinarik. Wir sind darin aber sehr konsequent, ein vergleichbares Konzept gibt es schweizweit nicht. Wir kaufen ausschliesslich direkt von Landwirten und Genossenschaften ein. Diese Einzigartigkeit zu kommunizieren, ist allerdings die grosse Herausforderung. Der Gast muss sie erleben, dann schätzt er sie auch. Wir haben eine wachsende Stammkundschaft, die versteht, wie nachhaltig wir sind. Dass wir nur selbst hergestelltes Ketchup mit Biozucker servieren, lieben sie.

Hotelier im Heimatkanton
Peter Durrer
schloss die Schweizerische Hotelfachschule Luzern 1997 ab und kehrte zwei Jahre später wieder dorthin zurück, um über zehn Jahre als Vizedirektor tätig zu sein. Den heute 54-Jährigen zog es danach wieder an die Front. Als Gastgeber des 5-Sterne-Superior-Hotel Villa Honegg in Ennetbürgen eröffnete und positionierte er das Haus in der Schweizer Hotelszene. Durrer war später Direktor des Hotel Palace Luzern. Der Nidwaldner kehrte 2020 in seinen Heimatkanton zurück. Im Restaurant und Hotel Culinarium Alpinum machte er sich selbstständig und setzt sich dort für Regionalkulinarik ein: «Im Culinarium Alpinum machen wir keine halben Sachen.»

Was wollen Sie damit erreichen?

Mit unserem Angebot auf dem Teller verändern wir das Weltklima, die Gesundheit der Bevölkerung und somit die Zukunft der Erde. Wir kochen gesund, regional und saisonal. Aber bitte verstehen Sie mich richtig: Der Genuss steht an oberster Stelle, und wir sind weder Missionare noch Mediziner.

Sie zeigen den Gästen täglich die essbare Landschaft, den Weinkeller mit reinen Bioweinen, den Alp-Sbrinz-Naturkeller und den Vorratsraum mit eingelegten Früchten, Tomatensauce und getrockneten Kräutern. Wird das belohnt?

Die Gästerückmeldungen sind überwältigend, vor allem von Herbergegästen. Sie schätzen den Ort, die Schönheit des Gebäudes, die Frische der Speisen und die Liebe zum Detail. Das habe ich noch in keinem vorherigen Betrieb so erlebt. Oft sind sie so überschwänglich, dass ich nicht mehr weiss, was ich antworten soll.

Ihr persönliches Engagement ist extrem hoch. Woher rührt Ihre Motivation?

Ich habe mich hier selbstständig gemacht. Wenn ich Erfolg haben will, braucht es hier, am Ende einer Sackgasse, eine klare Positionierung, sonst kannst du grad wieder gehen. Meine Motivation besteht auch zu einem grossen Teil aus Naivität. Man darf sich nicht zu viel überlegen, wenn man etwas Neues wagt, sonst kommt man nicht vorwärts.

Kaufen Sie trotz allem beim Grossverteiler ein, wenn das Gemüse beim Hauptlieferanten verhagelt wurde?

Das gibt es nicht. Beim Gemüse ist es so, dass wir zwei oder drei Hauptlieferanten haben, die auch extra für uns gewisses Gemüse oder Salate anpflanzen. Oft können wir also ausweichen. Im Winter kommt es manchmal vor, dass wir im Wauwiler Moos einkaufen, wo einer der grösseren Produzenten der Region stationiert ist. Aber das ist eher selten.

Und beim Fleisch?

Das Fleisch ist die kleinste Herausforderung. Wir bestellen beispielsweise im Frühjahr Alpschweine, die wir dann im Herbst erhalten. Der Anteil an Biofleisch ist in Nidwalden allerdings gering. Deshalb ist es manchmal schwierig, Biofleisch zu bekommen. Aber natürlich ist es eine Herausforderung, die Idee und das Konzept durchzuziehen, weil wir nicht ausweichen können. Fisch ist ein gutes Beispiel dafür. Wir kaufen nur Seefisch ein, keinen Zuchtfisch, weil wir dort die Herkunft des Futters nicht kennen. Klar wäre es manchmal einfacher, trotz allem Zuchtfisch zu beziehen. Aber es geht ja nicht darum, dass etwas einfacher wird, sondern dass wir glaubwürdig sind. Wir machen keine halben Sachen.

Sie haben sich selbstständig gemacht mit einem neuen, exklusiven Produkt. Wie geht es Ihnen dabei?

Ganz ehrlich? Es ist eine grosse Verantwortung, die ich momentan einfach aushalten muss, weil mein eigenes Geld drinsteckt. Glücklicherweise haben wir gute Rahmenbedingungen der Vermieterin. Wir sind gut gestartet. Wir sind finanziell solid aufgestellt. Aber wir brauchen mehr Frequenzen, um in die Gewinnzone zu kommen.

Worauf führen Sie das zögerliche Wachstum zurück?

Da wir an einer dezentralen Lage liegen, haben wir keine Laufkundschaft. Der Gast muss bewusst kommen, was eine längere Entwicklungsphase braucht. Wir haben im ersten Pandemiejahr mit Lockdown und vielen einschränkenden Massnahmen begonnen. Deshalb konnten wir nicht so intensiv an unserem Bekanntheitsgrad arbeiten wie vorgesehen. Nun müssen die Stiftung Keda und wir uns gegenseitig befruchten. Die Stiftung muss ihre Projekte weiterbringen und so Gäste anziehen.

Gibt es Erlebnisse und Ereignisse, die Hoffnung machen?

Wir werden vom Kanton Nidwalden gut unterstützt. Viele der vom Kanton organisierten Anlässe finden hier statt. Seit Sommer 2023 haben wir erstmals international Reisende bei uns. Das sind kleine, exklusive Gruppen und normale Luzern-Besuchende, die bei uns die Sbrinzdegustation buchen.

Am Ende einer Sackgasse braucht es eine klare Positionierung, sonst kannst du grad wieder gehen.

Zusätzlich zum Käsekeller haben Sie auch Schulungsküchen. Wie ist das Konzept dort angelaufen?

Das ist eine schöne Geschichte. Viele Seminare buchen als Rahmenprogramm einen Kochevent. Auch die reinen Kochkurse entwickeln sich gut. Das fängt bei den amerikanischen Kleinfamilien an, die eine exklusive Swiss Cooking Class absolvieren, und geht bis zu Pro-Senectute-Kochkursen für Männer. Die Auswahl an Kursen ist riesig. Im Frühling gibt es Kräuterkurse, und wir stellen alpine Würste her.

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Es kommt darauf an, wie sich das Geschäft weiterentwickelt. Wenn wir erfolgreich sind, sieht es anders aus, als wenn wir nur an der Gewinnzone kratzen. Wir sind klein und eigenständig, es fühlt sich manchmal an wie ein Soloprogramm an.

Könnten Sie sich vorstellen, in einem Netzwerk Fuss zu fassen?

Absolut. Wir sind eine Perle und würden sehr gut zur Living Circle Group passen. Das wäre spannend für uns. Aber diesen Gedanken habe ich vorher noch nie jemandem erzählt.

Vegetarische Inspiration für Berufsköche
Das Culinarium Alpinum und das Label Fait Maison laden am Montag, 6. November, ab 17.00 Uhr zum ersten Kochatelier für Berufsköchinnen und -köche ein. Es findet im Culinarium Alpinum in Stans statt und wendet sich an Personen, die den Austausch schätzen und offen für neue Vegi-Ideen sind. Denn Restaurants sind heute gefordert, neben fleischhaltigen Gerichten auch ein ausgewogenes vegetarisches Angebot in die Karte aufzunehmen.

Im Atelier werden überraschende Apérohäppchen zubereitet sowie ein 3-Gänge-Menü gekocht, dessen Zutaten raffiniert kombiniert werden. Thematisiert wird zudem, wie aus Rüstabfällen Gemüsefonds hergestellt, Schweizer Hülsenfrüchte verarbeitet und alte einheimische Getreidesorten verwendet werden können.

Das Kochatelier steht allen Köchen offen, sei es aus der traditionellen Gastronomie oder der Gemeinschaftsgastronomie, unabhängig von der Zertifizierung «Fait Maison».