Entspannt, selbstbewusst und energiegeladen: Das sind drei Attribute, die bestens zu den beiden jungen Gastronominnen Linda Hüsser und Meret Diener passen. Seit rund vier Monaten betreiben sie das Restaurant Zur Goldige Guttere am Brupbacherplatz im Zürcher Kreis 3. Der Name ist vielversprechend und sagt einiges über die Betreiberinnen aus. Die goldene Flasche – eben besagte «Guttere» – ist eine Reminiszenz an das traditionelle Wirtshausschild. Denn Hüsser und Diener transportieren Traditionen gerne und gekonnt ins Hier und Jetzt, lockern sie mit einem schelmischen Augenzwinkern auf und setzen eine Prise Glanz obendrauf. So hängt eine zeitgemässe Interpretation des Wirtshausschildes vor dem Eingang zum Lokal. An der Bar thront eine opulente, selbst getöpferte goldene «Guttere», und das Flaschensujet taucht nochmals neckisch in Form eines goldenen Pins – mit viel Ausdauer auf Ricardo ersteigert – am Revers der Servicemitarbeitenden auf.

Die beiden 27-Jährigen, die gemeinsam die Hotelfachschule Lausanne absolvierten, entdeckten ihre Leidenschaft für eine authentische, lokal geprägte und nachhaltige Gastronomie bereits während des Studiums. Vor einem Jahr – mitten in der Pandemie – machten sie sich mit dem Take-away-Konzept «Iklämmt» selbstständig. In der damals aufgrund von Corona temporär geschlossenen Olé Olé Bar in Zürich verkauften sie hausgemachte Käsetoasts aus Schweizer Produkten über die Gasse und hatten grossen Erfolg damit. Im Sommer folgte das Projekt «Atomic Fritten» in der Gotthardbar in Zürich. Ein ähnliches Konzept, diesmal mit selbst gemachten Pommes frites.

Das Restaurantkonzept lag praktisch fixfertig in der Schublade bereit
Neben ihren Take-away-Projekten schwebte ihnen jedoch stets die Idee eines eigenen Restaurants vor. So entwickelten sie ein Konzept, feilten am Businessplan und an Details. Als im Sommer der Betreiber des damaligen Restaurants Santo auf sie zukam und ihnen das Lokal zur Untermiete anbot, packten sie die Gelegenheit beim Schopf: «Es war genau das, was wir gesucht hatten. Von der Lage, der Grösse und vom Charme des Lokals her», erzählt Hüsser. Und Diener doppelt nach: «Wir konnten es zuerst gar nicht glauben und fragten uns, ist das wirklich ‹real›?»

[IMG 2] Doch, doch, es war ganz und gar «real», und die beiden Frauen brachten in kürzester Zeit ein Restaurant an den Start. Das Lokal und das Klein-Inventar wie Geschirr, Besteck und Gläser waren in gutem Zustand. Ein tüchtiges Durchputzen reichte. Die 40 hochwertigen Horgen-Glarus-Vintage-Stühle liessen sie sich von ihrem Umfeld sponsern. Die Tischplatten frischten sie mit Blecheinsätzen auf, die nun einen schönen Spiegeleffekt erzielen. Die Mutter einer Freundin nähte für sie aus gebrauchten weiss-grün gestreiften Geschirrtüchern passende Servietten. Sie bauten eine Website, kreierten ein Corporate Design, stellten ein Team zusammen, klügelten eine Getränkekarte aus, und Hüsser komponierte das erste Menü. Und zwei Wochen vor Eröffnung packte ihr ganzes Umfeld mit an, um das Restaurant «ready» zu machen.

Jö, ihr zwei, wollt ihr nun wirklich ein Restaurant aufmachen? Habt ihr euch das auch gut überlegt? Wollt ihr nicht noch ein bisschen warten?

Der Unternehmergeist der beiden jungen Frauen stiess jedoch nicht nur auf Gegenliebe. Es habe Reaktionen gegeben im Sinne von: «Jö, ihr zwei, wollt ihr nun wirklich ein Restaurant aufmachen? Habt ihr euch das auch gut überlegt? Wollt ihr nicht noch ein bisschen warten?», erzählt Hüsser. «Und dann denkt man sich, warum denn? Wären wir um die 50 und männlich, hätte es wohl keine solchen Rückmeldungen gegeben», so Hüsser weiter. «Dazu kommt, dass wir genau wissen, was wir wollen, was wir machen und was wir können. Wir haben alles bis ins kleinste Detail geplant und kalkuliert. Es ist unser Beruf», ergänzt Diener. Es sei halt eine Tatsache: Zu Beginn müsse man als Frau mehr leisten und selbstbewusster auftreten als Männer, konstatieren beide. Stelle sich der Erfolg ein, stehe der Applaus wiederum nicht ganz im Verhältnis zum Geleisteten.

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Und genau dieses binäre Denken, das Unterteilen in männliche und weibliche Prägungen, Verhaltensweisen und antrainierte Rollen ist etwas, woran sich die beiden jungen Unternehmerinnen sehr stossen. «Ich bin überzeugt, dass alle enorm davon profitieren könnten, wenn wir nicht auf unser Geschlecht reduziert oder nicht in ein Genderschema gepresst würden. Auch die Männer», sinniert Diener. Doch dazu müssten laut den beiden jungen Gastronominnen zuerst Anpassungen des gesellschaftlichen Systems stattfinden, wie gleiche Löhne für Frauen und Männer, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexiblere Regelungen beim Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub, mehr Akzeptanz für Teilzeitstellen – auch für Männer.

«Es ist wichtig, dass wir für die Gleichberechtigung einstehen»
Da hilft nur, über all das zu reden, reden, reden. «Das Genderdenken ist in uns allen verankert. Wir alle müssen uns dessen bewusst werden und solche Automatismen in uns stoppen», sagt Diener. «Es ist wichtig, dass wir für die Gleichberechtigung einstehen und uns getrauen, Dinge anzusprechen, die wir nicht ‹easy› finden. Auch im nahen Umfeld, auch bei Freunden», führt Diener weiter aus.

Das Team der beiden Gastronominnen besteht aus zehn Teilzeitmitarbeitenden und ist sehr divers. Teils sind es Studienkolleginnen und -kollegen von der Hotelfachschule Lausanne, die ein bis zwei Abende mitarbeiten, teils Leute aus ihrem Netzwerk, die als Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in die Branche gefunden haben, hauptberuflich jedoch einer anderen Tätigkeit nachgehen. Und da ist auch der Onkel von Hüsser, der regelmässig frühmorgens voller Freude zum Gemüseschnipseln kommt.

Steckbrief:
Namen: Meret Diener, Linda Hüsser
Alter: beide 27
Berufe: Gastronominnen
Was wir mögen: D: Butter, Badi, «Brosecco», H: Apéro & Badi
Was wir nicht mögen: D: beim Jassen verlieren, H: Gurken!
Was wir werden wollten: D: Miss Schweiz, H: Hoteldirektorin
Was wir verpasst haben: D: Teen Mum zu werden, H: das Tram gestern
Darüber müssen wir lachen: D: über «Ali G Indahouse», H: mit Meret
Auf diese Eigenschaft könnten wir verzichten: D: Unpünktlichkeit, H: Unordentlichkeit
Im nächsten Leben werden wir: D: eine Kokospalme, H: eine Prinzessin

Anständige Löhne, korrekte Arbeitszeiten und flache Hierarchien
«Wir haben ein gutes Gespür dafür, wer zu uns passt und unsere Philosophie versteht», sagt Hüsser. Dementsprechend gut ist die Atmosphäre im Team, oder «smooth», wie es die beiden nennen. Damit es sich so anfühlt, tun die Chefinnen einiges. Sie bezahlen einen anständigen Lohn, garantieren Schichten von 8,5 Stunden und legen Wert auf einen schmackhaften gemeinsamen Znacht. Zudem pflegen sie eine flache Hierarchie und begegnen ihren Mitarbeitenden auf Augenhöhe.

Ihr eigenes Aufgabengebiet haben sich die beiden Unternehmerinnen aufgeteilt. Diener ist Gastgeberin, macht die Buchhaltung und die Finanzen sowie die gesamte Personaladministration. Hüsser ist für die Kommunikation, das Marketing und die Küche verantwortlich. Die Liebe zur Kulinarik und das Aufspüren neuer Produkte hingegen teilen sie sich.

Es ist nicht nur ein Konzept, sondern entspricht ihrer Lebensphilosophie
Ganz im Sinne der Philosophie von Hüsser und Diener kommen in der «Goldige Guttere» modern interpretierte saisonale, regionale Produkte auf den Tisch, ergänzt mit selbst Eingemachtem. Die Lebensmittel stammen mehrheitlich von kleinen Betrieben. Fleisch spielt eine zweitrangige Rolle. Das aktuelle Menü ist sogar ganz vegetarisch. Zum Zuge kommen zurzeit Wintergemüse wie Lauch, Schwarzkohl, Hülsenfrüchte und eingemachtes Sommergemüse.

Die Haltung, aufzutischen, was Saison und Region hergeben, ist für Diener und Hüsser der einzige sinnvolle Weg, Gastronomie zu betreiben. Es ist für sie nicht nur ein Konzept, sondern entspricht ihrer Lebensphilosophie. Man könnte sagen, die Unternehmerinnen betreiben hier ein Gastroprojekt, das ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit aufs Beste vereint. Wie langfristig ihr erstes Restaurantprojekt sein wird, ist noch offen. Vorerst läuft ihr Vertrag bis Ende September 2022. Im Frühling steht die Entscheidung an, ob eine Verlängerung infrage kommt. Wie auch immer diese ausfallen wird, an Ideen und Konzepten fehlt es der Gastgeberin und der Küchenchefin nicht. Sei es nun weiterhin in der «Goldige Guttere» oder anderswo. Und was auch nie fehlen wird, ist ganz viel Begeisterung und Leidenschaft für das, was sie tun: Gäste glücklich machen.