Das neue Hotel Maistra 160 im Dorfkern von Pontresina lässt die Grenzen zwischen Architektur, Philosophie und Gastfreundschaft verschwimmen. Auch wenn die Architektur von Gion A. Caminada von philosophischen und theologischen Ansätzen getragen und bereichert wird, ist es das Hauptziel seiner Architektur, Orte zu schaffen, die dem Menschen Halt, Zuversicht und Identität verleihen. Mit Caminada dachten die federführenden Hoteliers und Investoren Bettina und Richard Plattner das «Maistra» neu.
Bettina Plattner, woher rührt Ihre Lust, eine neue Art der Gastfreundschaft zu definieren und in einem 35-Millionen-Projekt umzusetzen?
Mein Mann Richard und ich lieben die Branche und gestalten gerne. Wir haben immer Hotels geführt, deren Konzepte neu definiert worden sind. Beispielsweise im Hotel Castell in Zuoz. Natürlich gibt es am Schluss viel mehr Arbeit, als man zuerst annimmt. (schmunzelt)
Gion Caminada, Sie haben sich viel Zeit gelassen, bis Sie den Auftrag im «Maistra» angenommen haben. Weshalb haben Sie gezögert?
Architektur ist für mich mehr, als ein schönes Objekt zu bauen. Bauen ist Leben, und Leben ist Bauen. Wenn ich spüre, dass das Gegenüber eine Sinnhaftigkeit ausstrahlt, dann wird es für mich spannend. Das habe ich bei Bettina und Richard erfahren. Das «Maistra» zu bauen, ist mehr, als eine Investition zu tätigen.
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Weshalb haben Sie einen Stararchitekten gewählt?
Bettina Plattner: Wir wussten, dass Gion Caminada viel zu bieten hat, vor allem auch inhaltlich. Wir waren dann aber überrascht, dass er trotz seiner immensen Erfahrung nicht so tut, als habe er auf alles eine Antwort. Er ist neugierig geblieben.
Gion Caminada: Das passiert, wenn man ein Suchender ist.
Das Maistra soll Teil vom Dorf sein, damit es seiner Verantwortung gerecht wird und zum Erfolg des Dorfes beiträgt.
Bettina Plattner, Hotelière und Investorin
Wie haben Sie sich inspirieren lassen?
Gion Caminada: Ich orientierte mich zuerst an anderen Hotels im Bündnerland, im Berner Oberland und in weiteren Regionen. Auch an den sogenannten Villen aus dem vergangenen Jahrhundert, die die Hauptstrasse von Pontresina säumen. Ich fragte mich, was kann und was muss beim «Maistra» anders sein? Ich wollte das Hotel aus der Gegenwart denken und die Erfahrungen aus Architektur und Hotellerie mit der Gastfreundschaft neu verknüpfen, ähnlich wie es die Theorie der zweiten Naivität in der Theologie tut.
Wir wollten eine Welt schaffen, die ein Versprechen einlöst und Gastfreundschaft lebt. Wenn man abreist, soll eine Sehnsucht entstehen, wiederzukommen.
Gion A. Caminada, Architekt, emeritierter ETH-Professor
Das ist alles recht philosophisch. Wie waren die ersten konkreten Schritte Ihrer Zusammenarbeit? Stellte die Bauherrschaft ein Bauprogramm zusammen und der Architekt skizzierte?
Bettina Plattner: Wir haben tatsächlich folgenden Rahmen definiert: Mein Mann und ich wollten alles, was uns in der bisherigen Tätigkeit wichtig war, im neuen Projekt einbringen. Uns war unsere Beziehung zu den Gästen und Mitarbeitenden immer ein Anliegen, denn die Arbeits- und die Gesprächskultur haben grossen Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Der Gast soll begeistert sein und ein gutes Erlebnis haben – das geht nur, wenn die Stimmung im Haus und die Infrastruktur stimmen. Interessanterweise ist mit Gion Caminada zusammen etwas passiert, das mit der Architektur diese Vision verstärkte. Am konkreten Beispiel heisst das: Wir wollten unbedingt den legendären Pöstlikeller des ehemaligen Hotel Post, das früher hier stand, im neuen «Maistra» wieder aufleben lassen. Daraus ist nun der neue Pöstlikeller entstanden, ein Partylokal für junge Erwachsene.
Visitenkarte
Hotelname: Hotel Maistra 160
Ort: Via Maistra 160, 7504 Pontresina
Eigentümer: Bettina und Richard Plattner, Pontresina
Direktion: Irene und Martin Müller
Architektur: Gion A. Caminada, 7149 Vrin
Eröffnung: 18. November 2023
Zentraler Planungsgedanke: «Ein Ort, der Freude bereitet, weil er mit dem Menschen interagiert, wird ein Heim, ein Zuhause für eine bestimmte Zeit.» Gion A. Caminada
Raumprogramm: 36 Hotelzimmer und 11 Wohnungen, insgesamt 112 Betten. Restaurant, Arvensaal, Bar und Stammtisch mit insgesamt 80 Plätzen. Lounge und Bibliothek mit 25 Plätzen. Pöstlikeller. Atelier «Creative Box». Kuratierte Bibliothek mit über 900 Büchern. Concept Store.
Etagen: Insgesamt 9
Küche: Alpine Oriental Crossover
Wellbeing: Zum Himmel geöffneter Kreuzgang, Atrium mit offenem Feuer, Freiluft-Warmwasserpool, Bio-Sauna, finnische Sauna, Basalt-Dampfbad, Ruheraum mit Sonnendeck, Fitness, Yoga- und Gymnastikraum sowie Behandlungsräume.
Baumaterial: Engadin, Graubünden und Tessin
Künstlerische Beteiligung: Christian Kathriner für Gänge im Untergeschoss und Möblierung im Pöstlikeller. Reto Müller für das Dampfbad aus blauschwarzem Lavagestein.
Planungsphase: 7 Jahre
Bauphase: 36 Monate
Baukosten: 35 Millionen Franken
Mitarbeiterhaus: 19 Einheiten, Kosten: 10 Millionen Franken
Konnten Sie alle Konzeptideen umsetzen?
Gion Caminada: Ein Konzept steht immer in Abhängigkeit zum Kontext. Wir sind in einem Ort eingeschlossen, und deshalb war nicht alles möglich, oder es wurde anders realisiert als vorgesehen. Wir haben jeden Zentimeter ausgelotet. Deshalb ist das «Maistra» ein Stück grösser als das ehemalige Hotel Post.
Welche Idee verfolgten Sie?
Gion Caminada: Wir wollten eine Welt schaffen, die ein Versprechen einlöst und Gastfreundschaft lebt. Wenn man abreist, soll eine Sehnsucht entstehen, wiederzukommen. Traum, Sehnsucht und Gastfreundschaft sind die Leitfäden des «Maistra».
Bettina Plattner: Wir wollten, dass das Hotel an der Hauptstrasse auch ein Kulturangebot für Pontresina bereitstellt. Es soll Teil des Dorfes sein, damit es seiner Verantwortung gerecht wird und zum Erfolg des Dorfes beiträgt.
Welche Bedenken hatten Sie?
Bettina Plattner: Wir wussten, dass Gion Caminada gerne reduziert baut, das kann mitunter eine kühle Wirkung haben. Deshalb sagten wir von Anfang an, dass uns Wohnlichkeit wichtig ist, das ist uns auch gelungen, trotz einer wunderbaren Reduziertheit.
Waren Ihnen die Abläufe nicht wichtig?
Bettina Plattner: Wir haben die Abläufe zusammen mit den Gastgebern Irene und Martin Müller immer wieder besprochen, aber das ist selbstverständlich.
Was war die grösste Herausforderung?
Bettina Plattner: Ich sah immer den Betrieb und die Gäste vor mir. Während der Planung war ich chronologisch selten am selben Ort wie Gion Caminada, der sich vertieft mit der Planung auseinandersetzte. Es waren wie zwei verschiedene Lebenswelten. Aus Erfahrung weiss ich zudem, dass man gewisse Ideen früh anmelden muss, sonst heisst es, dafür sind wir zu spät.
Gion Caminada: In diesem Haus wollte ich alles so gut wie möglich machen und nahm mir deshalb Zeit. Wenn ich gedanklich für eine Idee nicht bereit war, konnte ich sie noch nicht erarbeiten. Alles braucht seine Zeit.
Schweizweit gibt es einen Trend zum Bauen mit nachhaltigen Baumaterialien wie Holz. Im «Maistra» verwenden Sie viel Beton – ein Widerspruch?
Gion Caminada: Mir wird oft gesagt, meine Art von Architektur sei sehr ökologisch orientiert, auch darum, weil ich oft mit einheimischem Holz baue. Das ökologische Prinzip wird heute etwas verklärt und für Populismus missbraucht. Natürlich hat Beton eine schlechte CO₂-Bilanz, und somit sollte man sparsam mit diesem Baustoff umgehen, aber Beton bleibt auch ein grossartiger Baustoff. Das Baugelände des «Maistra» ist ziemlich steil, und das Gebäude umfasst neun Etagen, fünf davon im Hang. In dieser Topografie kann man auf Beton kaum verzichten. Aber wir verwenden auch andere Baumaterialien wie Backstein bei den Hotelwohnungen, ein sehr atmungsaktiver Baustoff, der ein wunderbares Raumklima verspricht, sowie Holz und Textilien.
Sie haben einen Boden aus edlem Terrazzo mit Jade aus dem Bernina-Gebiet verlegt. Woher stammen die anderen Materialien?
Gion Caminada: Wir haben darauf geachtet, möglichst viel aus der Region zu beziehen. Das Arvenholz stammt aus S-chanf, der Naturstein Bodio Nero für die Natursteinsäulen vom Pizzo die Claro, einem Berg im Grenzgebiet zwischen Graubünden und dem Tessin. Uns war wichtig, für eine unbestimmte Zeit zu bauen. Wir haben eine Struktur gesucht, die frei interpretierbar ist und eine gewisse Flexibilität aufweist. Die Räume können unterschiedlich genutzt werden, so wie es bei vielen historischen Grandhotels mit grossartigen Räumen, die über Jahre hinweg funktionieren, der Fall ist.
Wie zufrieden sind Sie mit dem neuen «Maistra»?
Bettina Plattner: Hochzufrieden.
Gion Caminada: Das kann ich heute noch nicht sagen, das wird sich zeigen. Wir wissen, dass wir alle das Bestmögliche versucht haben.
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Bündner Architektur- und Hotelier-Trio
Der renommierte Architekt Gion A. Caminada ist seit Januar 2023 emeritierter Professor der ETH Zürich. Er lebt und arbeitet in seinem Heimatdorf Vrin in der Val Lumnezia. Caminada verbindet auf schlichte Weise traditionelle Materialien und Methoden mit zeitgenössischem Design, Innovation und starkem Ortsbezug. Der Stil des Hotel Maistra 160 ist hochalpin, auf der Höhe der Zeit und ausgerichtet auf die neuen Werte einer sich wandelnden Gesellschaft. Die starke Architektur spielt eine zentrale Rolle und ist integrierter Bestandteil des Konzepts.
Bettina Plattner ist Hotelière, Unternehmerin und Autorin. Gemeinsam mit ihrem Mann Richard Plattner besitzt sie die Plattner & Plattner AG. Das Beherbergungsgeschäft mit den bisher 19 eigenen hotelähnlich bewirtschafteten Ferienwohnungen unter dem Namen Alpinelodging und dem neuen Hotel Maistra 160 bildet die Kerntätigkeit. Das Paar betreibt ausserdem die Plattner & Plattner Art Gallery und das öffentliche Atelier für Kunst, Kultur, Freizeit und Begegnung «Creative Box», das sich im Hotel Maistra 160 befindet. Die 58-Jährige ist zudem VR-Präsidentin der Hotel Krone La Punt Chamues-ch AG und Autorin der Bücher «Wenn Paare ein Unternehmen führen – ein Handbuch», Kösel-Verlag, München, sowie «Engadin St. Moritz – ein Tal schreibt Geschichten», AS-Verlag, Zürich. Richard Plattner, 60, ist VR-Mitglied und Vizepräsident der Engadin Tourismus AG, Gemeindevizepräsident von Pontresina (Tourismus und Kultur), Präsident des Tourismusrats Pontresina und Präsident des Vereins «Erlebnisraum Bernina Glaciers».