Gastbeitrag von Michel Rochat, CEO der Ecole hôtelière de Lausanne (EHL).
Die Frage, wie wir den Lockdown überwinden, beschäftigt uns alle. Denn der andauernde Stillstand ist für Hotels, Restaurants oder Airlines hochgefährlich. Wir brauchen deshalb ein sukzessives und sorgfältiges Herauffahren des Betriebs. Das ist jedoch gar nicht so einfach. So sehen wir uns mit neuen regulatorisch-organisatorischen Anforderungen konfrontiert. Beispiel: Social Distancing in Restaurants und Hotels, wo nur noch jeder zweite Tisch, jedes zweite Zimmer belegt werden könnte. Das ist machbar, aber die Rentabilität ist infrage gestellt. Oder das Thema Hygiene: Wie soll ein Ferienhotel attraktiv bleiben, das seinen Wellness- und Fitness-Bereich nicht öffnen kann? Auch die Psychologie spielt eine wichtige Rolle: Wie motivieren wir Gäste zum Genuss, wenn wir sie mit Schutzmasken an der Réception empfangen? Wie vermitteln wir Vertrauen, wenn Desinfektionsmittel statt Slippers auf dem Zimmer bereitliegen? Die Neuorganisation der internen Abläufe und die sukzessive Rückgewinnung der Kunden ist höchst komplex. Wenn wir hier als Branche glaubwürdig sein wollen, müssen wir uns auf gemeinsame Regeln einigen.
Nun könnte man ketzerisch fragen: Haben wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht? Haben wir als Lehr- und Forschungseinrichtung die heutigen Manager nicht genügend sensibilisiert? Die Antwort muss differenziert ausfallen. Alle touristischen Anbieter kannten das Risiko einer Pandemie seit Jahren. Wir haben mit Sars gekämpft, als Airlines gegroundet wurden. Wir haben die Vogelgrippe erlebt. Wir waren gewarnt, aber dieses Ausmass konnte niemand vorhersehen. Auch wir an der EHL nicht. Zwar unterrichten wir unsere Studierenden im Risk Management sehr umfassend. Nur: Wenn eine globale Dynamik eintritt, wie dies hier der Fall ist, versagen alle Modelle. Vor allem die Kaskaden-Effekte und die Geschwindigkeit, mit der diese eintraten, sind historisch einzigartig. Auch wir als Schule sind betroffen, eröffnen wir doch aktuell gerade den Campus in Singapur, was keine ideale zeitliche Koinzidenz ist. Zudem sind wir gefordert, den Unterricht trotz Schulschliessung aufrechtzuerhalten. Binnen 48 Stunden haben wir 700 Kurse auf Online-/Blended-Learning umgestellt. Und natürlich gilt es, die gerechte Abwicklung der Prüfungen zu garantieren. Das ist ein zentrales Thema, dem wir uns gerade intensiv widmen.
Alle Akteure haben bislang hohes Problembewusstsein bewiesen. Die Schweiz nimmt im DACH-Raum eine Vorbildfunktion ein, etwa bei der Bereitstellung von Übergangskrediten. Ich hoffe, wir können so ganz viele touristische Anbieter retten. Auch wissen wir alle, wie schwierig es ist, gute Fachkräfte zu finden. Deshalb müssen sie unsere erste Priorität sein. Ein ganzes Team nach einer solchen Krise wieder neu zu formen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb braucht es jetzt intensive, offene Kommunikation gegen innen – mit regelmässigen Staff-Infos, mit Video-Chats, mit Sorgentelefon und Ähnlichem. Wir sind hier als empathische Chefs, was ja auch jeden Gastgeber ausmacht, besonders gefordert. Das ist eine Schlüsselkompetenz, die wir an der EHL mit unseren künftigen Talenten ganz intensiv schulen und die künftig noch wichtiger wird – auch mit Blick auf die Gäste. Schliesslich kann unser Geschäft erst wieder tragfähig sein, wenn es uns gelingt, ihr Vertrauen zu gewinnen. Trotzdem: Reisen wird am Anfang mit unguten Gefühlen verbunden sein.
Ist der internationale, globale Tourismus also am Ende? Und kommt jetzt wieder die Zeit des Binnentourismus? So ganz abwegig ist dies nicht. Dass die Erholung der Fernreisen rasch eintritt, glaube ich nicht. Zu sehr sind die Airlines in ihrem Mark getroffen. Grenzen bleiben geschlossen, Reisewarnungen aktiv – länger, als uns lieb ist. Wir werden uns auf ein «Stop & Go» gefasst machen müssen. Trotzdem: Die Hospitality-Industrie ist und bleibt eine Wachstumsbranche. Das zeigt sich gerade in dieser Krisensituation exemplarisch. So ist das Know-how unserer Fachleute in Spitälern oder in subsidiären Bereichen wie der Lieferkette für Lebensmittel gefragt. Auch Take-away-Angebote und disruptive Geschäftsmodelle, die derzeit einen Schub erhalten, sind von der DNA des Hospitality-Gedankens geprägt.
Bleibt die Frage, die uns als weltweit bekannte Managementschule besonders beschäftigen muss: Was lernen wir daraus? Eine Antwort lautet: «Sharing is caring.» Eben haben wir eine breit angelegte Beratungsinitiative durch unsere Experten aus der Consulting-Abteilung gestartet – mit Gratis-Tutorials, einem extensiven Wissensfundus mit Q&A, Best Practices und Artikeln zu Fragen des Recovery Managements zum Download. Und ich erhoffe mir sehr, dass die oft eigensinnigen Akteure dieser Branche nun begreifen, dass Coopetition weit mehr bringt als Competition. Denn wir alle sind Teil einer Industrie, die überleben will und muss.
Michel Rochat