Das Ziel ist vorgegeben: netto null bis 2050. Über den Weg dorthin ist sich auch der Tourismussektor noch uneinig. An der 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT) in Bern diskutierte man über die veschiedenen Aspekte der Klimaneutralität und der «grünen Transformation» im Tourismus. Eingeladen hat die Forschungsstelle Tourismus (Cred-T) an der Universität Bern. Mit der Konferenz beschenkten sich die Organisatoren gleich selber: Die Cred-T feiert heuer ihr zehnjähriges Bestehen.

Dass Tourismus im aktuellen Zeitalter der Ressourcenknappheit noch stattfinden muss, ist weitläufig unbestritten. Bei der Frage nach dem Wie sieht sich die Wissenschaft, als Vordenkerin der Praxis, in der Pflicht, mögliche Lösungsansätze aufzuzeigen.

Klimaschutz ist DIE wirtschaftliche Chance des 21. Jahrhunderts. Wenn wir stehen bleiben, machen andere vorwärts.

Thomas Stocker, Professor für Umwelt- und Klimaphysik, Universität Bern

Stocker fordert «Deglobalisierung des Tourismus»
Rund 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz folgten der Einladung der Cred-T nach Bern. Darunter auch Thomas Stocker, Professor für Umwelt- und Klimaphysik an der Universität Bern. Er zeigt sich überrascht, dass sich die Wissenschaft im deutschsprachigen Raum erst seit dem Ende des 20. Jahrhunderts mit dem Tourismus auseinandersetzt.

Mit Blick auf die Herausforderungen um die Klimaneutralität findet der Berner Klimaforscher klare Worte an die Adresse seiner Kolleginnen und Kollegen aus der Tourismuswissenschaft: «Sie sind langsam unterwegs. Die gute Nachricht: Es ist noch nicht zu spät.» Massentourismus sei Gift für den Klimaschutz, sagt Stocker und fordert deshalb die «Deglobalisierung des Tourismus». Es liege in erster Linie in der Verantwortung der Anbieter, im Kreislauf zu denken und vernünftige Preisregulationen einzusetzen.

Klimaschutz ist laut Klimaexperte Stocker heute nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch ein ökonomischer Imperativ. «Klimaschutz ist DIE wirtschaftliche Chance des 21. Jahrhunderts. Wenn wir stehen bleiben, machen andere vorwärts.» Doch habe die Klimakompensation in der Schweiz einen zu grossen Stellenwert. Statt den Schweizer Franken in einheimische Unternehmen für klimafreundliche Lösungen zu investieren, zahle man noch allzu oft einen Obolus für ein Zertifikat ans Ausland, sagt Stocker.

Erwartungen aus der Praxis an die Wissenschaft
Die anwesenden Touristikerinnen und Touristiker an der DGT-Tagung in Bern äusserten ihrerseits Wünsche an die Forschung. Katharina Conradin vom Naturpark Gantrisch fordert, vermehrt auch die Nachhaltigkeit in wissenschaftlichen Studien zu thematisieren, «statt sich auf Angebote und Wertschöpfung zu fokussieren, im Wissen, dass das längerfristig nicht tragbar ist».

Laut Luca Ravasio vom Myclimate Klimafonds Davos GR wäre es förderlich, wenn die Wissenschaft auch die Effekte eines Strategieumschwungs im Sinne der Klimaneutralität aufzeigen würde. Und René Dobler von den Schweizer Jugendherbergen und CEO der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus sieht die Rolle der Wissenschaft auch in der Wissensvermittlung als Gegenpol zur vorhandenen aktiven Desinformation innerhalb des Tourismussektors.


NACHGEFRAGT

[IMG 2] Monika Bandi Tanner, Co-Leiterin Forschungsstelle Tourismus (Cred-T), Zentrum für Regionalentwicklung, Universität Bern

Monika Bandi, welche Erkenntnisse lieferte die DGT-Tagung?
Das Tagungsthema hat breite Kreise interessiert. Es wurden relevante Fragestellungen aufgeworfen und einige laufende Forschungsprojekte diskutiert. Zu etlichen Fragen, wie der CO2-Destinationsbilanzierung oder der Gästeansprache zu einem veränderten Verhalten, wurden von wissenschaftlicher Seite exemplarische Erkenntnisse vorgelegt. Gerade die Frage des Transformationsprozesses löste auch hitzige Diskussionen darüber aus, wer welche Rolle mit welchem Anspruch leisten kann und auch müsste.

Wie gut kooperieren Wissenschaft und Praxis im Tourismus?
Es besteht ein hohes gegenseitiges Interesse und ein Diskussionswille. Es werden Fragen gestellt und miteinander Lösungsansätze diskutiert, aber auch laufend wieder hinterfragt. Vertretungen von Bund, Kantonen, einzelnen Destinationen sowie Vereinigungen und Verbänden zeigen die Attraktivität und Zugänglichkeit der Tourismusforschung für die Praxis in dem Themenbereich.

Was könnte noch besser laufen?
Wichtig wäre, dass im Tourismus Offenheit für Klimaneutralität vorhanden ist. Druck von klimatologischen Entwicklungen und politischer Seite können zu Verweigerung und Ängsten führen. Diese gilt es zu reduzieren. Der Tourismus kann den Klimawandel nicht stoppen. Er muss aber seinen Teil zur Abschwächung der Klimakrise beitragen.

Braucht es eine koordinierte Emissionsbilanzierung für das Netto-null-Ziel im Tourismus?
Emissionsbilanzierungen sind sehr wichtig. Damit können zentrale Hebel für die Reduktion der Emissionen identifiziert und Verbesserungen sichtbar gemacht werden. Einheitliche Emissionsbilanzierungen sind für ein Benchmarking untereinander erstrebenswert und motivieren.