Daniel Kalt, im Tourismus rechnen manche erst 2023 mit einer Erholung. Gleichzeitig zeigt die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts, dass es um die Schweizer Wirtschaft doch gar nicht so schlecht bestellt ist. Diese Krise scheint schwer fassbar zu sein.
Wir haben es mit einer ganz anderen wirtschaftlichen Krise als sonst zu tun. Normalerweise bahnt sich eine Krise an, es entwickelt sich eine Blase, in welcher Marktmechanismen aus dem Ruder laufen. Diesmal war die Wirtschaft in der Schweiz, aber auch weltweit beim Start der Krise weitgehend gesund, es gab keine Anzeichen. Normalerweise sinkt mit dem Aufkommen einer Wirtschaftskrise die Konsumfreudigkeit. Das war diesmal ganz anders, die Ausgabefreudigkeit blieb, verlagerte sich nur auf andere Bereiche. Apple machte elf Prozent mehr Umsatz im zweiten Quartal.
Wie lange darf die Krise noch dauern, ohne die Schweizer Volkswirtschaft substanziell zu gefährden?
Man kann aktuell noch nicht sagen, dass die Wirtschaft generell leidet. Es gibt Sektoren, die profitieren sogar massiv. Alles Digitale zum Beispiel. Die Krise wird den Strukturwandel in vielen Bereichen stark beschleunigen. Wichtig ist, eine wirtschaftliche Depression zu verhindern, noch ist die Konsumfreude da.
Davon profitiert auch die Hotellerie. Ohne den florierenden Inlandtourismus hätte es die Branche dieses Jahr in ihrer Gesamtheit noch deutlich stärker getroffen.
Das ist so, doch wie lange die Konsumfreude in Europa noch so anhält, weiss man nicht. Es ist zu erwarten, dass die Arbeitslosigkeit wie bei der Finanzkrise ansteigt. Irgendwann erreicht diese dann den Punkt, wo die Konsumfreude kippt.
Ab wann ist das erfahrungsgemäss der Fall?
Hier gibt es verschiedene Faktoren, die mitspielen. Der exakte Punkt ist schwer zu bestimmen. In der Schweiz könnte eine Arbeitslosenquote von über 4 oder 4,5 Prozent zusammen mit entsprechenden Schlagzeilen in den Medien die Konsumstimmung bereits drehen. Zudem ist die Frage, ob und wann eine zweite Infektionswelle kommt. Im Augenblick können wir noch draussen sitzen und uns an der frischen Luft treffen.
Die Arbeitslosigkeit wäre ohne die Kurzarbeit wohl heute schon so hoch. Wie lange kann sich die Schweiz die Kurzarbeit noch leisten?
Der Schweizer Staatshaushalt könnte noch mal doppelt so viel Geld wie bis anhin für die Corona-Krise in die Hand nehmen, ohne das AAA-Kreditrating auf langfristige Staatsanleihen zu verlieren. Die Kurzarbeit hilft, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren, und wir könnten uns eine solche auch noch ein bis zwei Jahre länger leisten. Die Kurzarbeit fördert auch klar die raschere Erholung der Wirtschaft. Allerdings geht das mit einer Strukturerhaltung einher und schwächt langfristig die Innovationskraft der Schweizer Wirtschaft insbesondere gegenüber jenen Ländern, welche diese finanziellen Mittel nicht haben. Man sieht ja jetzt schon, wie viele neue und innovative Start-ups entstehen, die in der Krise nach Lösungen suchen.
Also besser den Markt alleine lassen und dem Strukturwandel nichts in den Weg legen?
An diesen Punkt werden wir kommen, so hart er im ersten Moment, auch sozial, für die Gesellschaft sein mag.
Im Vergleich zur Finanzkrise ist die Ausgangslage jetzt besser. Es wurden nur circa 50 Prozent der zinslosen Covid-Kredite in Anspruch genommen. Wird Covid den Tourismus stärker oder weniger stark treffen als die Finanzkrise?
Der Einbruch könnte auch schlimmer ausfallen. Das hängt davon ab, wann ein valabler Impfstoff auf den Markt kommt und wie dieser, auch weltweit, zugänglich ist. Ist bis im Frühjahr ein solcher Impfstoff auf dem Markt, dürfte der Tourismus noch einigermassen glimpflich durch die Krise kommen.
Wie sehen Ihre langfristigen Einschätzungen für den Tourismus aus?
Es wird nicht bei der einen Corona-Krise bleiben. Wir müssen uns darauf einrichten, dass durch eine Epidemie ausgelöste Krisen in Zukunft immer häufiger werden und in kürzeren Zeitabständen die Wirtschaft dämpfen. Eine Folge der Urbanisierung, der Globalisierung und der internationalen Reisetätigkeit.
Wird in Zukunft weniger gereist?
Die Mobilität wird abnehmen. Das sehen wir schon bei unserer Bank. Die UBS hat in der Schweiz 25 000 Mitarbeitende. In der Krise wurden 20 000 Mitarbeitende nach Hause ins Homeoffice geschickt. Die Bank funktionierte weiter wie bis anhin. Dass internationale Treffen auch digital funktionieren, das wissen wir jetzt. Wie viel im Businessbereich künftig noch gereist wird, bestimmt allerdings der Kulturkreis der Businesspartner mit. Im Westen ist bei Vereinbarungen die Vertragsunterzeichnung das Relevante, in Asien ist es dagegen oft der Händedruck.
In der Schweiz sind nicht alle Regionen im gleichen Ausmass von der aktuellen Krise betroffen.
Basel geht es gesamtwirtschaftlich gesehen aktuell in der Schweiz am besten. Der Konjunktureinbruch war weniger drastisch. Und bei der Pharmaindustrie erwarten wir sogar ein Wachstum.
Swiss Innovation Day 2020
«Die Sicherheit ist die Basis fürs Business»
Es war der erste grosse Branchenevent seit Beginn der Krise. Die Veranstalterin SHS Academy AG zeigte bei ihrem Swiss Innovation Day 2020 in der Zürcher Maag-Halle, wie ein Kongresstag heute aussieht: Fiebermessen am Eingang, Maskenpflicht während der gesamten Veranstaltung, mehr Raum bei gleichzeitig weniger Teilnehmenden: In der Eventhalle selbst wurde nur jeder zweite Platz freigegeben. Das Thema des Tages: «Back to the Future» – Referate und Diskussionen drehten sich um die Krise und das Danach. Eine prägnante Lageeinschätzung lieferte Jürg Schmid: Der heutige Präsident von Graubünden Ferien prognostizierte den Leisure-Regionen für die Krisenzeit ein florierendes Geschäft, im zum The Living Circle gehörenden «Castello del Sole» in Ascona hätte man diesen Sommer «jedes Bett zweimal belegen können», so der Chef der Luxushotel-Kollektion. [IMG 2]
Unter anderem aufgrund der Schutzmassnahmen erwartet der erfahrenen Touristiker, dass im kommenden Winter Winterwandern und Langlaufen boomen werden. «Darauf müssen sich die Bergbahnen einstellen.» Will heissen: andere Ticket-Packages neben dem Ski-Wochenticket schnüren und ergänzend zu den Pisten mehr Winterwanderwege präparieren. Schmid warnt davor, Lockerungen bei den Schutzmassnahmen anzustreben: «Die Sicherheit ist die Basis für den Umsatz.» Hingegen müssten «die Stadthotels lernen, mit einer Zimmerauslastung von 30 bis 35 Prozent zu leben», so Schmid. Der langjährige Direktor von Schweiz Tourismus schätzt, dass das Incoming aus den USA rund fünf Jahre benötigt, bis es sich wieder vollständig erholt hat. Und kaum ist die Krise einigermassen überstanden, erwartet er «Greta» respektive das Thema Nachhaltigkeit zurück auf der Agenda.
Bis dahin muss die Branche noch weiter testen, wie Event-Erlebnis und der geforderte hohe Hygienestandard am besten vereinbar sind. Am Swiss Innovation Day kam das Networking nicht ganz so in Fahrt wie gewohnt: Ob man sich an ein Plaudern mit Maske je gewöhnt?
GUDRUN SCHLENCZEK