Gleich vier Experten gaben am Montagnachmittag am regelmässigen Point de Presse des Bundes Auskunft zu den Themen Rückverfolgung von Corona-Fällen – genannt Contact-Tracing – und zur Schweizer App
– genannt Proximity-Tracing- oder Swiss-Covid-App. Allemachten deutlich: Die App sei als technisches Hilfsmittel zur Bekämpfung des Coronavirus nützlich, werde aber nicht der Heilsbringer sein.
«Es gibt keinen Beweis, dass man mit einer App die Epidemie stoppen kann», sagte Marcel Salathé, Leiter der bundeseigenen Expertengruppe «Digital epidemiology». Wenn aber rund 60 Prozent der Bevölkerung die App benutzten und sich an die Quarantäne-Anweisungen hielten, könne die Reproduktionszahl unter 1 gehalten werden.
Notwendige Begleitmassnahmen
Das analoge Contact-Tracing funktioniere im Moment nur suboptimal, sagte Daniel Koch, Delegierter des Bundesamts für Gesundheit (BAG) für Covid-19. «Wir müssen besser wissen, wer wann wo war.» In Restaurants und Bars ist die Angabe der Kontaktdaten freiwillig. Koch wünscht sich, dass mehr Personen mitmachen.
Die Swiss-Covid-App sei nicht das einzige Mittel, auf das man sich verlassen könne. Es handle sich dabei lediglich um ein nützliches Instrument. Auf keinen Fall sollten Personen, welche die App installiert haben, auf weitere Massnahmen verzichten. Die normalen Abstands- und Hygieneregeln seien weiterhin einzuhalten.
«Wir können Technologie»
Neben all diesen Relativierungen rührten die Behörden am Montag die Werbetrommel für die App: Die Schweiz sei das erste Land weltweit, bei der die Gesundheitsbehörde eine Lösung präsentiert, welche die Schnittstelle von Google und Apple für das Proximity-Tracing nutze.
«Wir können Technologie», sagte Salathé. Ob die App schliesslich funktioniere, werde sich zeigen. Die Pilotphase sei wichtig. Die Schweiz werde auch intensiv aus dem Ausland beobachtet. Den gesetzlichen Rahmen für den regulären Einsatz der App sollen National- und Ständerat im Juni während der Sommersession verabschieden.
Kontaktdaten dezentral gespeichert
Schon vor der Parlamentsdebatte ab dem 28. Mai werden Hacker die Schweizer Tracing-App «auf Herz und Nieren» prüfen und mögliche Schwachstellen melden, wie Sang-Il Kim, Leiter Abteilung Digitale Transformation im BAG, sagte. Der Datenschutz ist gemäss einer repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo der am häufigsten genannte Grund, der aus Sicht der Befragten gegen die Installierung der Corona-App des Bundes spricht.
Diese Bedenken versuchten die Experten auszuräumen. Laut Salathé ist die App so konfiguriert, dass nicht gleichzeitig die Tracing-App und GPS aktiviert sein können. Somit würden keine Bewegungsdaten übermittelt. Zudem würden Kontaktdaten nicht zentral gespeichert. «Die Bevölkerung kann beruhigt sein: Eine Überwachung ist nicht möglich.»
Weitere Sensibilisierung nötig
Der derzeit grösste Stolperstein für einen Erfolg der App sind die in der Bevölkerung verbreiteten Wissenslücken, wie die Sotomo-Analyse weiter zeigt: Viele hätten zwar bereits von der Existenz einer Contact-Tracing-App gehört. Von vier abgefragten Aspekten kannten fast zwei Drittel der Befragten aber höchstens einen. Am ehesten bekannt ist, dass die Installierung der App freiwillig ist.
Die bestehenden Wissenslücken sind relevant, weil vermehrtes Wissen zu einer höheren unmittelbaren Installationsbereitschaft führt. «Personen, die mehr über die App wissen, sind eher bereit, sie herunterzuladen», sagte Kim. Der Bund starte deshalb nach dem Parlamentsentscheid im Juni eine Aufklärungskampagne.
Politische Fragen offen
Das Parlament wird weitere Hindernisse aus dem Weg räumen müssen. So fordern zahlreiche Covid-19-Wissenschaftler Unterstützung für Personen in Quarantäne. Personen, die sich nach einem App-Alarm freiwillig in Quarantäne begeben, haben derzeit keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung.
Ohne eine Kompensation für die «erheblichen Nachteile», die eine Quarantäne mit sich bringe, werde der epidemiologische Erfolg des Tracings gefährdet, monieren die Forschenden um Marcel Salathé. (sda)