Bis am kommenden Sonntag können sich die politischen Parteien und Verbände zum Bau einer zweiten Gotthard-Röhre im Zusammenhang mit der Sanierung des bestehenden Strassentunnels äussern. Die Fronten sind geklärt, der Ausgang einer allfälligen Volksabstimmung aber vollkommen offen.
«Die Vorlage ist verfassungswidrig, unnötig und untergräbt die Verlagerungspolitik», halten die Grünen in ihrer Antwort fest. Ein zweiter Tunnel stelle faktisch einen Kapazitätsausbau dar, was im Widerspruch zum jetzigen Alpenschutzartikel stehe.
Zudem sei der bundesrätliche Vorschlag um Milliarden teurer als die Sanierung ohne zweiten Tunnel. Deshalb fordern die Grünen eine Sanierung mit Bahnverlad für Autos und Lastwagen. «Die Schienenkapazitäten dazu werden mit der Eröffnung des NEAT-Basistunnels am Gotthard vorhanden sein.»
Viel zu teuer
Die SP ist ähnlicher Ansicht. Eine zweite Röhre sei nicht nur ökologisch und ökonomisch gesehen eine Fehlinvestition, sondern stelle vor allem auch die Rentabilität der NEAT infrage.
Zudem werde das in der Verfassung festgeschriebene Verbot der Kapazitätserweiterung mit dem revidierten Gesetz löchrig. «Die SP ist der festen Überzeugung, dass diese ‹Garantie› nicht mehr als ein politisches Statement sein wird, das über kurz oder lang hinfällig wird», schreibt die Partei in ihrem Entwurf der Vernehmlassungsantwort.
Die Grünliberalen und die EVP lehnen die zweite Röhre aus ähnlichen Gründen ab.
Bürgerliche unterstützen Bundesrat
Im bürgerlichen Lager ist die bundesrätliche Vorlage erwartungsgemäss wenig umstritten. Für die SVP ist der Neubau einer zweiten Tunnelröhre «die mit Abstand sinnvollste Lösung». Sie erhöhe die Sicherheit, stelle die Nord-Süd- Verbindung sicher und sei auch mit Blick auf weitere Sanierungen «ein echter Mehrwert».
Mit der gesetzlichen Begrenzung auf eine Fahrspur pro Röhre bleibe auch die Verfassungsmässigkeit gewahrt. «Einer möglichen Kapazitätserweiterung wird damit wirksam ein Riegel geschoben.»
Die FDP und die BDP teilen die Argumente des Bundesrats vollumfänglich. Die Alternativen einer zweiten Röhre seien nicht zielführend. Die Vorlage stelle zudem sicher, dass für den internationalen Transitverkehr die Gotthard-Route nicht attraktiver werde, hielten die Parteien in ihrer Antwort fest.
Die CVP stimmt gemäss eigenen Angaben der zweiten Röhre ebenfalls zu, wenn die Kapazitätsbeschränkung gesetzlich verankert und der Alpenschutzartikel nicht geändert werde. Demgegenüber hätte eine Vollsperrung des Tunnels inakzeptable Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Kantone stellen Bedingungen
Auch die Kantone stimmen einer zweiten Röhre unter Bedingungen zu. So soll die Sanierung des Gotthard-Strassentunnels nicht zulasten anderer Verkehrsprojekte gehen. Auch müssten die Beschränkung auf eine Fahrspur pro Richtung gesetzlich abgesichert und flankierende Massnahmen ergriffen werden.
Falls diese Punkte nicht sichergestellt würden, sei eine Vollsperrung mit kurzer Sommeröffnung zu bevorzugen, schreibt die Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz (BPUK) in ihrer Stellungnahme. Ansonsten hätte der Bau einer zweiten Gotthard-Röhre vor allem aus Sicherheitsgründen aber mehr Vorteile.
Die beiden direkt betroffenen Kantone Uri und Tessin sehen die Sache unterschiedlich. Während sich die Urner Regierung zum wiederholten Mal gegen eine zweite Röhre am Gotthard ausspricht, bittet der Kanton Tessin um politische Unterstützung für ebendiese.
Tourismus und Hotellerie befürworten zweite Röhre
Der Branchenverband hotelleriesuisse würde den Bau einer zweiten Strassenröhre am Gotthard ebenfalls begrüssen. Dem Tunnel komme für den Tourismus in den betroffenen Regionen eine besondere Bedeutung zu, hält der Unternehmerverband der Schweizer Hotellerie fest.
Eine vorübergehende Sperrung hätte in den betroffenen Kantonen erhebliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und insbesondere auf den Tourismus, und der Bau einer zweiten Röhre würde überdies die Zuverlässigkeit der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung der Schweiz und die Sicherheit verbessern, so hotelleriesuisse.
Auch der Schweizer Tourismus-Verband (STV) unterstützt den Bau eines zweiten Strassentunnels ohne Kapazitätserweiterung mit anschliessender Sanierung des bestehenden Tunnels, wie der Verband in seiner Stellungnahme im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens von Anfang April schreibt.
Zustimmung hier, Skepsis dort
Der Schweizerische Nutzfahrzeugverband ASTAG, Strasseschweiz (Verband des Strassenverkehrs FRS), der Touring Club Schweiz (TCS) und der Automobil Club der Schweiz unterstützen die Vorschläge der Landesregierung vollumfänglich, vor allem aus Gründen der Verkehrssicherheit.
Anderer Meinung sind der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) und der Verband öffentlicher Verkehr (VöV). Sie lehnen den Bau einer zweiten Strassentunnelröhre ab.
Referendum praktisch sicher
Auch wenn der Bau einer zweiten Röhre vom Parlament genehmigt würde, hätte das Volk wohl das letzte Wort. Eine breit abgestützte Allianz – darunter die SP, die Grünen und die Alpen-Initiative – hat bereits das Referendum angekündigt.
Letztere reichte gewissermassen als Testlauf am Donnerstag eine Petition mit68'000 Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein. Für ein Referendum wären50'000 Unterschriften innerhalb von 100 Tagen nötig.
Es wäre das dritte Mal nach 1994 (Alpenschutzinitiative) und 2004 (Avanti- Initiative), dass das Volk direkt oder indirekt über den Bau eines zweiten Tunnels befinden würde. Bisher lehnte es solche Bestrebungen immer ab. (npa/sda)