Am ersten Montag im August fuhren rund 700 Personen aufs Stanserhorn, am Dienstag waren es 500 und am Mittwoch gerade noch 170. Zum Verglich: An einem sonnigen Julitag wollten 1600 Menschen die Aussicht geniessen. «Das schlechte Wetter macht uns Sorgen», sagt Michael Lischer, stellvertretender Direktor der Cabrio-Stanserhorn-Bahn. Mit Blick auf April und Mai, als es schneite, ungemütlich kalt war und das Restaurant den Besuchenden nur die Terrasse anbieten konnte, erstaunen die schlechten Zahlen nicht. «Im Vergleich zu 2019 haben wir 54 Prozent weniger Gäste.»
Fatale Situation für Bahnen ohne Wintergeschäft
Ähnliches hört man von anderen Betrieben. Die Bergbahnen Adelboden und Aletsch verzeichnen ein Minus von 18 Prozent, die Niesenbahn hat 19 Prozent weniger Passagiere, bei den Zermatter Bergbahnen sind es 30 Prozent, bei den Rigi-Bahnen 35 Prozent, die Säntis-Schwebebahn liegt 57 Prozent hinter einem Normaljahr, und die Pilatus-Bahnen beklagen im Vergleich zu 2019 knapp 60 Prozent weniger Gäste. Börsenkotierte Unternehmen wie die Titlis- oder die Jungfraubahnen hüllen sich zahlenmässig in Schweigen, und eine Handvoll Betriebe kommt klar mit dem Sommergeschäft. Zum Beispiel die Betriebe in Arosa und Lenzerheide. Letztere freuen sich gar über den zweitbesten Sommer der letzten Jahre mit 4 Prozent mehr Besuchenden als 2019 und einem Umsatzplus von 15 Prozent. Bei den meisten Betrieben sind die Umsatzzahlen des ersten Halbjahrs noch nicht bekannt oder werden noch nicht kommuniziert.
In der Schweiz gibt es rund 500 Bergbahnen. Branchenkenner gehen davon aus, dass schon vor Corona zwei Drittel von ihnen zu kämpfen hatten. Für Betriebe, die vom Sommergeschäft leben, ist die Situation fatal. Dazu Godi Koch, CEO der Pilatus-Bahnen: «Es fehlen die internationalen Gäste und Gruppenreisen, die normalerweise die Hälfte aller Besuchenden ausmachen. Hinzu kommt, dass wir im Winter keinen Skibetrieb haben, mit dem wir den Schlechtwetterausfall kompensieren können.»
Umsatzeinbrüche wirken sich auf Liquidität aus
Auch die klassische Sommerbahn Diavolezza, die in den vergangenen Jahren bei chinesischen und südostasiatischen Touristen sehr beliebt war, beklagt 35 Prozent weniger Gäste. «Dieser Einbruch ist schmerzhaft und wirkt sich direkt auf die Liquidität aus», sagt Markus Moser, CEO der Diavolezza Lagalb AG.
Trotz angespannter Lage zeigen sich die Betriebe in Sachen Liquidität zuversichtlich. «Dank erfolgreichen Ergebnissen in den letzten zehn Jahren und einer umsichtigen Ausgaben- und Dividendenpolitik konnten wir Reserven bilden. Diese helfen nun, die schwierige Zeit zu überbrücken», sagt etwa der Pilatus-Chef.
Auch andere sprechen vom «sorgfältigen Geschäften» in den letzten Jahren, von Rückstellungen und klugen Vorkehrungen. Bei der Corvatsch AG und der Diavolezza Lagalb AG wurden zum Beispiel bereits im Frühling Aktienkapitalerhöhungen genehmigt, andere Unternehmen wollen solche Erhöhungen beantragen oder haben stille Reserven aufgelöst. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es kritisch wird. «Das hängt von der Dauer der Kurzarbeitsentschädigung und der Ausrichtung der beantragten Härtefallgelder ab», sagt Godi Koch. [RELATED]
Ein Fakt für alle ist: Investitionen und Betriebskosten sind so anzupassen, dass es zu keiner kritischen Situation kommt. «Fokussiert wird auf die Kosten, auf das Wetter haben wir keinen Einfluss», sagt Urs Wohler von der Niesenbahn. Die Zermatter Bergbahnen haben nicht betriebsnotwendige Investitionen in der Höhe von rund 10 Millionen Franken zurückgestellt. Bei den Betrieben Rigi und Männlichen werden Ausgaben von rund 2 Millionen auf Eis gelegt, in Arosa hat man die jährlichen Investitionen von rund 7,5 Millionen auf 4 reduziert, und die Bergbahnen Adelboden sagen, das Grossprojekt «Direttissima» werde etwas länger dauern.
Gefährliche Aufschiebung von Investitionen
«Uns fehlen nach zwei von der Pandemie geprägten Wintersaisons rund 15 Millionen Franken Cashflow. Die hätten wir gerne investiert», sagt Vidal Schertenleib, VR und Bereichsleiter Immobilien, Marketing und Hotels bei der Davos Klosters Bergbahnen AG. «Wenn ich sehe, welche Investitionsförderprogramme das nahe Ausland startet, mache ich mir schon Sorgen.» Ein Aufschub von Investitionen, wissen die Bahnbetreiber, kann gefährlich werden und die Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigen. Deshalb halten die Titlis-Bergbahnen an ihrem 100 Millionen schweren Leuchtturmprojekt «Titlis 3020» fest und die Kollegen vom Pilatus an der Erneuerung der über 130-jährigen, steilsten Zahnradbahn der Welt für 55 Millionen.
Attraktive Jahreskarten für Familien, Frühbucher-Skikarten und neue Angebote im kulinarischen und im Übernachtungsbereich sollen helfen, die Kassen der Bergbahnen zumindest etwas zu füllen. In der Zwischenzeit werden eifrig Wetterberichte studiert, Einsatzpläne angepasst, und man hofft auf einen sonnigen Herbst.
Natalia Godglück