Die Weisse Arena in Flims/Laax ist um eine Auszeichnung reicher: Ende Oktober verlieh Seilbahnen Schweiz dem Bergbahnunternehmen den Swiss Mountain Award 2019 für «besonders innovative Leistung». Im Fokus der Auszeichnung steht die Inside Laax App, eine Mobilgeräte-Plattform für die Gäste der Weissen Arena. «Der Gast steht auf dieser App konsequent im Mittelpunkt und erhält einen klaren Mehrwert», begründet Jurypräsidentin Monika Bandi Tanner, Co-Leiterin der Forschungsstelle Tourismus der Universität Bern, die Wahl gemäss Medienmitteilung. Die App vereine viele gästerelevante Dienstleistungen auf einer einzigen Plattform und sei gleichzeitig auch für die touristischen Leistungserbringer interessant, weil sie aufzeige, wie viele welcher Gäste wo auf dem Berg seien und was diese benötigten. Angebot und Prozesse könnten so datenunterstützt noch kundengerechter gestaltet werden.

Gamification erzeugt einen emotionalen Mehrwert
Eher beiläufig erwähnt wird in der Medienmitteilung der Aspekt der Gamification. Die Nutzer können in der App nämlich nicht nur Skitickets und Parkplätze buchen oder einen Tisch in rund 20 verschiedenen Restaurants reservieren, sondern sammeln nebenbei auch noch Punkte – und zwar auch bei Dingen, die keinen direkten Mehrwert für die Leistungsträger generieren. Die Punkte dienen in erster Linie dem Leaderboard-Ranking und können «in real life» lediglich gegen Kleinigkeiten wie einen Kaffee oder Merchandise-Artikel eingelöst werden. Daneben können die Gäste während ihres Aufenthalts bis zu 200 «nutzlose» digitale Abzeichen, sogenannte Badges, freischalten, etwa für die Überwindung von 10'000 Höhenmetern an einem einzigen Tag oder die Nutzung sämtlicher Lifte. «Nicht nur Konsum wird belohnt, sondern auch Aktivitäten in der Destination», erklärt Kristian Paasila, CEO und Mitgründer der App-Entwicklerin Inside Labs. Die Bergbahnen könnten so die «letzte Meile» verbessern und aufwerten. Für den Gast entstehe ein attraktiveres Erlebnis entlang der gesamten Customer Journey. «Weg von der Transaktionsökonomie hin zu einer Erlebnisökonomie», drückt es Paasila aus. [IMG 3]

Seit der Lancierung vor mehr als 3 Jahren sei die Inside Laax App bereits über 200'000 Mal heruntergeladen worden. «Im Winter haben wir ungefähr 100'000 Gäste, die die App aktiv nutzen», sagt Paasila. Doch was genau macht den Reiz der spielerischen Elemente aus? Der monetäre Gegenwert der gesammelten Punkte wohl kaum. Die Studie «Tourist’s motives for gamified technology use» der Doktorandin Annika Aebli, publiziert in «Annals of Tourism Research», hat deshalb am Fallbeispiel der Inside Laax App versucht herauszufinden, was die Sammellust der Gäste tatsächlich antreibt. «Es gab zum Thema Gamification wenig wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse», so Paasila. Deshalb habe man auf die Anfrage der Forscherin aus Chur positiv reagiert. «Gamification zielt auf tieferliegende Werte, die den Menschen wichtig sind, zum Beispiel Selbstbestimmung oder soziale Anerkennung», resümiert die Studienautorin (siehe «Nachgefragt») das Hauptergebnis ihrer Arbeit. Die spielerischen Elemente der App erzeugten somit einen nicht zu unterschätzenden emotionalen Mehrwert beim Gast.

Im Gesundheitsbereich verbreitet, im Tourismus noch rar
Für Tourismus-Professor Christian Laesser ist diese Erkenntnis plausibel. «Aus psychologischer Sicht steht ein Spiel einem touristischen Erlebnis recht nahe. Beides macht man freiwillig, und es macht in der Regel Spass.» Beide Aktivitäten aktivierten zudem das Belohnungszentrum im Gehirn.

Ganz neu ist Gamification indes nicht. Im Gesundheitsbereich sind Wearables und Apps wie Schrittzähler, Pulsuhr, Schlaf-Tracker oder Fasten-Timer längst verbreitet. Auch sie zeichnen nicht nur Daten auf, sondern belohnen die Nutzer mit digitalen Abzeichen für besondere Errungenschaften. Im Tourismus sind solche spielerischen Elemente dagegen noch relativ rar. Branchenkenner schätzen die Inside Laax App deshalb nicht nur in der Schweiz, sondern auch international als «cutting edge» ein.

Laut Kristian Paasila hat der spielerische Wettbewerb noch einen weiteren schönen Nebeneffekt: Die App sorgt für Gesprächsstoff unter wildfremden Menschen. «Man tauscht tagsüber auf dem Sessellift oder abends an der Bar die Nutzernamen aus, vernetzt sich, vergleicht die eigenen Leistungen mit denen des Gegenübers.» Der virtuelle Wettkampf sorgt für soziale Interaktion abseits des Bildschirms.

Auch nach der Abreise hält die App den Bezug der Nutzer zur Destination aufrecht. Da die Ferienerlebnisse und -errungenschaften auf einzelne Tage heruntergebrochen werden, fungiert die App sozusagen auch als digitales Tagebuch. Man kann nachvollziehen, wo und wie viel man gefahren ist, bei welcher Temperatur und welche Badges man dabei freigeschaltet hat, etwa «Bluebird» (wolkenfreier Tag), «Earlybird» (früh auf der Piste) oder «Powderday» (ab einer gewissen Menge Neuschnee). Dank dieser Elemente könne sich der Gast besser an konkrete Erlebnisse zurückerinnern, ist Paasila überzeugt. Punkte sammeln könne er übrigens auch ausserhalb der Destination, zum Beispiel am Zürcher Hauptbahnhof oder bei einem Quiz daheim. «Wir wollen die Gäste belohnen, wenn sie an uns denken», sagt Paasila. «Die Identifikation mit der Destination nimmt zu. Die Leute kaufen sich von den Punkten ein Laax-T-Shirt und erzählen ihre Achievements stolz im Büro herum.»

Doch führt das letztendlich auch dazu, dass die Gäste immer wieder in die Weisse Arena zurückkehren? Genaue Zahlen will Paasila dazu nicht nennen. «Die App ist sowohl bei Zweitwohnungsgästen als auch bei Tagesgästen beliebt», versichert er lediglich. Die Wertschöpfung habe allerdings zugenommen, weil die Gäste dank der Gamification-Elemente öfters und länger Skifahren würden. Die App werde übrigens nicht nur von jüngeren Usern genutzt. «Die App ist in allen Altersklassen akzeptiert.» Die Nummer 1 auf dem Leaderboard sei bereits in seinen 70ern. «Der hat in der letzten Saison nur vier Skitage verpasst», erzählt der CEO stolz.

Für Forscherin Annika Aebli beweist das Beispiel Laax: «Wer Gamification macht, muss sich mit den tieferen Werten der Gäste befassen. Wenn die Mechanismen bei den persönlichen Werten der Gäste anknüpfen, dann kann Gamification einen wertvollen Beitrag zum Gästeerlebnis leisten.»

Die Erkenntnisse aus der Forschungsarbeit werden laut Kristian Paasila bereits bei der Konzeption von neuen App-Funktionen berücksichtigt. Auf bevorstehenden Winter stünden einige Neuerungen an: Die Benutzeroberfläche soll modularer, d. h. individueller gestaltbar, werden. Neue Schnittstellen sollen den Einbezug von anderen Apps und Services ermöglichen.


Nachgefragt
«Es geht um mehr, als Punkte und Trophäen zu verteilen.»

Annika Aebli, was ist die Haupterkenntnis Ihrer Arbeit?

Gamification, also spielerische Technologie, kann dem Gast dabei helfen, bedeutungsvollere Erlebnisse zu kreieren. Und zwar im Einklang mit jenen Werten, die ihm wichtig sind. Diese positiven Erlebnisse können sein Wohlbefinden fördern und somit auch seine Erholung unterstützen. [IMG 2]

Was genau meinen Sie mit «bedeutungsvollen Erlebnissen»?

Viele glauben, bei Gamification gehe es einfach nur um Spass. Kurzfristig stimmt das, es geht jedoch noch um viel mehr, um Bedürfnisse, die tief im Unterbewusstsein verankert sind. Es ist gar nicht so leicht, zu diesen Werten vorzudringen.

Wie haben Sie es geschafft?

Ich habe die Menschen nach Gedanken und Gefühlen im Zusammenhang mit der Feriendestination befragt. Dazu habe ich methodisch eine «Leitertechnik» angewendet, um herauszufinden, was den Gästen wirklich wichtig ist.

Und was ist den Gästen wirklich wichtig?

Das sind Gefühle von Freiheit, von sozialer Verbundenheit, aber auch Selbstbestätigung im Sinne von etwas zu erreichen. Es sind diejenigen Werte, welche im Alltag oftmals zu kurz kommen und die durch Gamification optimal unterstützt werden können.

Was hat die Destination davon?

Gamification-Technologie kann zum Engagement der Gäste in der Destination beitragen. Die Gäste unternehmen mehr und bleiben länger. Ausserdem besteht die Chance, eine Gästebindung über die Dauer des Aufenthalts hinaus zu schaffen.

Ist Gamification nicht einfach ein glorifiziertes Kundentreueprogramm?

Übliche Loyalitätsprogramme agieren auf einer funktionalen Ebene, etwa um an Vergünstigungen zu kommen. Bei Gamification geht es um mehr, als einfach ein paar Punkte und Trophäen zu verteilen. Spielen ist ein Urtrieb des Menschen. Ein Leaderboard etwa kann den kompetitiven Gedanken fördern, weil man an der Spitze stehen, einen gewissen Status erreichen möchte. Oder es wird so das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit gestärkt. Wenn das Spiel bei den persönlichen Werten der Gäste anknüpft, dann kann Gamification einen wertvollen Beitrag zum Gästeerlebnis leisten. Auch noch im Nachhinein, indem die App dem Gast nochmal bestimmte Erlebnisse in Erinnerung ruft.

Besteht da nicht die Gefahr, dass die App irgendwann anfängt zu nerven?

Der Gast macht alles freiwillig. Er muss nicht mitmachen. Klar: Auf die Spitze treiben darf man es nicht. Der Gast muss persönlich bestimmen können, wie weit er gehen will. Aber meine Daten zeigen, dass viele Gäste von sich aus immer wieder auf die App zugreifen und sich das Erreichte immer wieder anschauen.