Herr Krucker, das erste Halbjahr 2020 bescherte dem «The Chedi Andermatt» trotz zweimonatiger Schliessung mehr Übernachtungen und eine Rekordauslastung. Sogar das Businesshotel Radisson Blu Reussen weist trotz Krise relativ gute Zahlen aus. Und die Skiarena Andermatt-Sedrun empfing diesen Sommer 35 Prozent mehr Besucher als im Vorjahr. Alles nur wegen Corona?
Das glaube ich nicht. Andermatt findet zunehmend Anerkennung als Ganzjahresdestination. Hierin liegt der Schlüssel zum Erfolg. Das «Chedi» durfte viele wiederkehrende Gäste begrüssen. Auch unsere Andermatt Alpine Apartments wurden während Corona sehr stark von den Eigentümern, aber auch von Mietern frequentiert. Das ist für mich der Beweis, dass das «Rundumpaket Andermatt» funktioniert und unser Produktemix stimmt.
Der St. Galler Raphael Krucker (41) ist seit Januar 2020 CEO der Andermatt Swiss Alps AG. Zuvor hatte er während 24 Jahren verschiedene Managementpositionen beim Schweizer Technologieunternehmen Bühler-Gruppe in der Schweiz, Asien, Afrika und Australien inne. Krucker lebt mit seiner Frau und den zwei Kindern in Andermatt.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang immer wieder von «we build communities». Was genau meinen Sie damit?
Gemeinschaften aufzubauen, ist ein Teil unserer Vision als «Prime Alpine Destination». Das geht nur miteinander – mit den Gästen, Mitarbeitenden, aber auch den Einheimischen. Andermatt ist keine reine Feriendestination, sondern auch ein Dorf, in dem Menschen ihren Erstwohnsitz haben. Wir wollen zukünftig noch mehr Eigentümer-Events organisieren, wo sie sich gegenseitig kennenlernen können. Schon heute gibt es immer mehr Neueigentümer und Erstwohnungsbesitzer, die sich einbringen wollen, um die Destination gemeinsam weiterzuentwickeln. Das ist schön zu sehen.
Und die «Neuen» geniessen auch den Rückhalt der Alteingesessenen?
Absolut. Das ist das Einzigartige am Spirit von Andermatt. Das Miteinander, der Austausch mit der Gemeinde, den Einwohnern. Darauf hat Samih Sawiris von Projektbeginn an grossen Wert gelegt. Aber natürlich gibt es noch Verbesserungspotenzial, es ist ein Sich-Herantasten.
Hilfreich bei der Destinationsentwicklung ist sicherlich auch, dass Andermatt mehrheitlich in der Hand der Andermatt Swiss Alps (ASA) AG ist.
Nur, wenn man es auch entsprechend lebt. Man braucht ein Verständnis davon, wie man Wertschöpfung integriert. Was ich damit sagen will: Der Gast soll sich wohlfühlen. Dazu trägt beispielsweise die Abstimmung der Bergbahnöffnungszeiten mit denen der Restaurants bei. Oder genügend verfügbare Skilehrer, um das Gästeerlebnis zu steigern.
Davon profitieren vor allem die Gäste. Was bieten Sie Ihren Mitarbeitenden?
Beim Community-Building unter den Mitarbeitenden sind wir erst am Anfang. Von rund 950 Angestellten arbeiten 60 Prozent ganzjährig für uns. Der Rest kommt vor allem in der Wintersaison zum Einsatz. Es ist unser Ziel, möglichst viele Mitarbeitende ganzjährig zu beschäftigen. Sie profitieren von Wellness- und Fitness-Angeboten in den Hotels oder von vergünstigten Skiabos. Im Rahmen eines neuen Projekts namens «Generation A» wollen wir weitere Angebote und Aktivitäten schaffen, um die Beziehungen zwischen den Mitarbeitenden und den Gästen zusätzlich zu stärken, sodass die Mitarbeiter bleiben und die Gäste wiederkommen. All das trägt zum Gefühl von Zuhause und Sicherheit bei. Wir freuen uns übrigens über gute Ideen in dieser Richtung und werden diese auch finanziell unterstützen.
Bald soll der Entscheid über den Bau eines dritten Hotels fallen. Haben Sie ein Update für uns?
Wir werden diesen Monat über die nächsten grossen Bautätigkeiten entscheiden. Beim neuen Hotel eruieren wir zwei Varianten: ein Familienhotel oder ein auf ein jüngeres Publikum zugeschnittenes Sporthotel inklusive Co-Working-Spaces und Ferienwohnungen.
Haben Sie eine Präferenz?
Ich bin mir nicht sicher, ob die Destination bereit ist für ein Familienhotel. Die Frage ist, was in der jetzigen Corona-Situation besser passt. Als Bergdestination können wir eine attraktive Alternative zu den Städten sein. So gesehen wäre ein Sporthotel mit Co-Working-Möglichkeiten zunächst vielleicht die attraktivere Lösung.
Wie geht es beim Ausbau der Mehrfamilienhäuser voran?
Momentan sind 6 Gebäude im Bau. Nächstes Jahr werden wir die letzten beiden Häuser auf dem existierenden Podium über der Tiefgarage bauen. Danach steht der Ausbau des Podiums an, sodass anschliessend 15 weitere Mehrfamilienhäuser gebaut werden können.
Es heisst, 95 Prozent der bestehenden Wohnungen seien bereits verkauft ...
Es gibt nur noch wenige verbleibende Wohnungen in den bestehenden Häusern. Auch die sogenannten Gotthard-Residenzen im Radisson Blu Hotel sind sehr beliebt. Es handelt sich dabei um Serviced Apartments, die man kaufen kann. Ein Trend, der von Corona noch verstärkt wurde.
Wer sind diese Leute, die sich eine Wohnung in Andermatt kaufen?
Das ist unterschiedlich. Gut 60 Prozent kommen aus der Schweiz. Aktuell spüren wir eine steigende Nachfrage aus Österreich. Die geografische Nähe sorgt für warme Betten, die Leute kommen nicht nur einmal im Jahr.
Diese Ferienwohnungen sind nicht gerade billig zu haben. Kommen wir nochmals auf «we build communities» zurück – wie fügen sich diese finanziell gut situierten Gäste in das «normale» Andermatt ein?
Wir haben durchaus vielfältige Produkte im Portfolio. Tatsächlich wurden bisher vor allem Ferienwohnungen im oberen Segment gebaut. Aber bereits jetzt haben wir ein Haus mit Studios ab 330'000 Franken. Das Haus hat 34 Einheiten, keine davon ist teurer als eine Million. Es kommen nicht nur Geschäftsmänner und -frauen nach Andermatt, sondern auch Pensionäre oder jüngere Paare und Familien um die 30. Wir haben verschiedene Veranstaltungsformate, die Einheimische, Gäste und Wohnungskäufer zusammenbringen. Wir laden die Bevölkerung regelmässig zum Update und zur Diskussion – auch mit Samih Sawiris – ein.
Wann kommt die angekündigte Übernahme der ASA-Aktienmehrheit durch die Orascom Development Holding (ODH), und was erhoffen Sie sich davon?
Von dem Zusammenschluss erwarten wir uns noch stärkere Synergien mit den anderen ODH-Destinationen sowie einen vertieften Erfahrungsaustausch. El Gouna und andere Destinationen erfinden sich immer wieder neu. Davon können wir lernen. Aber auch das Wissen aus Andermatt wird der ODH zugutekommen. Mit dem neuen CEO Omar El Hamamsy, der Anfang September bei der ODH begonnen hat, wird sich die Frage der Fusionierung sicher bald klären. Mit der Übernahme rechne ich frühestens 2021. Momentan gibt es andere Prioritäten ...
Ja, wie blicken Sie eigentlich auf die bevorstehende Wintersaison?
(zögert) Gemischt. Nein, positiv. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit oder ohne Covid als Destination sehr attraktiv sind. Wir sind absolut schneesicher und bieten deshalb nicht nur Ski alpin, sondern auch Langlauf an. Daneben werden wir Schneeschuh- und Schlittenhundangebote schaffen – Angebote, die von den Bergbahnen unabhängig sind und bei denen sich das Corona-Risiko minimieren lässt. Diese breitere Produktepalette ist unabhängig von Corona sinnvoll und bietet eine gewisse Absicherung auch gegen zukünftige Krisen.
Sie leben jetzt gut ein halbes Jahr in Andermatt. Fühlen Sie sich wohl, oder überkommt Sie allmählich das Fernweh?
Beides. Aufgrund von Covid kommt natürlich der persönliche Austausch zu kurz, das Reisen und Kennenlernen fremder Kulturen ist zurzeit nicht möglich – aber das hat nichts mit Andermatt zu tun. Ich fühle mich hier wohl, meine Familie auch, meine Kinder gehen hier zur Schule. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass die Gemeinschaftsbildung das Richtige ist und funktioniert.
Die Andermatt Swiss Alps (SAS) AG ist für Bau, Verkauf und Betrieb von insgesamt 42 Apartmenthäusern in Andermatt verantwortlich. Daneben betreibt das Unternehmen die Hotels The Chedi und Radisson Blu Reussen, die Skiarena Andermatt-Sedrun sowie verschiedene Sport-, Wellness-, Kultur- und Gastronomieeinrichtungen. Die SAS gehört zu 49 Prozent der Orascom Development Holding (ODH). Der Rest ist im Besitz von Orascom-Hauptaktionär Samih Sawiris.
patrick timmann