Rund um die Umsetzung der vom Bundesrat am Freitag angeordneten Massnahmen gegen die Virus-Epidemie, zeigen sich die ersten Auswirkungen und Schwierigkeiten. Die Aussage des Bundesrats zur Schliessung der Skigebiete wurde von den Bergbahnen unterschiedlich interpretiert. Einige Gebiete blieben zunächst offen. Nach einem Machtwort von Bundesrat Alain Berset krochen sie aber dann zu Kreuze.
Wie der Innenminister in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF sagte, ist der Weiterbetrieb in den noch offenen Skigebieten illegal. Der Erlass der Landesregierung sei klar. Er rufe die betreffenden Gebiete darum zur sofortigen Schliessung auf. Interpretationsspielraum gebe es nicht.
Bahnen lenken ein
Er dulde die Aufrechterhaltung des Wintersportbetriebes nicht und werde notfalls eingreifen. Für die Durchsetzung stünden die Kantone in der Pflicht. Auch stelle sich die Versicherungsfrage, wenn die Gebiete nicht schliessen, sagte Berset. Das Wallis und Graubünden hätten sich sofort verantwortungsvoll gezeigt.
Einzelne Bahnen fuhren waren zunächst unbeirrt weitergefahren. Die Titlis-Bergbahnen stützten sich dabei auf juristischen Rat, wie ihr CEO Norbert Patt auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte. Noch am Morgen stellte die Bahn dann aber ihren Betrieb ein.
Der Berner Regierungspräsident Christoph Ammann sagte, «Social Distancing» sei aus seiner Sicht auf Skipisten möglich. Diese Aussagen trugen zu einer gewissen Unsicherheit bei den Bergbahnen bei.
Massive Einschränkungen für den Schweizer Tourimsus
Die Schweizer Tourismuswirtschaft bekommt die Coronavirus-Krise ohnehin massiv zu spüren. Freizeitliche und touristische Angebote sind aufgrund der beschränkten Zulassungsmassnahmen des Bundesrates ganz runter gefahren worden. Bereits im Vorfeld der am Freitag beschlossenen Schutzmassnahmen mussten die Beherbergungsbetriebe enorme Buchungseinbussen und Annullationen aufgrund der grasierenden Epidemie in Kauf nehmen. Gastronomiebetriebe kämpfen mit den neuen Zulassungsauflagen, die sie organisatorisch bewältigen müssen.
Am Samstagabend gab der Tessiner Staatsrat in Bellinzona bereits bekannt, alle Restaurants, Bars ab Samstagmitternacht zu schliessen. Viele Betriebe stehen kurz vor dem Kollaps. «Die Härte des wirtschaftlichen Schocks für den Tourismus ist beispiellos und mit Krisen der letzten Jahre nicht zu vergleichen», schreibt etwa der Branchenverband HotellerieSuisse.
Im öffentlichen Verkehr strichen SBB, Postauto und die Rhätische Bahn so wie der Bundesrat es erliess, «rein touristischen Linien ohne Erschliessungsfunktion» und Schifffahrtsgesellschaften stellten den Betrieb ein.
Gemeinsam wollen die Schweizer Touismusverbänden die veränderte Lage sowie die beschlossenen Massnahmen des Bundesrates über das Wochenende analysieren, um die betroffenenen Unternehmen zu unterstützen.
Bund mit Grenzkontrollen zufrieden
Gut funktioniert hat die vom Bundesrat beschlossene vorübergehende Wiedereinführung von Schengen-Grenzkontrollen, wie der Direktor der Eidgenössischen Zollverwaltung (EVZ), Christian Bock, am Samstag in Chiasso TI erklärte. Die neuen Bestimmungen gelten seit Freitag 15.30 Uhr. Seitdem ist die Einreise aus Italien nur noch erlaubt für Schweizer Bürgerinnen und Bürger, Personen mit einem Aufenthaltstitel in der Schweiz sowie Personen, die aus beruflichen Gründen in die Schweiz reisen müssen.
Das Fahrzeugaufkommen im Privatverkehr von Italien ins Tessin sei um 60 Prozent zurückgegangen, erklärte der Zolldirektor. Bis Samstagmorgen sei 288 Personen die Einreise verweigert worden. Die Zahl der Grenzgänger, die zwischen 4 Uhr morgens und 11.30 Uhr eingereist seien, habe sich bereits von 68'000 auf 28'000 Fahrzeuge reduziert. Die langen Schlangen, die sich während der Woche nach der Einführung verstärkter Kontrollen gebildet hatten, waren praktisch verschwunden.
Während des Informationsanlasses in Chiasso am Samstag passierten nur einzelne Fahrzeuge den Grenzübergang, wie ein Keystone-SDA-Korrespondent vor Ort beobachtete. Es herrschte eine gespenstische Ruhe an einem Grenzübergang, an dem normalerweise an einem Samstag viel los ist.
Hamsterkäufe in Geschäften
In Lebensmittelgeschäften mehrerer Städte kam es am Freitagabend und auch im Verlauf des Samstags zu Hamsterkäufen. Die Detailländler versicherten, es bestehe kein Engpass an Lebensmitteln. Die Lager seien gefüllt.
Dennoch kam es in Läden teilweise trotz massiv erhöhten Lieferkapazitäten und riesigem Personaleinsatz zu leeren Regalen, wie ein Migros-Sprecher auf Anfrage mitteilte. Die Mitarbeitenden arbeiteten rund um die Uhr daran, um die Filialen mit zusätzlichen Mengen zu beliefern.
Aldi Suisse verzeichnete erste Lieferschwierigkeiten, insbesondere von italienischen Lieferanten, wie ein Sprecher mitteilte. Die einzelnen Ausfälle seien bislang mit Alternativartikeln gut abgedeckt worden. Die Nachfrage sei schweizweit seit Freitag nochmals sehr stark angestiegen, sagte eine Coop-Sprecherin.
Vermehrt gekauft werden den Angaben der Detailhändler zufolge etwa länger haltbare Lebensmittel, Beilagen, Tiefkühl-Produkte, Toilettenpapier, Mehl und Zucker sowie Handreinigungsprodukte.
Ein derartiges Einkaufsverhalten hat Aldi seit dem Markteintritt in der Schweiz im Jahr 2005 noch nie beobachtet, wie der Firmensprecher sagte. Selbst die üblichen Vor-Feiertagseinkäufe seien nicht vergleichbar.
Hunderte Soldaten rücken ein
Das Schweizer Militär kündigte an, hunderte Armeeangehörige in den Einsatz gegen die Coronavirus-Pandemie zu schicken. Am Montag soll dazu ein Spitalbataillon mit gegen 600 Wehrleuten einrücken. Diese sind für die Unterstützung von Spitälern in den Kantonen vorgesehen.
Bislang steht die Armee wegen der Pandemie mit gut zwei Dutzend Personen im Tessin im Einsatz. Das Militär rechnet aber damit, dass bald aus weiteren Kantonen Hilfegesuche eingehen werden, wie ein Armeesprecher auf Anfrage.
Armeechef Thomas Süssli kündigte im Kurznachrichtendienst Twitter den Einsatz des Spitalbataillons 5 an. Es handle sich um einen «besonderen Dienst zur Sicherheit und zum Schutz von uns allen», schrieb er. Das Spitalbataillon kann Spitälern beim Betrieb helfen, unter anderem in der Krankenpflege, bei der Logistik und der Reinigung, wie der Armeesprecher erklärte.
Dagegen sistiert die Armee angesichts der Ausbreitung des Coronavirus bis auf Weiteres die Rekrutierung. Alle zur Rekrutierung aufgebotenen Stellungspflichtigen haben gemäss einer Mitteilung der Armee nicht einzurücken. Davon sind Anfang nächster Woche rund 500 Jugendliche betroffen. Der diesbezügliche Marschbefehl müsse nicht befolgt werden. Sobald es die Lage zulasse, würden die Stellungspflichtigen wieder mit einem neuen Marschbefehl aufgeboten.
E-Mails von Kriminellen
Die Coronavirus-Krise hat bereits Kriminelle auf den Plan gerufen. Diese versuchten nach Angaben von Behörden mit gefälschten E-Mails an Daten zu gelangen oder mit angeblichen Internetshops Opfer um Geld zu prellen.
Die Melde- und Analysestelle Informationssicherung (Melani) des Bundes rechnet in den kommenden Tagen mit weiteren Betrugsversuchen, wie ein Melani-Sprecher sagte. In den Fokus geraten könnten insbesondere Spitäler oder Labors.
Die Luzerner Polizei schliesst zum Schutz ihrer Beamten vor dem Coronavirus ab Montag eine Reihe von kleineren Polizeiposten. Damit sollen der direkte Kontakt mit Kunden und die Infektionsgefahr reduziert werden. Luzern ist das erste Korps im Land, das eine solche Massnahme angekündigt hat. Insgesamt schliessen 23 Posten vorübergehend, wie die Luzerner Polizei mitteilte.
Der Bundesrat hatte am Freitag weitreichende Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus beschlossen und schränkte das öffentliche Leben weiter ein. So darf an den Schweizer Schulen bis 4. April kein Unterricht mehr stattfinden. Bis Ende April sind alle Veranstaltungen im Land ab 100 Personen verboten. An der Grenze werden wieder Kontrollen durchgeführt. Der Wirtschaft will die Landesregierung zehn Milliarden Franken zur Verfügung stellen.
Am Samstag wurden bis 18 Uhr zwei neue Todesfälle aufgrund der Lungeninfektion Covid-19 bekannt. Es handelte sich um zwei ältere Patienten mit Vorerkrankungen aus dem Tessin. Damit waren bis Samstag landesweit 13 Tote zu beklagen. Die Zahl der Neuansteckungen stieg gegenüber dem Vortag um 180, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mitteilte. Insgesamt lagen 1189 bestätigte Infektionen vor. (sda)
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