Oliver Grützner, vor gut zwei Wochen durften die Campingplätze mit rund zwei Monaten Verspätung endlich öffnen. Wie sind die ersten zwei Wochen angelaufen?
Dieser Termin wurde von den Campinggästen sehnlichst erwartet. Als wir nun endlich öffnen durften, war das Wetter nicht optimal, aber die Campingplätze waren trotzdem bereits überdurchschnittlich gut belegt, fast wie sonst im Juli. Am Wochenende waren viele Campings bereits ausgebucht. Die Schutzkonzepte, die Logistik und die Information haben reibungslos funktioniert. Die Gäste waren bereits vorsensibilisiert bezüglich der Hygienemassnahmen in Restaurants und anderen Betrieben, das hat somit gut geklappt.
Oliver Grützner (48) ist seit 2011 Vizedirektor beim Touring-Club Schweiz (TCS) und leitet die Division Tourismus und Freizeit. Der Verein betreibt 24 Campings und 7 Restaurants in der Schweiz, die Betriebe generierten im Jahr 2019 einen Umsatz von 24,6 Millionen Franken. Die TCS-Campings sorgten letztes Jahr für 625 000 Logiernächte, was einem Marktanteil von 18 Prozent im Campingtourismus entspricht. Rund 75 Prozent der Gäste stammen aus der Schweiz.
In den letzten Monaten fühlten sich die Campingplatzbetreiber benachteiligt, weil sie – anders als Hotels und Jugendherbergen – keine Gäste empfangen durften. Waren die entworfenen Schutzkonzepte unzureichend, oder fehlte die nötige Stimme in der Politik?
Eine richtige Stellungnahme seitens der Politik haben wir bis heute nicht erhalten. Ich glaube nicht, dass die Schutzkonzepte ein Thema waren. Meine Interpretation ist, dass wir eher als Freizeitort wahrgenommen werden und weniger als Beherbergungsort, wie wir uns sehen. Politisch waren wir als Dachverband vielleicht nicht nah genug am Geschehen dran. Wir haben zwar bei Parahotellerie Schweiz unsere Interessen deponiert und waren politisch vertreten, aber wahrscheinlich wurden wir mit dem Massenfreizeitverkehr assoziiert, den man vermeiden wollte.
Wie wollen Sie sich künftig mehr Gehör verschaffen?
Wir haben auf verschiedenen Ebenen – also beim TCS, beim Dachverband Swisscamps und bei Parahotellerie Schweiz – Debriefings geplant und werden die Situation noch einmal in verschiedenen Gremien analysieren. Auf Ende Jahr könnte es dann gewisse Weichenstellungen und Entscheide geben bezüglich Lobbyarbeit und Verbandsmitgliedschaften. Man muss aber aufpassen, dass man aufgrund einer solchen aussergewöhnlichen Krise nicht alles auf den Kopf stellt.
Wäre eine engere Zusammenarbeit mit anderen Branchenverbänden denkbar?
Grundsätzlich ist alles denkbar. Die Grenze zwischen Hotellerie, Parahotellerie und Campingtourismus verschwimmt immer mehr. Als Beispiel: Wir haben beim TCS jetzt rund 240 Mietunterkünfte und 800 Betten, wir sind also auch eine kleine Hotelorganisation geworden.
Sie können den Wegfall von ausländischen Touristen im Sommer voraussichtlich fast komplett mit Gästen aus dem Inland kompensieren. Können die Ausfälle des Frühlingsgeschäfts im Verlaufe des Jahres noch wettgemacht werden?
Am Anfang war ich noch etwas pessimistisch, wir hatten einen Ausfall von rund sechs Millionen Franken Umsatz. Der Juni macht jetzt aber Hoffnung, und für Juli und August rechne ich mit ähnlichen Zahlen wie letztes Jahr. Das Wetter im Herbst wird entscheidend sein, wie wir das Jahr abschliessen, aber die letztjährigen Zahlen zu wiederholen, wird schwierig.
Werden auch künftig mehr Schweizer Gäste Campingferien im Inland machen?
Wir nutzen die momentane Situation als Werbung, um verlorene Schweizer Kunden zurückzuholen, welche in den letzten Jahren Campingferien in Frankreich oder Italien machten. Das Wetter wird entscheidend sein; wenn es den ganzen Sommer durchregnet, werden sie nächstes Jahr eher wieder in den Süden gehen. Der Campinggast ist sehr mobil und entdeckungsfreudig, daher werden sicher viele auch wieder ins Ausland reisen.
Wie haben sich die Bedürfnisse der Campinggäste in den letzten Jahren verändert?
Die Gäste werden individueller und mobiler, sie bleiben nicht mehr lange am selben Ort. Zudem ist das Bedürfnis nach Privatsphäre und Komfort gestiegen.
Gemäss der Übernachtungsstatistik vom Jahr 2019 sind die Campingplätze derzeit das am schnellsten wachsende Segment in der Parahotellerie, vor Ferienwohnungen und Jugendherbergen. Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Wir sehen seit längerem einen Trend zu Ferien in der Natur. Dazu kommt der Boom kleinerer Camper, also das Stichwort «Van-Life»: Jüngere Reisende haben Ferien mit dem VW-Bus wiederentdeckt. Auch Wohnmobile allgemein sind weiterhin im Trend. Ein weiterer Treiber sind neue Glamping-Angebote, wo man ohne Schlepperei eine schöne Unterkunft mitten in der Natur buchen kann. Es ist auch der momentane Zeitgeist: Wir haben viele Leute, die genug haben von 5-Sterne-Hotels und in den Ferien einfach mal ungezwungen mit Badehose und Flip-Flops rumlaufen möchten. Diese «Etikette», die viele im Arbeitsleben haben, wollen sie dann in den Ferien ablegen.
Der TCS-Camping Gwatt Thunersee wird diesen Sommer mit neuen VIP-Parzellen, Chalets mit eigenen Badezimmern und einem innovativen Gastroangebot eröffnet. Geht der Trend beim TCS also Richtung Glamping-Angebote?
Es wird in diese Richtung gehen. Der Aufenthaltsraum in Thun sieht nicht mehr aus wie ein trauriges Tearoom mit Plastikstühlen und vergilbten Postern an den Wänden, sondern eher wie ein Wohnzimmer. Zum Essen gibt es nicht mehr nur Pouletflügeli und Pommes frites, sondern Falafel und Take-away-Angebote. Die Mietunterkünfte sind keine Standard-Mobile-Homes, sondern haben Charme und sind stilvoll eingerichtet. Das sind diese neuen Elemente, welche wir in Thun umgesetzt haben. Auch die Residenz-Camper, also die Dauermieter, wird es dort nicht mehr geben. Derzeit verfolgen wir zudem ein neues Projekt im Tessin, bei der Badi in Carona bei Lugano. Dort möchten wir ein Glamping-Dorf realisieren, demnächst wird dazu ein Projektwettbewerb lanciert.