Verzweifelt und übermüdet stehen wir Mitte Februar vor dem Virgin-Australia-Schalter am Flughafen Sydney. Die letzten Stunden waren turbulent. So mussten wir kurz vor Abflug von den Philippinen unseren Anschluss nach Neuseeland stornieren. Die Unwetter rund um Auckland lassen keine Reisen zu. Kurzum nahmen wir als Alternative Westaustralien ins Programm auf. In der Hitze des Gefechts haben wir uns bei der Buchung des Weiterflugs nach Perth im Datum geirrt. Unsere Boardingpässe lauten auf den morgigen Tag. Kostenpunkt für eine Umbuchung auf heute gemäss AGB: rund 200 Schweizer Franken pro Ticket. Ohne viel Hoffnung erklären wir uns der jungen Frau am Schalter der Airline. Sie lächelt uns zu und erzählt von lokalem Craft-Bier, während sie wie wild auf ihre Tastatur hämmert. Dann streckt sie uns zwei Boardingpässe entgegen und meint: «Euer Flug geht in zwei Stunden, geniesst unser wunderbares Land!» Sprachlos starren wir die Frau an. Kosten fielen keine an, da wir einen unvergesslichen Start in die Reise durch ihr Heimatland haben sollten, bekräftigt die Dame lachend.

Die ehrliche Fürsorge und dieser sympathische Stolz auf die eigene Heimat begeistern uns.

Die ehrliche Fürsorge und dieser sympathische Stolz auf die eigene Heimat begeistern uns im Nachhinein ungemein. Die nächsten Wochen zeigen uns, dass das Erlebnis am Flughafen von Sydney bei weitem kein Einzelfall darstellt. Da ist der Airbnb-Gastgeber in Perth, der sich eine Stunde Zeit nimmt, um uns zu zeigen, welche Distanzen und Routen für unseren Roadtrip möglich sind. Oder der Feuerwehrmann, der uns nicht bloss vor der Strassensperre aufgrund von Buschfeuern warnt, sondern uns eine Karte mit Alternativrouten in die Hand drückt. Und nicht zuletzt der alte Mann auf dem Campingplatz, welcher uns nach einem kurzen Gespräch einen Kugelschreiber aus altem Eukalyptusholz zum Zelt bringt. Wir sollen sowohl ihn als auch sein Heimatland in guter Erinnerung behalten.

Highlight
Auf fast jedem öffentlichen Platz gibt es Gasgrills, die frei zur Verfügung stehen. Diese werden für den Nächsten immer blitzsauber hinterlassen.

Missing
Der ländliche australische Dialekt ist eine Herausforderung. Nicken und Lächeln ist oftmals der einzige Ausweg.

Aufgefallen
Vergangenheitsbewältigung ist omnipräsent. So wird bei Nationalparks ausgewiesen, welcher Stamm der Aborigines als rechtmässiger Besitzer des Landes gilt.

 

Die Reihe an schönen Begegnungen ist längst nicht abgeschlossen. Doch sind es weniger die Gesten an sich, die uns begeistern, als die Art und Weise, wie sie vollbracht werden. Diese Mischung aus Fürsorge, Interesse und Aufrichtigkeit, welche wir fortan als «australische Warmherzigkeit» betiteln. Ob Zeltnachbar, Campingplatzangestellte, Barista oder Busfahrerin: Sie alle erzählen nicht bloss unaufgefordert einen Schwank aus ihrem Leben, sondern interessieren sich immer auch für uns und unsere Geschichten. Dass genügend Zeit für diese Art von Small Talk selbstverständlich ist, zeigt schon die australische Standardbegrüssung «G’Day mate, how is it going?».

Sei es zu Hause in der Schweiz oder in den Ländern, die wir bisher besucht haben: Freundliche und hilfsbereite Menschen haben wir überall angetroffen. Es liegt uns fern, eine «Freundlichkeitsskala» zu erstellen. Und doch ist für uns klar: Nach Australien kehren wir eines Tages zurück. Auch wegen der Kängurus, auch wegen der Eukalyptuswälder, auch wegen der Sandstrände – im Kern aber wegen der beschriebenen Warmherzigkeit der Menschen hier, die ein tiefes Gefühl von innerer Zufriedenheit mit dem eigenen Leben auslöst. Diese Warmherzigkeit ist eine Eigenschaft, die man kaum mit gutem Destinations- oder Landesmarketing erwerben kann. Es ist aber auch eine Eigenschaft, für welche sich jeder Mensch auf ganz natürliche Weise verantwortlich zeigen kann.

[IMG 2]Gemeinsam mit seiner Partnerin Lena-Maria Weber reist Patric Schönberg mit dem Rucksack für ein Jahr um die Welt. Der ehemalige Leiter Kommunikation von HotellerieSuisse berichtet aus seiner persönlichen Perspektive über Dinge, die auffallend anders sind als bei uns. Interessierte können die gesamte Reise auf Instagram unter @losnescos mitverfolgen.