Die Zürcher Gastronomen Daniel (links) und Manuel Wiesner (rechts) haben im August im Berner Westside ihre vierte Nooch-Filiale (Bild) im Raum Bern eröffnet, im Winter folgt eine neue Ghost-Kitchen in der Hauptstadt.

Warum funktioniert Euer Konzept des Nooch in Bern so gut?
Daniel: Das Nooch funktioniert nicht nur in Bern sehr gut, sondern generell – in der Stadt und in der Agglomeration: Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, die Zubereitungszeit ist tief, die Foodqualität hoch, und das Angebot ist breit.
Manuel: Und die Restaurants sind alle aussergewöhnlich eingerichtet, das ist für fast alle Altersgruppen ein Erlebnis.

Ihr Vater hat das Unternehmen in den 90er-Jahren gegründet. Sie sind alle keine gelernten Gastronomen. Warum sind Sie als Paradiesvögel erfolgreich?
D: Um mit Restaurants erfolgreich zu sein, muss man nicht unbedingt Gastronom sein. Wir haben vor allem ein starkes Team im Rücken. Wir sind zudem vollständig eigenfinanziert und müssen niemandem Rechenschaft ablegen. So können wir mutige Entscheide treffen.
M: Wir sind keine Paradiesvögel. Wir probieren zwar gerne etwas aus, sind aber für die breite Masse da. Wir erarbeiten Konzepte, weil wir etwas Cooles machen wollen, aber wir machen es für die Gäste.

Wir sind keine Paradiesvögel. Wir probieren zwar gerne etwas aus, sind aber für die breite Masse da.

Authentisch zu essen, hat einen hohen Stellenwert. Sie sagen selbst: Bei uns im Nooch isst man nicht authentisch. Warum funktioniert es dennoch?
D: Es stimmt in der Regel nicht, dass man wirklich authentisch essen will. Was beispielsweise in Thailand in den Ferien passt, ist in der Schweiz zu speziell. Wir haben einen europäischen Geschmack, also brauchen wir eine Mischung.
M: Die authentische Küche ist immer ein Nischenplayer. Wir machen Systemgastronomie, da kannst du nicht etwas komplett Ausgefallenes machen, und es schmeckt dann in jedem Nooch anders.

Sie setzen immer wieder neue Konzepte um. Wie schafft man es, innovativ zu bleiben?
M: Indem man es gerne hat, wenn sich etwas verändert, und man die Leidenschaft hat, Neues auszuprobieren. Das schätzen auch die Mitarbeitenden. Eine Mitarbeiterin sagte uns einmal, dass sie bei uns arbeitet, weil sie weiss, dass in einem Monat ihre Arbeit anders aussieht als heute.
D: Es ist auch wichtig, sich zuzugestehen, dass das meiste, was man macht, nicht funktioniert.

Wenn man etwas Neues macht, ist die Chance real, dass es nicht funktioniert.

Das meiste funktioniert nicht, tatsächlich?
D: Wenn man etwas Neues macht, ist die Chance real, dass es nicht funktioniert. Wir haben etwa 60 Restaurants eröffnet und führen heute 34 – da sind also einige, die nicht rentiert haben.

Was waren die Gründe fürs Scheitern?
D: Das südafrikanische «Mama Africa» lief am Wochenende super, unter der Woche war es zu speziell. «Mama Chicken» haben wir eins zu eins aus dem Ausland kopiert und gemerkt: Eine Kopie, das klappt nicht. Beim Grillrestaurant Tank waren die Preise wegen des Fleisches hoch – da wünschen sich die Gäste einen gehobeneren Service. Den bieten wir nicht. Die Fonduehalle war ein Pop-up von Mitte Dezember bis Ende Januar. Dort haben wir gelernt, dass man bis Weihnachten sehr viel Fondue isst, danach nicht mehr.
M: Wir haben auch gemerkt, dass wir keine Pop-ups machen können. Ein Pop-up braucht viel Liebe und Zeit, das ist schwierig, wenn du schon viele andere Projekte umsetzt, die du magst.

Wir haben auch gemerkt, dass wir keine Pop-ups machen können.

Was war Ihr grösster Fehlentscheid?
D: Der teuerste war sicher ein Standort, an dem wir zu lange gebraucht haben, bis wir ein Konzept hatten, das funktionierte: an der Heinrichstrasse in Zürich. Wir hatten dort fünf Konzepte, die nicht geklappt haben! Das «Kitchen Republic» läuft nun.[IMG 2]

Ohne Krawatte und mit viel Tatendrang
Die Zürcher Daniel (39, links) und Manuel (36) haben 2020 die Geschäftsführung der Familie Wiesner Gastronomie übernommen. Daniel ist studierter Betriebsökonom und kümmert sich um das Operative, Manuel ist ausgebildeter Treuhänder und hat das Backoffice unter seinen Fittichen. Sie sind vor gut zehn Jahren in den elterlichen Betrieb eingestiegen und führen das Motto des Gastronomiebetriebs erfolgreich weiter: Mutig Neues wagen und aus Fehlern lernen. In der Systemgastronomie stechen sie mit ihren einzigartigen Konzepten hervor. Mit der Lohntransparenz haben sie bis ins Ausland grosses Interesse geweckt. Ihre Ideen finden sie meist auf Reisen. Dani pflegt das Stadtleben in Zürich, Manuel mag es ländlicher in der Nähe zur Natur mit seiner Familie in Uster.
fwg.ch

Auch das australische «Outback Lodge» in Zürich, mit dem Ihr Vater Ende 1997 die Firma begründete, läuft noch immer gut. Obwohl es heute nicht mehr hip ist, Känguru zu essen.
M: Das «Outback Lodge» ist legendär. Fast alle Zürcher hatten darin schon den einen oder anderen guten Abend – man kommt gerne zurück. Es hat einen hohen Bieranteil, Food kommt aber nicht zu kurz. Besonders beliebt sind heute die Fries und die Chickenwings.

Ihr Vater hat bei neuen Räumlichkeiten eine Feng-Shui-Expertin hinzugezogen, die Energie in einem Raum müsse stimmen. Macht ihr das auch?
D: Mit Feng-Shui-Expertinnen arbeiten wir weiterhin zusammen, aber mehrheitlich in der Planung der Restaurants. Mit der Zeit erhält man ein Gefühl dafür, welcher Standort klappen könnte. Wir sehen in einem zukünftigen Standort immer eine Geschichte.

Welche Geschichte ist es im Nooch am Berner Viktoriaplatz mit den knalligen Farben und flauschigen Sesseln?
D: Wir liessen uns von den 1970er-Jahren inspirieren, denn es befindet sich in der ehemaligen Postfiliale aus den 70ern. Wir stellten uns eine Loftvilla eines Rockstars vor.

Im Berner Westside reist man ans und ins Meer. Wie kam das?
M: Das war ein mehrmonatiger Prozess mit verschiedenen Ideen. Das Bernaqua im Westside hat dazu beigetragen, dass wir uns für das Meer-und-Wasser-Thema entschieden haben. Wir versuchen immer, örtliche Gegebenheiten aufzunehmen.

Erlebnisgastronomie kam in den 1990er-Jahren auf. Warum funktioniert sie nach wie vor?
M: Wir merken, dass die Gäste je länger, je mehr etwas Spezielles erwarten. Bei uns können sie für einen Abend in eine andere Welt eintauchen. Mit der Erlebnisgastronomie kann man sich Differenzierungsmerkmale schaffen. Es bedeutet aber auch, dass man viel in ein Restaurant investieren muss.

Erlebnis allein reicht ja für den Erfolg nicht aus. Was ist Ihr Rezept?
M: Wir haben eine aussergewöhnliche Kultur bei uns, die auf den Unternehmenswerten familiär, bodenständig, bunt und «raketisch» – wie eine Rakete – basiert. Das Bild der Rakete passt, wir bewegen uns immer vorwärts und gerne weit hinaus. Wir sind die Vorbilder und leben es auch vor. Wir begrüssen und verabschieden uns immer bei allen Mitarbeitenden und begegnen ihnen auf Augenhöhe. So haben uns dies unsere Eltern vorgelebt.
D: Wir sind gross, weil wir nicht so schnell wachsen. Wenn du schnell wächst, multiplizierst du die Fehler. Wenn du Geduld hast, kannst du aus den Fehlern lernen.

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Wie schwierig war es, in die Fussstapfen Ihres Vaters zu treten?
M: Die Übernahme war ein langer Prozess, wir haben uns neun Jahre darauf vorbereitet. In diesen Jahren konnten wir lernen und Fehler machen. Nicht nur der Vater, auch die Mitarbeitenden und Lieferanten hatten hohe Erwartungen. Hinzu kam, dass wir 70 Tage nach der Übernahme der Geschäftsführung in den ersten Lockdown liefen. Es war extrem hart. Wir haben aber schnell erkannt, dass wir azyklisch reagieren müssen. So haben wir nach einem Monat wieder alle Projekte freigegeben und Neues gepusht.

Sie krempeln gerne Gewohntes um und haben intern komplette Lohntransparenz eingeführt. Warum?
M: Die Geheimnistuerei rund um den Lohn bringt einer Firma keinen Mehrwert. Im Gegenteil, sie fördert Spekulationen und verhindert, dass über das Wesentliche gesprochen wird. Nämlich: Wo steht der Mitarbeitende, wie kann ich ihn weiterbringen, und wie werden wir gemeinsam besser? In unserer Kultur hat Wertschätzung und Fairness einen hohen Stellenwert, und das Lohnsystem ist ein Puzzleteil davon. Wir sind generell sehr transparent, wir geben unseren Mitarbeitenden Unternehmenszahlen und Strategie bekannt und fragen immer nach, wo sie noch mehr Transparenz wünschen – und setzen dies dann um.

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Das Feedback in der Presse war im In- und Ausland gross. Wie waren die internen Reaktionen?
M: Überaus positiv, insbesondere bei den jüngeren Mitarbeitenden. Gerade ältere Mitarbeitende und solche aus anderen Kulturkreisen mussten sich zuerst mit dem Gedanken anfreunden, dass die anderen ihren Lohn kennen. Das brauchte schon das eine oder andere Gespräch.
D: Es hat definitiv geholfen, dass mein Bruder und ich den Start gemacht und bereits ein halbes Jahr vorher unseren Lohn offengelegt haben.

Sollten andere Unternehmen ihre Löhne ebenfalls transparent machen?

Das Geschäftsmodell der Ghost-Kitchens funktioniert eigentlich nicht.

Mit den Ghost-Kitchens haben Sie auch ein ungewöhnliches Konzept etabliert. Es scheint ein profitables Konzept zu sein.
D: Nein, das Geschäftsmodell funktioniert eigentlich nicht, denn die Marge ist zu klein. Man muss unglaublich viel Umsatz machen, damit es etwas abwirft. Ghost-Kitchens sind unsichtbar, das Angebot musst du mit Werbung sichtbar machen. Das kostet. Man spart Servicepersonal, aber die Kurierdienstleistung ist teuer.

Gastro mit System und viel Freude am Ungewohnten
Fredy Wiesner war als Konzeptentwickler für Restaurants tätig, bevor er in den 1990er-Jahren die Familie Wiesner Gastronomie (FWG) begründete. Seit 2020 führen seine Söhne Daniel und Manuel das Unternehmen mit 35 Betrieben und über 970 Mitarbeitenden in den Regionen Zürich, Bern, Basel, Zug, Luzern und Winterthur. Die wichtigsten Restaurantketten sind «Nooch Asian Kitchen» mit zwölf Filialen und «Negishi Sushi Bar» mit deren neun. Des Weiteren gehören die Burgerlokale «The Butcher», die koreanischen Lokale «Miss Miu», das «Outback Lodge» und «Gypsy Rose» zu FWG. Im Deliverymarkt sind sie mit drei virtuellen Brands präsent: «Poke Nation», «The Dumpling Brothers» und «Angry Chicken». Das Konzept «Kitchen Republic» wurde als virtuelle Marke mit Ghost-Kitchens gestartet und ist nun auch als Restaurant in Zürich präsent. Der Umsatz hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt, FWG erwirtschaftete 2021 einen Umsatz von 79 Millionen Franken. cl

Was heisst das für die Zukunft der Ghost-Kitchens?
D: Wir suchen andere Standorte. Nicht schlechte, preisgünstige, sondern hochfrequentierte, wo man viel Take-away-Umsatz machen kann.

Das Burgerrestaurant Butcher richtet ihr neu aus, warum?
D: Der grosse Burger-Boom ist vorbei, wir gehen in Richtung Nachhaltigkeit und werden auch Plant-based-Burger anbieten. Rindfleisch ist fein, verursacht aber einen grossen CO₂-Fussabdruck.

Wie wichtig ist Ihnen Nachhaltigkeit?
D: Wir sind als gesamtes Unternehmen klimaneutral. Wir messen den Fussabdruck von Food über Energieverbrauch und Verpackungsmaterial bis hin zum Arbeitsweg der Mitarbeitenden – von wo und wie sie zur Arbeit kommen.
M.: Wir kompensieren den CO₂-Fussabdruck, indem wir längerfristig überwachte Projekte von Myclimate unterstützen. Zudem haben wir einen Massnahmenplan, wie wir mit dem CO₂-Ausstoss runterkommen. Auf null runter geht nicht, aber tiefer, das geht. Das heisst: weniger Fleisch, dies hat den grössten Anteil. Und nachhaltigere Energie.

Bezahlen die Gäste mit?
D: Die Gäste kompensieren teils mit, wenn sie online bestellen. Das ist Awareness. Bald wird der CO₂-Fussabdruck der Gerichte auch auf der Onlinespeisekarte zu sehen sein.

Wie arbeitet ihr als Brüder zusammen?
M: Wir haben immer das gleiche Ziel vor Augen und vertrauen uns blind. Der eine fokussiert sich auf das Operative, der andere auf das Backoffice. So haben wir in beiden Bereichen je einen Treiber. Das sieht man leider nicht allzu oft in der Wirtschaft und ist sicherlich ein Erfolgsfaktor von uns. D: Solange es nicht zu viele Schnittstellen gibt, funktioniert es gut; dort, wo es sie gibt, haben wir meistens Diskussionen!

Wo seid ihr euch nicht einig?
M: Am Anfang sind wir uns oft nicht einig und am Schluss immer. Und: Unser Team bestimmt genau so viel mit. Bei allen Entscheidungen ist es so: Sowohl die richtigen als auch die falschen haben wir gemeinsam gefällt.

Mit Viertagewoche neue Mitarbeitende gewinnen
Auch für die Wiesners ist es schwierig, neue Mitarbeitende zu finden. Sie wollen darum in den nächsten drei Jahren 15 Lehrstellen schaffen und denken daran, in Zukunft die Viertagewoche einzuführen, um die Attraktivität der Jobs zu erhöhen. Aber: In ihren Betrieben an vier Tagen die Arbeit von fünf Tagen zu leisten, ist nicht möglich, an den Nachmittagen gibt es zu wenig zu tun. Es braucht ein grosses Umdenken in den Prozessen, und es sind Pilotversuche am Start, ob man die 42-Stunden-Woche bei gleichem Lohn reduzieren muss. Die faktische Lohnerhöhung könnte sich die FWG nur mit einer Produktivitätssteigerung leisten, die mit einer stärkeren Digitalisierung erreichbar wäre. «Es braucht technische Mittel wie beispielsweise einen Roboter, der im Service oder in der Küche einen Teil der Arbeit übernimmt», erläutern die Brüder. Höhere Preise auf den Menükarten wegen der Viertagewoche stehen derzeit nicht zur Diskussion. Sie beobachten aber den Markt und die Entwicklung der Inflation. cl