Thilo Stadelmann, wann ist Ihnen heute KI im richtigen Leben bereits begegnet?
Ich habe heute morgen schon einige E-Mails empfangen. Dabei hat mich wahrscheinlich der Spamfilter gerettet. KI ist im Alltag in so vielen Dingen drin, das bemerken wir gar nicht mehr.

Der Begriff künstliche Intelligenz ist erklärungsbedürftig. Kann ein Algorithmus, also ein Computerprogramm, «intelligent» sein?
Natürlich nicht. Der Begriff stammt aus den 1950er-Jahren. Es ging um die Frage, wie man mit Computern komplexe Fragen lösen könnte. Zur Auswahl standen «Complex Computer Application» und «Artificial Intelligence». Die Forscher brauchten einen griffigen Begriff und Fördergelder. Da machte natürlich «künstliche Intelligenz» das Rennen. Aus Marketingsicht damals perfekt. Aber aus heutiger Sicht eine unglückliche Wahl.

Warum unglücklich?
Weil der Begriff falsche Assoziationen weckt. Es geht bei KI nicht einmal ansatzweise um Intelligenz. Es geht um Wahrscheinlichkeiten, darum, clevere Aufgaben zu simulieren. [RELATED]

Vielen Menschen machen die datengetriebenen Maschinen Angst. Verstehen Sie das?
Sicher. Bei jeder grossen Veränderung gibt es Dinge, die uns in Unruhe versetzen, weil sie alles durcheinanderbringen. Mit solchen Herausforderungen kann man lernen umzugehen. Viele Ängste haben aber wenig mit der Realität zu tun und sind deshalb meiner Meinung nach unbegründet.

Viele fürchten sich trotzdem.
Und wir sind nicht wir selbst, wenn wir ängstlich sind. Wenn wir diese Angst loswerden, sehen wir die Dinge unvoreingenommener. Als Werkzeug nämlich, das uns das Leben erleichtert.

Es geht bei KI nicht einmal ansatzweise um Intelligenz.

Sam Altman, CEO von Open AI, und andere warnen vor ihren eigenen Produkten.
Ich will Altman nichts unterstellen, aber ich glaube, da steckt etwas anderes dahinter.

Nämlich?
Wäre ich Marktführer wie Open AI mit Chat-GPT, dann würde ich auch zur Regierung gehen und sagen: Leute, das ist gefährlich. Reguliert das besser. So schütze ich mein eigenes Unternehmen vor der Konkurrenz. Zudem: Bei allen grossen Neuerungen standen sich die Weltuntergangsphilosophen und die Optimisten gegenüber. Das ist auch heute so. Die meisten seriösen Wissenschaftler sehen die Chancen und handhabbare Risiken. Der Rest ist Science-Fiction.

Erklären Sie.
Denken Sie an den Terminator oder an HAL in Stanley Kubricks «Odyssee im Weltraum». Beide verursachen riesige Probleme. Bloss: Es gibt den Terminator nicht. Und HAL ist ein Film-Supercomputer. Das ist Hollywood, nicht die Realität.

Gerade in der Hospitality-Branche spielen zwischenmenschliche Eigenschaften eine wichtige Rolle. Wie soll denn ein Chatbot je auf individuelle Bedürfnisse eines Gastes eingehen?
KI, also zum Beispiel ein Chatbot, macht es möglich, dass wir das tun können, was wir gut und gerne tun. Das gilt auch für die Beherbergungsbranche, wo Leidenschaft, Mitgefühl, Gastfreundschaft eine grosse Rolle spielen. Viele langweilige, wiederkehrende Arbeiten nimmt uns die KI ab und setzt uns so frei für Mitmenschlichkeit.

KI weckt falsche Assoziationen. Es geht nicht einmal ansatzweise um Intelligenz. Es geht um Wahrscheinlichkeiten.

Das hat man uns schon versprochen, als die E-Mails aufkamen ...
Wir Menschen sind nicht gut da drin, das richtige Mass zu finden. Weil es bedeutet, dass wir uns einschränken müssten. Wir sollten lernen, auch mal Nein zu sagen. Das Problem sind also eher wir, nicht die Technologie selbst.

Wir sind also selbst schuld?
Bis zu einem gewissen Grad ja. Gewisse Dinge muss man sich hart erkämpfen, um erfolgreich gegen Hindernisse zu bestehen. Das hören viele nicht gerne.

Wo könnte denn KI in der Hotellerie eine Rolle spielen?
Mechanische Aufgaben erledigt die KI besser als wir: Wo finde ich die Toiletten? Wie buche ich eine Massage im Wellnessbereich? Ich bin allergisch auf Laktose, kann ich dieses Gericht mit gutem Gewissen geniessen? Womöglich stellt der Gast all diese Fragen in einer Fremdsprache. Solche Aufgaben erledigt die KI schneller und meist zuverlässiger als ein Mensch, rund um die Uhr.

Die Hilton-Gruppe setzt einen Roboter als Concierge ein. Ist das mehr als ein Gag?
Ich glaube, solche Modelle erweitern das Spektrum der Möglichkeiten. So kann ich mich von den Mitbewerbern abheben. Irgendwann werden alle den gleichen Roboter einsetzen. Dann ist wieder der Concierge aus Fleisch und Blut gefragt. Bewegung und Gegenbewegung, die Dinge pendeln sich immer wieder ein.

Gerade kleinere und mittlere Hotels leiden unter Zeitnot. Wie können sie sich in Sachen KI auf dem Laufenden halten?
Die lesen hoffentlich die htr hotelrevue! Newsletter gibt es zu fast allen Themen. Abonnieren Sie zwei, drei glaubwürdige im Netz. So bleiben Sie auf dem Laufenden.

Erzählen Sie uns einen KI-Witz?
Einen Computerwitz kenne ich: Jesus und der Teufel veranstalten einen IT-Wettbewerb und übertrumpfen sich gegenseitig mit neuen Ideen. Plötzlich fällt der Strom aus, die Bildschirme sind schwarz. Der Teufel flucht. «Alles ist weg», stöhnt er. Jesus lächelt ihn an und säuselt: «Jesus saves ...»

Hospitality Summit
Thilo Stadelmann ist Informatiker und Professor für KI und maschinelles Lernen an der ZHAW School of Engineering in Winterthur, wo er das Centre for AI leitet. Als Gründer, Leiter und Forscher trug er beträchtlich zum Ecosystem um datengetriebene Wertschöpfung in der Schweiz bei. Seine Forschung konzentriert sich auf Deep Learning für verschiedene Branchen. Sein Buch «Applied Data Science – Lessons Learned for the Data-Driven Business» erscheint im Springer-Verlag. [IMG 2]

Am 13. Juni hält Thilo Stadelmann die Keynote zum Thema künstliche Intelligenz. Er gewährt Einblicke in die Welt der KI und spannt den Bogen zur Hotellerie.

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