Alleine am Abend ins Restaurant essen gehen? Das ist nicht jedermanns Sache. Alleinesserinnen sind auch nicht immer gerne gesehen. Gourmetkritiker Christian Seiler empfiehlt etwa, stets für zwei Personen zu reservieren, da man ansonsten in der Regel den schlechtesten Tisch erhält – ein bisschen so, als würde man aufs Abstellgleis rangiert. Es gibt aber auch andere Erlebnisse. Eine Bekannte der Autorin geht auf ihren Veloreisen stets alleine essen – und geniesst es. Sie hat den Eindruck, dass sie dadurch aufmerksamer behandelt wird.
Mitleidige Blicke, fehlende Gespräche
Die Bernerin Beatrix Revesz, die früher auf ihren Geschäftsreisen, als sie eine Agentur für Designartikel führte, oft auswärts ass, sagt: «Ich gehe gerne gut essen. Doch als Einzelgast fühlte ich mich oft unwohl. Ich denke, dass man als Einzelgast oft mitleidig angeschaut wird.»
Das brachte sie auf eine Idee: Warum gibt es in Restaurants nicht häufiger Gemeinschaftstische, an die sich jeder setzen und so mit Tischnachbarn plaudern kann, statt einen Abend lang ins iPhone zu starren? So hat sie vor sieben Jahren das Projekt «m-eating-table» ins Leben gerufen – der Name ist ein Wortspiel aus «meeting» und «eat».
«Gemeinschaftstische bieten den Betrieben nur Vorteile.»
Beatrix Revesz, Projekt «m-eating-table»
Die Idee: Ein Tisch wird offiziell als Gemeinschaftstisch gekennzeichnet. Wer will, setzt sich dorthin, ob nun alleine, zu zweit oder als Gruppe. «Essen in Gesellschaft macht nicht nur den Gästen mehr Spass», sagt Revesz. «Es bietet auch dem Betrieb nur Vorteile. Die Restaurants können den Platz besser auslasten und generieren mehr Umsatz. Wenn man gesellig beieinandersitzt, trinkt man viel eher noch ein weiteres Glas Wein, als wenn man alleine ist.»
Alleine Essen in Paris
Bistronomie: des tables d’amis et de marmites
A la fin d’un beau repas pris seul au restaurant bistronomique de Claude Colliot, dans le IVe arrondissement, à Paris, il y a quelques années, on me propose la prochaine fois de manger à la table d’amis. Cela donne envie d’en savoir plus. Une initiative prise par le chef que ses amis qualifient d’oiseau rare et d'attachant, voilà environ huit ans. «On voyait nos clients et nos amis se réunir sur plusieurs tables autour d’un verre de vin ou d’une assiette, et de nouvelles amitiés naissaient», explique le chef. D’abord des tables assises uniques, puis des tables basses à la japonaise plus grandes, aujourd’hui des tables en chêne massif pouvant accueillir jusqu’à douze personnes.
Ces tables d’amis restent disponibles pour toutes personnes qui les demandent. Une personne seule peut s’y installer, tout comme un groupe d’amis peut les réserver. Il raconte une anecdote liée à ces tables: «Deux amis d’enfance qui ne s’étaient pas revus depuis 30 ans et qui se sont retrouvés à la même table en France, alors qu’ils étaient les deux originaires des États-Unis. Des retrouvailles mémorables qui ont ému la salle.» A ces tables, le chef Claude Colliot aime y servir des plats en marmite ou en cocotte, comme son bœuf bourguignon revisité. aca
Revesz sieht weitere positive Aspekte: Ein Restaurant kann von diesem Alleinstellungsmerkmal profitieren. «Nicht zu unterschätzen: die Mund-zu-Mund-Propaganda, wenn die Gäste von einem unvergesslichen Abendessen schwärmen, bei dem sie Leute kennengelernt haben.»
Die Zahlen des Buchungsportals Lunchgate zeigen, dass Einzelplätze immer häufiger gebucht werden. Dem Portal sind rund 1000 Deutschschweizer Lokale angeschlossen. Vor zehn Jahren wurden nur 0,6 Prozent der Lunchgate-Reservationen für eine Einzelperson getätigt, 2019 waren es schon 1,8 Prozent und 2022 sogar fast das Doppelte: 3,5 Prozent.
«Gemeinschaftstische sind ein enormes Bedürfnis», sagt Revesz. Noch vor Corona konnte sie rund 40 Restaurants in der Schweiz für «m-eating-table» gewinnen. Mit der Pandemie verlor das Projekt an Schwung. Obwohl nun keine Corona-Massnahmen mehr gelten: «‹m-eating-table› ist kein Selbstläufer. Das muss man kommunizieren, damit es funktioniert. Die Leute müssen es wissen, schon bevor sie ins Restaurant kommen.» Denn es gibt viele Gäste, die sich gar nicht erst getrauen, ohne Begleitung ein Restaurant aufzusuchen.
Unkompliziert für gesellige Tischgemeinschaften
Alleinesser sind denn auch nicht überall willkommen: Als Einzelperson am Zweiertisch blockiert man einen Platz. Vor allem für kleine Lokale mit gehobener Küche, die aus jedem Quadratmeter das Optimum herausholen müssen, ist das manchmal ein Problem.
Das Restaurant Linde in Juckers Boutique-Hotel in Tägerwilen TG ist zwar klein, hatte jedoch noch nie Probleme mit Einzelgästen. Gastgeberin Karin Jucker geht unkompliziert damit um. «Wenn jemand alleine oder zu zweit kommt, fragen wir, ob wir sie zu anderen Leuten hinzusetzen dürfen.»
«Wenn jemand alleine oder zu zweit kommt, fragen wir, ob wir sie zu anderen Leuten hinzusetzen dürfen.»
Karin Jucker, Restaurant Linde in Juckers Boutique-Hotel, Tägerwilen TG
In der «Linde» entstanden so auch schon langlebige Freundschaften: Jucker platzierte vier Stammgäste immer näher beieinander – bis diese dann zu viert an einem Tisch sassen und sich kennenlernten. Seit Kurzem steht im Gastraum der «Linde» ein «m-eating-table». Denn auch Jucker weiss, dass sich manche nicht getrauen, ohne Begleitung im Restaurant aufzutauchen, und hofft, mit dem Gemeinschaftstisch etwas daran ändern zu können.
Erfolgsrezept Gemeinschaftstisch
Im Hotel Hof Weissbad in Weissbad AI lässt man Einzelgästen auch nicht alleine sitzen, wenn diese lieber Gesellschaft hätten. «Wir fragen sie jeweils, ob sie sich zum Essen zu einem Tischgspänli setzen möchten», sagt Christian Huber, Direktion Restauration. Oft sei dann schnell ein Vierer- oder Sechsertisch voll. «Häufig essen diese willkürlich zusammengestellten Tischgemeinschaften während ihres gesamten Hotelaufenthaltes zusammen.»
«An diesem Tisch ist es nie ruhig, es wird immer viel geredet.»
Christian Huber, Direktion Restauration Hotel Hof Weissbad
Neben dem Hotelbetrieb befindet sich im «Hof Weissbad» auch ein Klinikbereich mit einem Fastenkurangebot. Für die Kurgäste ist ein Gemeinschaftstisch reserviert. «Wer will, setzt sich dorthin», sagt Huber. Der Tisch ist ein voller Erfolg: «Viele Kurgäste freuen sich über die Gesellschaft», so Huber. «An diesem Tisch ist es nie ruhig, es wird immer viel geredet. Man geniesst den Erfahrungsaustausch.» Dieser Tisch wurde während der Corona-Zeit denn auch sehr vermisst. «Wir haben gemerkt: Er ist ein Bedürfnis.»
Das Hotel fördert das soziale Miteinander, weil dies zur Grundüberzeugung gehört, wie man ein Hotel führt: «Wir pflegen einen sehr freundschaftlichen Umgang, ob mit den Gästen oder unter den Mitarbeitenden.» Das Hotel mit den 87 Zimmern ist denn auch äusserst beliebt: Es hat eine Auslastung von mehr als 90 Prozent.
Einen Gemeinschaftstisch gabs bis vor Corona mittags jeweils auch im «Bärenhöfli» des Hotel Kreuz in Bern. Es gab ein Buffet, wo sich jeder selbst schöpfte, am langen 20er-Tisch stand Leitungswasser bereit. Da sassen manchmal Pensionierte, Studierende, Strassenbauer und Anwälte gemeinsam am Tisch. «Mir gefiel das Menschliche», sagt Chef de Service Victor Dacosta. «Alle redeten miteinander.» Noch ist offen, ob der Tisch wieder eingeführt wird, ein Gemeinschaftsbuffet sei auch nach Corona für viele zu heikel, sagt «Kreuz»-Direktor Roger Burkhardt.
Eine Nachfrage bei der KG Gastrokultur, die in Bern sechs Restaurants führt, zeigt, dass bei ihnen kein Bedürfnis für Gemeinschaftstische besteht. «Es gibt kaum Nachfragen von Einzelgästen.» Trotzdem rief das Unternehmen 2021 im «Le Beizli» das Format «Essen mit …» ins Leben. Einzelpersonen konnten sich für ein Abendessen mit einer lokalen Persönlichkeit – etwa mit der Schauspielerin Heidi Maria Glössner – anmelden. Das habe lustige Tischgesellschaften ergeben. Finanziell rentierte es nicht, was aber nebensächlich war.
Revesz ist überzeugt, dass ein Gemeinschaftstisch jedem Lokal guttun würde. Es sei aber schwierig, Gastgeber zu überzeugen. «Hoteliers und Gastronomen sollten den sozialen Kontakt zwischen den Gästen fördern und pflegen», sagt sie. «Es ist ein Plus für alle.»
Claudia Langenegger