Die Schweizer Hotellerie erholt sich. Zumindest gemäss den neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik. Mit einer Bruttozimmerauslastung von 37,7 Prozent in den ersten drei Monaten des Jahres liegt die Branche schweizweit zwar noch immer 9,3 Prozentpunkte unter dem Niveau von Anfang 2019. Werden aber nur die Tourismusregionen Graubünden und Wallis verglichen, so ist die Auslastung bis Ende März mit 56,1 Prozent im gleichen Zeitraum nur 2 Prozentpunkte tiefer als damals.

Ist nun zumindest für die Ferienhotellerie wieder alles in Ordnung?
Leider kann diese Frage nicht pauschal bejaht werden. Denn gerade abseits des städtischen Raums und der Top-Feriendestinationen zeigt sich, dass die vorhandenen Beherbergungsangebote vielfach nicht dem entsprechen, was auf dem Markt heute nachgefragt wird. Das lässt sich zum einen mit einer überalterten Infrastruktur und mit einem nicht mehr zeitgemässen Auftritt/Design erklären. Zum andern sehen wir, dass gerade kleinere Beherbergungsbetriebe oftmals nicht klar positioniert sind und trotzdem nur ein beschränktes Beherbergungsangebot bereitstellen. Ohne aktives Handeln werden diese Betriebe langfristig nicht aus eigener Kraft überleben können.

Wie soll dieses aktive Handeln aussehen?
Bevor schon mit der Planung der Gebäudeerneuerung begonnen wird, sollte zu Beginn der Standort überprüft werden. Stimmen Lage, Umgebung und Erreichbarkeit für eine Nutzung im Bereich Hospitality heute und in absehbarer Zukunft? Falls nicht, sollte über eine neue Strategie nachgedacht werden, und eine Umnutzung drängt sich auf. Ist der Standort in Ordnung, dann lohnt sich eine Auslegeordnung zu den Entwicklungspotenzialen der Liegenschaft, und zwar aus Sicht des Eigentümers, der Gäste/Nutzer und des Betreibers (auch wenn dieser zugleich Eigentümer ist). Mein Vorschlag dabei ist, mit der Eigentümerperspektive zu beginnen.

Die Eigentümerperspektive
Mit Ausnahmen von Fällen der Liebhaberei ist das primäre Interesse eines Eigentümers an einer Liegenschaft klar definiert: eine nachhaltige markt- und risikoadäquate Verzinsung des eingesetzten Kapitals anhand der Miete für die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Herrscht ein Investitionsstau oder ist aus anderen Gründen keine vernünftige Rendite zu erreichen, so bietet sich in einem ersten Schritt eine Abklärung der baurechtlichen Möglichkeiten an: In welcher Bauzone befindet sich die Liegenschaft? Bestehen Ausnützungsreserven? Welche Möglichkeiten bietet die bestehende Liegenschaft? Ist allenfalls eine anderweitige Nutzung möglich und bestehen Restriktionen, etwa wegen des Zweitwohnungsgesetzes?

Stimmen Lage, Umgebung und Erreichbarkeit für eine Nutzung im Bereich Hospitality?

Nachdem der Handlungsspielraum zu möglichen Änderungen der Liegenschaft abgeklärt worden ist, braucht es den Marktcheck dazu. Mit anderen Worten: Bestehen eine Nachfrage und eine entsprechende Zahlungsbereitschaft für die baurechtlich möglichen Änderungen im Gebäude und in der Nutzung? Womöglich zeigt sich, dass zu einer Form der Wohnnutzung keine wirkliche Alternative besteht. Eine auf den ersten Blick vermeintlich ernüchternde Erkenntnis. Aber wie die nachfolgende Darstellung veranschaulicht, bieten die verschiedenen Wohnformen gleichwohl eine Bandbreite an möglichen Lösungen.

Die Gäste-/Nutzer-Perspektive
Auf diese wirken verschiedene Megatrends zwar unterschiedlich, aber doch mit der gemeinsamen Erkenntnis, dass flexible Formen von Wohnen und Beherbergung verstärkt nachgefragt werden: Der Trend zur Individualisierung und Diversifizierung sowie der globalen Digitalisierung verstärkt die Entflechtung der Wohnfunktionen und erhöht die Ansprüche an die Grundriss- und Nutzungsflexibilität. Im Zeichen von ökonomischen Ungleichverteilungen weisen gemeinschaftlich ausgelegte Wohnformen ausserdem zunehmendes Potenzial auf. Sie bieten nicht nur ökonomische Vorteile im Sinne der «sharing economy», sondern bieten jungen sowie älteren Alleinstehenden ein gemeinschaftliches Umfeld und tragen wesentlich zur Identitätsbildung bei.

Im Idealfall sollte ein Beherbergungskonzept nicht nur Zimmer zum Schlafen anbieten, sondern Räume, in denen auch gearbeitet und oder gemeinschaftlich gewohnt werden kann. Sowohl der Service- und Ausstattungsgrad wie auch die Aufenthaltsdauer müssen flexibel oder zumindest saisonal variieren können. Im städtischen Kontext entstehen denn auch laufend neue Angebote, die dem in der einen oder anderen Weise Rechnung tragen und sich über den Standard und die Nähe zum Kunden weiter differenzieren.

Mit einer klaren Spezialisierung können Hotels ausserhalb der touristischen Zentren sehr gut funktionieren.

Positiv ist dabei, dass gerade Hotelgebäude aufgrund ihrer Struktur und vielfältigen Installationen eine geeignete bauliche Struktur für eine erweiterte Nutzung bieten: vom traditionellen Hotelzimmer über bewirtschaftete Ferienwohnungen, Micro-Apartments, Senioren-Gemeinschaftskonzepte bis hin zu neuartigen Co-Living-Konzepten.

Findet sich ein geeignetes Nutzungskonzept, das über die traditionelle Hotellerie hinausgeht und verschiedene Beherbergungsformen anbietet, so braucht es einen Betreiber, der den Vertrieb zentral gebündelt und koordiniert leisten kann.

Die Betreiberperspektive
Dank der Digitalisierung ist es heute so einfach wie noch nie, dass ein Betreiber eines kleineren Objekts auf der Klaviatur unterschiedlicher Beherbergungsformen, Verweildauern und Servicegrade spielen kann. Wie das Beispiel «Berg & Bett Säntis Lodge» aus dem Toggenburg zeigt, bietet sich dem Betreiber dabei zudem die Möglichkeit, über die eigene Liegenschaft hinaus externe Wohnangebote ins Konzept zu integrieren und so eigene Serviceleistungen auch Dritten zur Verfügung zu stellen.

Alternativ oder ergänzend bietet sich aus der Perspektive des Betreibers auch die Möglichkeit, eine Spezialisierung auf spezifische Kundenbedürfnisse oder ein klar definiertes Gästesegment vorzunehmen. Beispiele wie das Märchenhotel Bellevue in Braunwald (bestes Familienhotel der Schweiz), das Schloss Schauenstein in Fürstenau (Spitzengastronomie von Andreas Caminada) oder das Hotel Kemmeribodenbad in Schangnau (naturnah und familiär) zeigen, dass dies auch oder gerade ausserhalb der touristischen Zentren sehr gut funktionieren kann.

Andrea Bernhard ist Director beim Immobilienbüro Wüest Partner und Experte für Hospitality-Immobilien.

www.wuestpartner.com