Vor einigen Jahren galten Weine aus Argentinien, Südafrika und den USA noch als Exoten. Wenn heute ein Wein aus Stellenbosch, Mendoza oder dem Napa Valley auf der Karte steht, löst das bei den meisten Weinliebhabern kein Staunen mehr aus. Aber wie sieht es mit Weinen aus Kanada, Slowenien oder China aus?
Einer, der die Reaktionen auf ein solches Sortiment kennt, ist Sommelier Torsten Noack vom Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa, wo unter anderem Weine aus England und Moldau auf der Karte stehen und dessen Mutterkonzern, die Michel Reybier Hospitality, das ungarische Weingut Tokaj-Hétszőlő besitzt. «Überraschung», beschreibt er sie mit einem Wort. Aber meist eine freudige Überraschung. «Die Kunden erleben Weine aus unbekannten Ländern intensiver, weil sie ohne Erwartungen degustieren und offener sind für den Geschmack.»
«Mit solchen Empfehlungen kann man sich als Restaurant profilieren und sich von der Masse abheben.»
Philipp Paatsch
Sommelier The Chedi in Andermatt
Für Philipp Paatsch, Sommelier im 5-Sterne-Deluxe-Hotel The Chedi in Andermatt, ist es jeweils ein Kompliment für die Arbeit des Sommelierteams, wenn ein Gast der Empfehlung vertraut und eine Flasche aus einem unbekannten Weinland bestellt. Damit könne man sich als Restaurant profilieren und sich von der Masse abheben. Die ausgezeichnete Karte im «The Chedi» umfasst etwa Weine aus Ungarn, Grossbritannien und Armenien.
Kunden sind offen für neue Weinerlebnisse
«Das Interesse an Weinen aus unbekannten Ländern nimmt zu», stellt Alessandro Pagani fest, Einkäufer beim Weinhändler Arvi, in dessen Sortiment sich auch Weine aus China, Ungarn und dem Libanon finden. Schweizer seien ausgesprochen neugierig und in der Regel offen für Neues. «Es gibt keinen vergleichbaren Markt in Europa.»
In Italien würde man zum Beispiel nie einen belgischen Wein auf einer Karte finden, sagt auch Paatsch. Der «Chedi»-Sommelier macht gleichzeitig auf die Unterschiede zwischen Deutschschweizern und Romands aufmerksam: In der Romandie sei man seiner Region treuer, in der Deutschschweiz offener für Neues. Gleichzeitig ist Paatsch überzeugt, dass solche Weine ein Nischenprodukt bleiben werden. «Manchmal ist es schon schwierig, jemandem einen Wein aus Sizilien zu empfehlen, weil Piemont oder Toskana die viel bekannteren Regionen sind.»
«Der Gast verlässt mit diesen Weinen in der Regel seine Komfortzone.»
Matteo Rimoldi
Chefsommelier im Bürgenstock Resort
Man müsse beim Kunden die Offenheit spüren, sagt Matteo Rimoldi, Chefsommelier im Bürgenstock Resort. «Denn der Gast verlässt mit diesen Weinen in der Regel seine Komfortzone.» Wenn Rimoldi merkt, dass sein Gegenüber bereit ist für etwas Neues, empfiehlt er gerne beispielsweise einen Wein aus Neuseeland oder Australien, die gerade für asiatisches Essen tolle Begleiter seien.
Noack rät Gastronomen, den Mut zu haben, auch mal einen Wein aus einem unbekannten Land oder einer ungewöhnlichen Region im Offenausschank anzubieten oder in eine Weinbegleitung einzubauen. Weiter empfiehlt er, den Wein, wenn er neu auf der Karte steht, eher knapp zu kalkulieren. «So ermögliche ich dem Gast, etwas Neues zu probieren. Wenn der Wein gut läuft, können wir immer noch neu kalkulieren.»
Max Wohlwend, der wichtigste Schweizer Importeur kanadischer Weine, hat gleichzeitig die Erfahrung gemacht, dass sich auch teure Weine gut verkaufen. Das 4-Sterne-Superior-Hotel Saratz in Pontresina etwa habe den Bordeaux-Blend Oculus – Kanadas Pendant zum bekannten Opus One – für 141 Franken auf der Karte und bestelle davon regelmässig Nachschub. Eines ist für Wohlwend aber klar: Wer einen Wein überraschender Provenienz auf die Karte setzt, muss einen Topwein anbieten.
Spezielle Weine haben auch auf kleinen Karten Platz
Dass es auf der über 80-seitigen «Chedi»-Weinkarte drei, vier Plätze frei hat für exotische Weine, überrascht nicht. Aber würde Paatsch auch einem kleineren Restaurant empfehlen, solche Weine anzubieten? «Natürlich», sagt er, ohne zu zögern. Ein, zwei ungewöhnliche Weine vertrage es auch auf einer kleineren Weinkarte. Es brauche jedoch Mitarbeitende, die den Kunden diese Weine schmackhaft machen könnten. Denn Ladenhüter seien gebundenes Kapital und mit Lagerkosten verbunden.
Weltweit wird in über 100 Ländern Wein angebaut. Neue Züchtungen und Klimawandel erlauben es zudem auch Ländern wie Grossbritannien und Schweden, grosse Weine zu produzieren. Regionen wie Kent in England und Nova Scotia in Kanada machen der Champagne in Sachen Schaumwein Konkurrenz. Kleine Regionen setzten in der Regel auf Qualität, weil sie bei der Quantität gar nicht mithalten könnten, sind mehrere der befragten Experten überzeugt.
«Ecuador macht grossartige Weine. Und die argentinische Region Patagonien.»
Alessandro Pagani
Einkäufer beim Weinhändler Arvi
Und was sind die Geheimtipps der Profis? «Ecuador macht grossartige Weine. Und die argentinische Region Patagonien», sagt Pagani von Arvi. Das Interesse von Paatsch haben Weine aus Peru, Kroatien und Schweden geweckt. Für Noack gehören auch Weine vom Bieler- oder Thunersee zu den Tropfen, die es zu entdecken gelte. Interessant findet er zudem Osteuropa und weniger bekannten Überseeregionen wie Tasmanien, Oregon und New York. Rimoldi wiederum sieht neben Osteuropa grosses Potenzial in China. «Noch sind die Preise im Verhältnis zur Qualität zu hoch, aber es ist eine Frage der Zeit, dass China am Weinmarkt eine Grösse ist.»
Einige Weinländer vorgestellt
Ob Shootingstar oder tausendjährige Tradition: Viele Weinländer sind in der Schweiz weitgehend unbekannt. Wir stellen fünf unbekannte Länder vor:
Neuseeland
Neuseeland ist der Shootingstar unter den Weinländern. Dafür, dass die ersten Weinreben dort erst vor rund 70 Jahren gesetzt wurden, produzieren die Winzer des Inselstaats teils grossartige Weine. Die unterschiedlichen Klimazonen ermöglichen eine vielseitige Weinkultur. Hauptsorten sind Sauvignon blanc, der oft langanhaltend und doch modern spritzig auftritt, und Pinot noir, für den die Südinsel optimale Bedingungen bietet.
China
Gemessen an der Rebfläche gehört China bereits zu den grössten Produzenten der Welt. Jedoch wird nur ein kleiner Teil er Trauben vinifiziert, der meiste wird zu Traubensaft. Das Land steht deshalb erst am Anfang einer grossen Weinentwicklung, bietet aber schon jetzt – meist dank französischem Know-how – Spitzenweine zu entsprechenden Preisen. Am häufigsten angebaut wird die Bordeaux-Sorte Cabernet Sauvignon.
Kanada
Lange wurden in Kanada vor allem amerikanische oder Hybridreben angebaut, die oft einen eigenwillig schmeckenden Wein ergaben. Erst vor rund 50 Jahren begannen die Winzer auf europäische Sorten umzustellen. Das Land bietet dank unterschiedlichen Klimazonen eine breite Vielfalt an Weinen – von Tempranillo bis Riesling. Obwohl die Weine oft trocken ausgebaut werden, ist das Land der grösste Produzent von Eisweinen.
Slowenien
Noch gilt das Land zwischen Italien, Österreich und Kroatien als Geheimtipp. Denn immer mehr Winzer sehen davon ab, günstigen Landwein zu produzieren, und setzen auf Qualität, die sich sehen lassen kann. Wem das Herkunftsland an sich noch zu wenig ausgefallen ist, kann sich in Slowenien zudem auf seltene Sorten freuen. Am verbreitetsten ist der Welschriesling; aber auch Sorten wie Refošk, Žametovka und Rebula trifft man häufig an.
Ungarn
Der Weinbau hat in Ungarn eine 5000-jährige Geschichte und ist mehr als nur der bekannte Süsswein Tokajer. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks orientierten sich die ungarischen Winzer um und mussten sich mit Qualitätsweinen am internationalen Markt beweisen. Obwohl Ungarn im Ausland oft vor allem als Rotweinland (Blaufränkisch) wahrgenommen wird, dominieren weisse Sorten wie Welschriesling und Chardonnay.