Vor einem Jahr hat die Hotelgruppe The Living Circle ein ehrgeiziges Projekt gestartet. Das Zürcher City & Lake Resort, bestehend aus «Widder», «Storchen» und «Alex Lake», soll bis 2023 komplett plastikmüllfrei sein. «Ein hochgestecktes Ziel», sagt General Manager Jörg Arnold. «Aber wir wollen zeigen, dass Luxushotellerie und Nachhaltigkeit kein Widerspruch sind.» Es war naheliegend, im Bereich Plastik ein Statement abzugeben: Die Trinkhalme sind jetzt aus Metall, die Wäsche wird in Lederboxen untergebracht, die Zeitung steckt im Jutesack. Aktuell steht in den Badezimmern ein weiterer Wechsel an: weg von Einwegtuben, hin zu nachfüllbaren Dispensern. Es gibt aber noch jede Menge Knacknüsse, etwa, was als Ersatz für die Kaffeerahmkapseln in den Zimmern angeboten werden könnte.

«Das Projekt ist Neuland für uns, und der Prozess ist kompliziert.»

Jörg Arnold, General Manager City & Lake Resort in Zürich

Plastikfreier Pionier
Im September wurde eine Machbarkeitsanalyse durchgeführt. «Sie war für uns eine Bestätigung, dass es zwar Hürden gibt, wir aber auch gute Chancen haben, als plastikfreier Betrieb eine Vorreiterrolle in der Hotellerie einzunehmen», freut sich Arnold. Unterstützung gibt es von der Berner Firma Swiss Climate, welche die möglichen Massnahmen evaluiert. «Das Projekt ist Neuland für uns, und der Prozess ist kompliziert», erklärt Arnold. «Manche Produkte lassen sich aus hygienischen Gründen schwer ersetzen. Zudem sind viele Schritte nicht sofort umsetzbar. So müssen wir beispielsweise passende Anbieter plastikfreier Produkte finden. Und: Wir haben Verpflichtungen gegenüber bestehenden Lieferanten.»

Home Delivery geht auch ohne Plastik
Das Restaurant Landhaus Liebefeld zeigt, wie Essenslieferung ohne Verpackungsabfall geht: Es liefert Gourmetgerichte auf edlen Porzellantellern nach Hause. Kunden deponieren das Geschirr hinterher beim Briefkasten, wo es wieder abgeholt wird. Für diese verpackungsmüllfreie Lieferlösung bekam das Hotel im Herbst den Milestone-Corona-Sonderpreis. Auch das City & Lake Resort hat den Bereich Delivery plastikfrei gemacht. Es kooperiert mit der Schweizer Firma Pacovis, bei deren Produktelinie «Naturesse» alles aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohrfasern besteht.
landhaus-liebefeld.ch

Was auch zu beachten ist: Die Vorräte an alten Produkten sollten erst aufgebraucht werden. Denn die Ökobilanz ist teilweise besser, wenn ein Plastikprodukt nicht sofort durch ein plastikfreies Produkt ersetzt, sondern bis zum Ende weiterbenutzt wird. «Solche Wissensgrundlagen verschaffen uns einen Überblick und helfen bei der Erstellung des Fahrplans mit der richtigen Reihenfolge der Massnahmen», sagt der General Manager. Es motiviert ihn zudem, dass die Gäste die Veränderungen keineswegs als Komforteinbusse empfinden. Das Gegenteil ist der Fall: Plastik ist teilweise fast verpönt. So kann manchen Gästen die Umstellung gar nicht schnell genug gehen.

Gleicher Lieferant, weniger Abfall
Um Verpackungsmüll zu reduzieren, braucht es nicht immer einen Lieferantenwechsel, wie das Beispiel aus dem Hotel Eden Spiez zeigt. Hier liessen sich Produkte und Abläufe mit bestehenden Partnern optimieren, etwa mit dem Winzer aus dem Ort. Früher lieferte er den Wein in 6er- und 12er-Kartons ins Hotel. Die Verpackung wurde lediglich für den Transport von wenigen 100 Metern benutzt, die Flaschen wurden herausgenommen, geprüft und dann in eigene, wiederverwendbare Gebinde umgepackt. Übrig blieb ein Haufen Kartonabfall, wie Hoteldirektor Patrick Jäger erzählt.

Es begannen Gespräche mit dem Winzer. «Wir haben geschaut, wie wir den Transport ohne Verpackung hinbekommen», sagt Jäger. «Es sollte dadurch kein Mehraufwand entstehen, und die Lieferung der Flaschen musste sicher sein.» Die Beratungen dauerten ein paar Monate, schliesslich wurden Mehrweggebinde getestet. «Zwar klappte nicht alles von Anfang an. Aber wir hatten auch nicht den Anspruch, den Verpackungsabfall sofort von 100 auf 0 zu reduzieren.»

Mehrweggebinde statt Verpackungsmüll
Ähnlich wie beim Wein lief es bei den Einkäufen für die Küche, die der Grosshändler Pistor liefert. Auch hier wurde alles auf Mehrweggebinde umgestellt. Die Investition für die Umstellung beim Wein und den Küchenwaren betrug 3000 Franken. Für Jäger gut angelegtes Geld, zumal Mehrweggebinde weitere Vorteile haben als nur die Verringerung von Verpackungsabfall. «Sie sind besser stapelbar und brauchen so deutlich weniger Platz im Lager. Zudem kommt es nicht so schnell zu Transportschäden, was Geld und Aufwand spart.

«Es gewinnt das Hotel, der Lieferant und die Umwelt – und so auch der Gast.»
Patrick Jäger, Direktor Hotel Eden Spiez

In manchen Situationen führt die Reduktion von Verpackungsmüll zu einer ‹Win-win-win›-Situation. Es gewinnt das Hotel, der Lieferant und die Umwelt – und so auf lange Sicht auch der Gast.» Die Umstellungen führten zu sichtbaren Erfolgen: Die Müllcontainer quellen jetzt nicht mehr sofort über, wenn die Lager aufgefüllt werden. Um die Fortschritte genau zu messen, setzt das Management die Menge an entsorgtem Müll ins Verhältnis zu den beherbergten Gästen. Die Verbesserungen sind deutlich. Der Abfall verringerte sich innerhalb eines Jahres um 11 Prozent, obwohl die Anzahl Gäste zugenommen hat. Das zahlt sich nicht zuletzt finanziell aus: Die Abfallgebühren sind gesunken.

Geschirr statt Einwegverpackung
Das Hotel Gaia in Basel bewegt sich schon seit vielen Jahren in Richtung Zero Waste. «Corona hat uns aber in unseren Bemühungen zurückgeworfen», sagt Co-Direktorin Natalie Durrer-Geyer. Die pandemiebedingten strengeren Hygienevorkehrungen bedeuteten auch, dass wieder mehr Verpackungen nötig waren. Dennoch entwickelt sich die Sache weiter. Die Säcke für die Gästewäsche sind mittlerweile aus Baumwolle und nicht mehr aus Plastik.

Auch beim Frühstück entsteht weniger Verpackungsmüll. Früher gab es Butter und Konfitüre in Einzelportionen, jetzt steht alles offen auf dem Buffet. «Dadurch haben die Mitarbeitenden jedoch mehr Arbeit, weil sie die Porzellanbehälter jeden Tag reinigen und neu füllen müssen.» Zwar ist es ein Kampf, immer wieder mit den Anbietern besprechen zu müssen, ob und wie sich etwa das Joghurt in grossen Gläsern liefern liesse. Doch bei den Einkaufspreisen sieht Durrer-Geyer erfreuliche Entwicklungen. Plastikfreie Produkte sind heute stärker verbreitet und billiger geworden. So werden beispielsweise die Kaffeebohnen statt in Wegwerfpackungen in grossen Kesseln geliefert.

Etwas ganz Wichtiges im Umstellungsprozess sind Schulungen. «Alle müssen mitdenken», betont Durrer-Geyer. Einige Umstellungen gehen auf Ideen aus den Abteilungen zurück, etwa der Wechsel auf Pumpflaschen bei Shampoo und Bodylotion. Das Hotel versucht, auch die Gäste in diesen Prozess einzubinden, was jedoch nicht so einfach ist. So stehen in den Zimmern etwa spezielle Abfalleimer zum Trennen des Mülls. Doch in 90 Prozent der Fälle müssen dann die Mitarbeitenden die eigentliche Trennung vornehmen.


Nachgefragt

Anita Gschwind, Leiterin der Geschäftsstelle von Ibex Fairstay, dem führenden Nachhaltigkeitslabel für die Beherbergungsbranche in der Schweiz.

[IMG 2] Anita Gschwind, nimmt das Thema Verpackungsmüll hierzulande Fahrt auf?
Ja, und zwar unabhängig von der Hotelklassifizierung. Angetrieben wird es von engagierten Einzelpersonen. So schauen Hoteliers, die sich für die Schonung von Ressourcen einsetzen, bereits bei der Wahl der Produkte auf die Reduzierung von Abfall. So werden etwa Kaffeepackungen, die mit Plastikfolien zum Dreierpack verschweisst sind, nicht gekauft. Der beste Abfall ist jener, der gar nicht entsteht. Positive Nebeneffekte sind Kosteneinsparungen, etwa durch Gross- statt Einzelverpackungen.

Gehört ein Monitoring dazu?
Hotels sollten die Abfallmenge regelmässig kontrollieren, etwa die Anzahl Abfallvignetten oder die Gebührensäcke. So hat man eine Erfolgskontrolle und kann das Erreichte auch kommunizieren. Überhaupt ist Kommunikation das A und O – gegenüber Gästen und Mitarbeitenden. Es gilt, den Mehrwert aufzuzeigen. Sachliche Informationen fördern meist zu Verständnis. Das Personal wird motiviert und bestätigt, auf dem richtigen Weg zu sein. Und die Gäste erkennen, dass weniger – dies dafür in guter Qualität – oft besser ist als mehr.

Die Vermeidung von Verpackungsabfall ist nur ein Teil des nachhaltigen Handelns. Braucht es ein ganzheitliches Denken?
Unbedingt. Nachhaltigkeit umfasst die Gesamtheit der Dimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomisches – das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Entscheide aus ökologischen Gründen haben immer auch Auswirkungen auf die Bereiche Soziales und Ökonomisches und umgekehrt. Bei allen Tätigkeiten müssen Hotels abwägen, wie sie das Optimum für eine ganzheitliche Nachhaltigkeit herausholen. Eine alleinige richtige Lösung gibt es dabei nicht.

Andreas Lorenz-Meyer