Die vier Nobelherbergen der Gruppe – das namengebende Victoria-Jungfrau in Interlaken, das Bellevue Palace in Bern, das Palace in Luzern und das Eden au Lac in Zürich – gehören definitiv nicht zum Reisezeitalter, für das Easy Jet und Motel One stehen.
Sie stehen für Nachmittagstee statt Getränkeautomat, Blumenarrangements statt Plastikpflanzen und Rundumservice statt Schnellabfertigung für ein paar Stunden Schlaf. Hinter den ehrwürdigen Fassaden erinnert vieles noch etwas an die grosse Zeit des Reisens im frühen 20. Jahrhundert.
Die vier Häuser beherbergen immer noch Stammgäste, die vom Hoteldirektor begrüsst zu werden wünschen. Einige der Angestellten arbeiten schon sehr lange in den Häusern, und sie werden von Gästen und der Direktion gleichermassen für ihre Firmentreue geschätzt. Kontinuität ist in den Victoria-Jungfrau-Hotels ein hohes Gut.
Kaum noch Gewinn
Nur verdienen die Häuser trotz steigender Übernachtungszahlen kaum noch Geld: Im vergangenen Jahr schreiben sie bei 72,1 Millionen Franken Umsatz trotz höherer Übernachtungszahlen 2,2 Millionen Franken Verlust. Davor hatte es seit Jahren keinen grösseren Gewinn mehr gegeben. Nun will die Beteiligungsgesellschaft Aevis die Collection übernehmen.
Mit Aevis-Mitbesitzer Michel Reybier bietet ein Unternehmer um die Prachtpaläste, der nach eigener Aussage von Hotels überhaupt nicht fasziniert ist. Der Franzose, der den Kauf zusammen mit dem Westschweizer Financier Antoine Hubert über die Bühne bringen will, könnte der finanziell strapazierten Gruppe unter die Arme greifen.
Die Gruppe möchte schon seit einiger Zeit über die Zahl von vier Hotels hinauswachsen. Beat Sigg, Präsident und Direktor der Hotelgruppe, glaubt an die Magie der Häuser: «Die Substanz und die Geschichte der Hotels sind sehr stark. Dieser Hintergrund ist eine Marke und ein Wert, von dem auch ein Investor fasziniert ist.»
Geschichte und Geschichten
Falls sich die Hotelgruppe und Aevis auf einen Verkaufspreis einigen können, lägen Synergien drin: Zur Finanzgesellschaft gehört die Westschweizer Privatspitalgruppe Genolier, und Mitbesitzer Reybier betreibt schon Hotels.
Beat Sigg spricht liebevoll von den vier Fünf-Sterne-Hotels. Er ist sich sicher, dass mit Aevis im Boot die Traditionen nicht verwässert würden. Und Tradition gibt es genug: Die Geschichte des Victoria Jungfrau geht bis 1856 zurück, einer Zeit, als die Schweizer Bergregionen bei ausländischen Reisenden beliebt wurden.
Das Bellevue Palace neben dem Bundeshaus beherbergt in heutiger Form seit 1913 Kaiser, Könige und Präsidenten und ist ein Zentrum der politischen Bühne der Bundesstadt. Im Ersten Weltkrieg war es der Sitz der Armeeführung.
«Das Beste beider Welten»
Und doch müssen die Hotels den Spagat zwischen Geschichte und Moderne schaffen. «Wir versuchen, das Beste beider Welten zu erreichen», sagt Beat Sigg. Das ist nicht immer einfach.
Globale Luxushotelsbrands wie Ritz-Carlton oder Kempinski etwa ziehen rund um die Welt hochmoderne Bauten hoch und richten sie mit allen modernen Annehmlichkeiten im Grandhotel-Stil früherer Zeiten ein. Die Victoria-Jungfrau-Hotels bieten zwar das Original-Décor, aber aufgrund des Alters eine komplizierte Bausubstanz.
Das Palace in Luzern hat erst seit diesem Jahr in allen Zimmern Klimaanlagen. Umbaupläne des Zürcher Eden mussten aus Rücksicht auf die historischen Gegebenheiten geändert werden. Das Stammhaus in Interlaken hat viel in ein modernes Spa investiert, doch dieses ist manchem verwöhnten Gast immer noch zu klein.
Im Zeitalter des Internets
Die Neuzeit fordert ihren Tribut: Heute buchen viele Gäste ihr Zimmer tageweise im Internet. Wegen der Möglichkeit, Angebote laufend zu vergleichen, stornieren die Touristen die Buchung in letzter Minute. Auch Traditionshäuser müssen Preisnachlässe bieten, um die Übernachtungszahlen zu halten.
Dazu kommt noch die Besonderheit, dass sich in der Schweiz schwerreiche Investoren Luxushotels als Privatvergnügen leisten. Weil, wie im Falle des Dolder Grand in Zürich die Verluste aus deren Privatschatulle ausgeglichen werden, haben die «Mäzenenhotels» in gewisser Hinsicht einen Wettbewerbsvorteil.
Dass der Kurs des Frankens zu Euro oder Dollar Gäste fernhält, ist seit längerem Grund zur Klage der Hoteliers geworden. Die Personalkosten sind in Hotels, in denen der Gast ein hohes Mass an Service erwarten darf, traditionell hoch.
Gegen all diese Probleme kämpften die grossen Häuser der Victoria Jungfrau Collection mit ihrer unvergleichlichen Grandeur an, welche die jüngere Konkurrenz nicht bieten kann. Doch ohne frische Geldquellen werden notwendige Investitionen und damit das Wohlwollen der Gäste immer schwieriger. (av/sda)