Seit zwei Jahren sind alle touristischen Leistungserbringer getrieben von sich ständig ändernden externen Ereignissen in nicht voraussehbaren, neuen Dimensionen. Das frühere Damoklesschwert wie schwacher Euro oder steigende Inflation ist abgestumpft, zu intensiv ist die überall vorherrschende Diskussion zu den neuesten Entwicklungen der Covid-Pandemie. Der «schwarze Schwan» hat das touristische Wasser zu stark aufgewühlt. Man hangelt sich von Tag zu Tag – Flexibilität ist das Gebot der Stunde.
Allerdings ist jetzt auch der Moment, sich strategische Gedanken zu machen und die grossen Themen und längerfristigen Probleme wieder auf den Radar zu nehmen. Während die touristische Branche von der Politik eine Normalisierungsstrategie in der Bekämpfung der Pandemie fordert und die politischen Behörden in der Schweiz diese auch erfolgreich umsetzen, postuliere ich gleichzeitig eine Normalisierung unseres Denkens und Handelns. Gelähmt nach dem Schock im Jahre 2020, ist es nun höchste Zeit, sich als touristischer Unternehmer grundlegende strategische Gedanken um die Zukunft zu machen. Das Warten auf behördliche Entscheide oder externe Vorgaben führt ins Nichts. «Selber machen» muss die Devise sein. Es gilt, sich wieder vermehrt der unternehmerischen Verantwortung bewusst zu werden und entsprechend zu handeln. Nicht die Krise an sich, sondern die Unfähigkeit, sich ihr zu stellen, ist der Hauptgrund für das Scheitern in solchen Situationen. Ich bin überzeugt, dass die Tiefe, die Breite und die Schärfe dieser strategischen Überlegungen über den Erfolg in der Zukunft entscheiden werden.
Was hat uns die Covid-Krise vor Augen geführt? Dass die Schweizer Gäste die Natur und die Berge wiederentdeckt haben. Dass sie ihre Ferien – zuerst notgedrungen, später mit zunehmendem Enthusiasmus – zu Hause verbracht haben. Die Wiederentdeckung der nahen Natur und der Freizeiträume, das zunehmende Interesse über die Sprachgrenzen hinweg, das Zusammenrücken von Stadt und Land, die Bereitschaft zu Investitionen in der Schweiz – das sind gewinnbringende Potenziale der Zukunft, die es bezüglich Angebotsentwicklung oder auch Finanzierung zu erschliessen gilt. Daraus lassen sich Erfolg versprechende touristische Programme aufbauen.
Der griechische Begriff «Krísis» bedeutet ursprünglich nichts anderes als «Meinung, Beurteilung, Entscheidung»; was an sich ja keine negative Bedeutung haben müsste. Häufig ziehen Krisen jedoch Veränderungen nach sich, weil Krisen meistens die Schwächen und Probleme einer Branche schonungslos offenlegen. Wer den Mut und die Möglichkeit hat, die Schwächen zu beheben, gewinnt. Damit dies gelingt, ist es gerade jetzt angebracht, eine Post-Corona-Unternehmenskultur zu entwickeln. Und diese Aufgabe ist schwierig, aber machbar.
Die Pandemie hat die Schwächen der Unternehmen, das heisst die Rückstände einzelner Abteilungen oder ganzer Unternehmen, schonungslos aufgezeigt. Die Resultate von halbherzig umgesetzten strategischen Vorgaben, von gallisch geprägten kleinkarierten Strukturen, von jahrelang gepflegten Dissonanzen zwischen zentralen touristischen und politischen Stakeholdern, von bewusst oder unbewusst aufrechterhaltenen korrosiven Schnittstellen zwischen einzelnen Abteilungen, von aktiv oder passiv toleriertem aktivem oder passivem Veränderungswiderstand wurden offensichtlich. Diese mehr oder weniger ausgeprägten Schwächen gilt es zu erkennen, zu analysieren und zu beheben. Die bremsenden Kräfte sollen in beschleunigende Energie umgewandelt werden.
Mit einem produktorientierten Kompetenzansatz, der neue lokale und regionale, branchenübergreifende Kooperationen sucht, mit Überzeugung auf die Potenziale der Mitarbeitenden setzt, neue kreative Initiativen lanciert, fördert und belohnt, eine Kultur des Zutrauens und der Fehler aufbaut und pflegt, kann neue positive, befreiende Energie freigesetzt werden, die ein neues Gefühl der Leichtigkeit im Umgang mit Krisen bewirkt.
Berno Stoffel, Direktor Seilbahnen Schweiz