Zunächst lief eigentlich alles rund mit S.* Der Küchenlehrling bereitete sich im Zürcher Restaurant Vrenelisgärtli auf seine Lehrabschlussprüfung vor. Doch mit der Hochsaison im Sommer kam der Stress, und S. verlor zusehends die Lust an der Arbeit. «Wir haben uns mehrmals mit ihm zusammengesetzt und versucht, die Probleme zu lösen», erzählt Betriebsleiter Bernhard Stark, «aber leider hat es nichts genützt.» Im Juli 2018 kam es zum offenen Streit und man drohte S. mit der Kündigung – woraufhin dieser gleich selbst kündigte.

Bereits ab dem nächsten Tag blieb S. unter dem Vorwand «Velounfall» der Arbeit fern. Kurze Zeit später erhielt das «Vrenelisgärtli» auf Google und Tripadvi-sor erste 1-Stern-Negativbewertungen von unterschiedlichen Nutzern. Dass es sich dabei um einen Racheakt von S. handelte, der unter nur leicht abgeänderten Namen unterschiedliche Accounts erstellt hatte, war von Anfang an offensichtlich. Das Restaurant intervenierte umgehend bei den Bewertungsplattformen. «Tripadvisor reagierte sofort und löschte die insgesamt drei Negativbewertungen noch am gleichen Tag», so «Vrenelisgärtli»-Projektleiter Jörg Kümin. Nicht so Google. Dort sind die falschen Negativbewertungen auch mehr als ein halbes Jahr später noch online. Inzwischen sind noch weitere dazugekommen – allesamt von S. oder einem seiner Kollegen, wie Kümin vermutet.

Google habe eine Löschung mit Verweis auf die Meinungsäusserungsfreiheit bislang abgelehnt, erklärt Stark. Die freie Meinungsäusserung unterstütze man natürlich, aber im vorliegenden Fall handle es sich nicht um einen unzufriedenen Gast, der seinem Ärger Luft macht, sondern um den gezielten Versuch der Rufschädigung durch einen ehemaligen Mitarbeiter, der vorgibt, im Restaurant schlecht gegessen zu haben. Auf den Umgang mit missliebigen Nutzerkommentaren angesprochen gibt sich Google gegenüber der htr transparent. Das Vorgehen sei in den Nutzungsrichtlinien genau beschrieben. Dort heisst es: «Ihre Inhalte sollten Ihre wirklichen Erfahrungen am jeweiligen Ort widerspiegeln und nicht nur gepostet werden, um die Bewertung zu manipulieren. Veröffentlichen Sie keine gefälschten Inhalte, posten Sie nicht mehrmals dieselben Inhalte und erstellen Sie nicht in mehreren Konten Inhalte für denselben Ort.» Und an anderer Stelle: ­«Fake-Inhalte, […] nicht themenbezogene Rezensionen, Verleumdungen, Beleidigungen, persönli­che Angriffe sowie unnötige oder falsche Angaben verstossen gegen unsere Richtlinien.» [IMG 2]

Damit ist eigentlich alles gesagt, der Fall «Vrenelisgärtli» klar. Nur: In der Praxis erwarten den geschädigten Gastgeber verschiedene Hürden. Zunächst benötigt er einen Google-My-Business-Eintrag. Einmal eingeloggt, kann ein missbräuchlicher Kommentar dann direkt auf Google Maps mit einem Klick auf das Fähnchen «als unangemessen melden» gekennzeichnet werden. Mögliche Richtlinien-Verstösse werden anschliessend durch ein Melde-Tool geprüft und im Fall eines tatsächlichen Verstosses entfernt – oder eben nicht. Kümin kritisiert das Beschwerdeverfahren: Es gebe 
ein Formular mit vorgegebenen Punk­ten, die man falls zutreffend ankreuzen könne. Darunter Rassismus, Spam oder sonstige unangemessene Inhalte. Diese Optionen seien aber zu grobkörnig, um seinen konkreten Fall wirklichkeitsnah darzulegen, findet Kümin. Zusätzliche Begründungsmöglichkeiten fehlten.

Welche unangenehmen Folgen die Negativbewertungen haben können, dafür bekam das Restaurant bereits eine Kostprobe: Ein Fussballverein habe sich im «Vrenelisgärtli» zum Essen angemeldet. Beim Eintreffen der Gesellschaft sei Kümin zunächst von einem wütenden Team-Leiter angegangen worden, weil dieser erst nach der Reservation auf die negativen Google-Bewertungen gestossen sei. «Zu dem Zeitpunkt lag unser Bewertungsschnitt aufgrund der negativen Fakes bei ­lediglich 3,1», so Kümin. Glücklicherweise habe man den Fussballern den Sachverhalt noch vor Ort erklären können, und die Gesellschaft sei an dem Abend noch voll auf ihre Kosten gekommen. Kümin ist indes überzeugt: Hätte der Vereinsleiter vor der ­Reservation nach dem Restaurant gegoogelt, hätte er nie reserviert, dem «Vrenelisgärtli» wäre ein lukrativer Anlass entgangen.

Aktuell liegt der Google-Bewertungsschnitt des Gastrobetriebs wieder bei 4,2. Seit letztem Sommer animiere man zufriedene Gäste konsequent, positive Bewertungen abzugeben. Auch auf Facebook habe man einen entsprechenden Aufruf gestartet. Trotzdem drückten die Fake-Reviews den Schnitt noch immer künstlich nach unten. Kümin verweist auf einen Schwesterbetrieb in Zürich Dietlikon. «Kein einfaches Pflaster», gibt er zu bedenken. Das kulinarische Angebot sei jedoch identisch mit dem des «Vrenelisgärtli», trotzdem liege die Durchschnittsbewertung dort bei unübertroffenen 5 Punkten. «Negative Fake-Bewertungen sind gravierend, gerade in der Gastronomie. Das kann einem das Geschäft kaputtmachen», resümiert Kümin.

Betriebsleiter Bernhard Stark forderte S. nach der Publikation der Fake-Bewertungen unter Androhung von rechtlichen Schritten auf, weitere rufschädigende Einträge zu unterlassen. Eine Zeitlang sei es danach ruhig geblieben, berichtet Stark. Doch rund ein halbes Jahr später griff S. erneut in die Tasten, wieder unter falschem Namen, diesmal eine Verballhornung des Namens des Betriebsleiters. Im Februar machte das Restaurant deshalb ernst und erstattete Anzeige gegen den ehemaligen Mitarbeiter «wegen Verleumdung, Geschäftsschädigung, Ehrverletzung, übler Nachrede» – der genaue Tatbestand liege dann im Ermessen des Richters. Ob es tatsächlich zu einem Prozess kommen wird, ist offen. Käme es hart auf hart, wäre Kümin jedoch optimistisch. Er verfüge über klares Beweismaterial, das S. belaste.

Laut dem Rechtsdienst von hotelleriesuisse sind Strafverfahren wie im Fall des «Vrenelisgärtli» die Ausnahme. «Bis jetzt haben wir von keinem vergleichbaren Fall gehört,» so Leiterin Bettina Baltensperger. Dies, obwohl missbräuchliche Bewertungen auch bei Verbandsmitgliedern keine Seltenheit seien. Deren Urheber seien jedoch in der Regel verärgerte Gäste. Baltensperger empfiehlt Hotels und Restaurants, bei Konflikten das direkte Gespräch zu suchen, nachzufragen, was gestört habe und sich gegebenenfalls um Wiedergutmachung zu bemühen. Bei unkooperativen Gästen könne eine Gegendarstellung direkt unter dem Nutzerkommentar den Reputationsverlust abfedern. Die Intervention bei den Portalen oder ein Antrag auf Löschung seien dagegen relativ mühsam, gerade bei Google, weiss Baltensperger. Sie fordert von den Portalen deshalb einfachere, «niederschwellige» Kontaktmöglichkeiten, um Konflikte beizulegen.

Trotz seines Ärgers will Jörg ­Kümin Online-Bewertungen nicht in Bausch und Bogen verteufeln. «Ich sehe die Chancen. Aber 
auch das Schadenspotenzial ist enorm.» Nicht nur unzufriedene Gäste oder frustrierte Ex-Mitarbeiter könnten einem den Ruf ruinieren. Ein Konkurrenzbetrieb könne auf die genau gleiche Weise gegen unliebsame Mitbewerber vorgehen. «Dem ist man praktisch ausgeliefert», so Kümin. Für Google hat er deshalb einen konkreten Vorschlag parat, wie man das Beschwerdeverfahren verbessern könnte: Anstatt dass monatelang nichts geschieht, könnte nach Eingang einer Beschwerde die ­angefochtene Nutzerbewertung automatisch unsichtbar gemacht werden, bis Klarheit herrscht, ob sie legitim ist oder nicht.

Vorerst übt sich Kümin in Geduld: «Ich glaube nicht, dass die Google-Kommentare ohne Gerichtsbeschluss verschwinden. Bis dahin tut sich nichts.»

* Name der Redaktion bekannt


Tripadvisor – Präventiv gegen Fakes

Im Fall «Vrenelisgärtli» reagierte Tripadvisor sofort. Die offensichtlich missbräuchlichen Nutzer­bewertungen verschwanden noch gleichentags von der Reiseplattform. Möglich macht es die sogenannte Management-Zentrale, über die Geschäftsinhaber Fakes oder auch erpresserische Ratings melden können, erklärt Susanne Nguyen, Senior Communications Manager für den deutschsprachigen Raum. Das Ungewöhnliche daran: Das funktioniere auch proaktiv, das heisst, bevor ein User eine negative Bewertung veröffentlicht hat. «Seit Langem verfügen wir über eine Funktion, über die Unternehmen Androhungen von Erpressung melden können, bevor die dazugehörige Bewertung abgegeben wurde.» Anschliessend trete ein Investigations-Team in Aktion – rund 300 Spezialisten, rund um die Uhr im Einsatz –, welches die Sachlage überprüft und über weitere Schritte entscheidet. Das Ziel: Erpresserische Inhalte sollen gar nicht erst auf die Seite gelangen. «Gut ist, wenn man schriftliche Beweise hat», zum Beispiel E-Mails oder Chatverläufe, stellt Nguyen fest. «Schwieriger ist es bei mündlichen Äusserungen.» Allerdings zögen mündliche Androhungen erfahrungsgemäss auch seltener schlechte Bewertungen nach sich.

Ob missbräuchlich oder nicht – alle Nutzerkommentare durchlaufen bei Tripadvisor ein Prüfsystem. Nach welchen Kriterien es Nutzerkommentare prüft, will das Unternehmen nicht im Detail verraten. Laut Nguyen ist das Verfahren jedoch sehr komplex, es spielten mehr als 100 verschiedene «Attribute» eine Rolle. Ein kurzes Video auf Tripadvisor ­veranschaulicht das Verfahren. Demnach setzt das Unternehmen unter anderem 
auf ausgeklügelte Betrugserkennungstechniken, wie sie auch im Banken- und Kreditsektor zum Einsatz kommen. «Wir verfügen über die Technologie und das Know-how, um festzustellen, in welchen Fällen verschiedene Bewerter auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind. Auf diese Weise können wir Muster und Strukturen, die Betrüger unweigerlich hinterlassen, aufspüren und mit aller Härte gegen Betrug vorgehen», so Nguyen.

Erweisen sich negative Kommentare und Bewertungen als legitim, empfiehlt ­Nguyen, via dem Management-Response-Tool auf den Nutzer einzugehen. «Der Besitzer hat auf jeden Fall das letzte Wort», da pro Kommentar immer nur eine Antwort möglich sei. Darin könne der Hotelier oder Restaurateur zur Kritik sehr genau Stellung nehmen. «Das schätzen auch die User», sagt Susanne Nguyen und beruft sich auf eine entsprechende Tripadvisor-Studie. Eine passende Antwort auf einen negativen Kommentar könne den Eindruck vom Betrieb verbessern und sich so letzten Endes sogar positiv auf das Geschäft auswirken, da der Gast merke: der Gastgeber nimmt meine Beschwerde ernst, geht auf mich ein. (pt)


Susanne Nguyen, was tut Tripadvisor gegen bezahlten Bewertungsbetrug?

Wir gehen offensiv und vehement gegen bezahlten Bewertungsbetrug vor und sind effektiv darin, diesen zu unterbinden. Wir investieren sehr viel in ausgefeilte Tracking-Technologien. Seit 2015 haben wir weltweit die Aktivitäten von mehr als 60 Unternehmen gestoppt, die gekaufte Bewertungen anbieten. Überdies haben wir bereits Gespräche mit Regulierungs- und Kontrollbehörden in einigen Ländern begonnen, darunter die Competition and Markets Authority (CMA) im Vereinigten Königreich sowie der Federal Trade Commission (FTC) in den USA.

Unterscheiden sich die Betrugsversuche, mit denen Sie zu tun haben?

Ja. Von unseren globalen und lokalen Ermittlungen wissen wir, dass gefälschte Bewertungen in der Regel in eine von drei Kategorien fallen: voreingenommen positive Bewertungen, voreingenommen negative Bewertungen und bezahlte Bewertungen. Voreingenommen positive Bewertungen liegen vor, wenn Inhaber, Mitarbeiter, Freunde, Verwandte oder sonstige Personen mit Verbindung zum Unternehmen eine positive Bewertung veröffentlichen wollen. Wir nennen das auch Bewertungs-Boosting. Von voreingenommen negativen Bewertungen sprechen wir, wenn ein Unternehmen bewusst versucht, den Ruf eines Mitbewerbers durch negative Bewertungen zu schädigen. Unser Begriff dafür: Bewertungs-Vandalismus. Jeder der drei Betrugskategorien kommt im Verhältnis zur Grösse unserer Community relativ selten vor, voreingenommen positive Bewertungen sind aber relativ am häufigsten.

Das Kurzinterview führte Andreas Lorenz-Meyer. Den Hintergrundbeitrag von ihm zum Thema gekaufte Bewertungen finden Sie in der htr hotel revue vom 21.03.2019 oder im E-Paper.