Sabrina Westphälinger, Sie sprechen nicht gerne von «Fachkräften». Warum?
Gerade in der Hospitality muss man nicht zwangsläufig «vom Fach» sein und die entsprechenden Abschlüsse vorweisen, sondern kann auch als Quereinsteiger zu uns kommen und seinen Weg gehen. Wir suchen helfende Hände, Menschen mit Leidenschaft für unsere Gäste und Freude an der Dienstleistung. Daher spreche ich gerne von «Talenten». Und daran besteht kein Mangel, wenn wir als Branche flexibler werden, führen und fördern.

Wie würden Sie die aktuelle Talentlage in der Hospitality beschreiben?

Die Nachfrage für die Branche ist da, ebenso das Wachstum. Über den Berg sind wir aber noch nicht. Sicher ist, dass wir den demografischen Wandel berücksichtigen müssen. Gerade im Ausbildungsbereich sind wir momentan in den geburtenschwachen Jahrgängen. Diese Durststrecke wird bis 2025 anhalten. Es gilt, die Zeit aktiv zu nutzen, um langfristig bei der Talentbindung die Nase vorne zu haben. In der Schweiz ist die Arbeitslosenquote tief, gleichzeitig besteht Bedarf an Arbeitskräften in fast allen Branchen. Diesem Fakt müssen wir mit smarten Lösungen und dem Anpassen unserer Arbeitswelt entgegentreten.

Wir sind an dem Punkt, wo wir näher zusammenrücken müssen.
Sabrina Westphälinger, Senior Director Talent & Culture Germany, Austria & Switzerland bei Accor

Welche langfristigen Folgen muss die Branche im Blick behalten?

Wenn wir nichts tun, keine Nachfolgeplanung machen, haben wir in Zukunft erst recht ein Personalproblem. Die Gesellschaft veraltet in den nächsten fünf bis zehn Jahren, viele Arbeitskräfte erreichen das Rentenalter. Das betrifft auch die Generation der Hotel-Manager. Damit müssen wir umgehen und proaktiv planen. Wir müssen neue Talente gewinnen und gleichzeitig bestehende Mitarbeitende halten und fördern.

Wie gelingt das?

Indem wir Potenziale erkennen, Entwicklungsprogramme auf jeder Karrierestufe anbieten, aber auch viel individualisierter Talente begleiten. Damit einher geht ein lang nötiger Wandel in der Arbeitswelt. Die Forderungen der Mitarbeitenden haben sich verändert hin zu mehr Flexibilität und Freiheit, was sich mit der Realität mancher Branchen und Arbeitsbereiche nicht mehr deckt. Das wollen wir angehen.

Welche Betriebe sitzen beim Recruiting derzeit am längeren Hebel?

Sicherlich die Betriebe, die schnell sind, sich zum Beispiel im Bewerbungsprozess schnell zurückmelden. Proaktive Betriebe, die Talente suchen und nicht auf Bewerbungen warten. Und Betriebe, die flexibel sind, also flexible Arbeitszeiten, Teilzeitstellen oder geteilte Stellen auch auf Managementlevel anbieten und individuell auf Talente eingehen.

Was bedeutet dies für den Rest der Branche?

Wir sind an dem Punkt angekommen, wo wir näher zusammenrücken müssen. Wir sind doch alle dankbar, wenn wir Talente gewinnen und in der Branche halten können. Entsprechend geht es darum, Erfahrungen und Tipps zu teilen und zu adaptieren. Langfristig gewinnen wir alle von jedem Mitarbeiter, den wir überzeugen. Es gilt, schnell, proaktiv und flexibel zu sein. Zuhören ist wichtig. Wir können nicht nur davon ausgehen, was wir brauchen. Wir müssen uns überlegen, was gewünscht ist und was wir anpassen können.

Wer muss der Branche ausserdem helfen?

Unsere Branchenverbände unterstützen uns. Wir brauchen aber auch Hilfe von der Politik. Stichwort ist hier die Bildungslandschaft. Wir brauchen die Voraussetzungen, um überhaupt Talente ausbilden zu können. Hier müssen wir mit der Politik und unseren Verbänden zusammen an den Details arbeiten. Die Branche kann das nicht alleine lösen.

Wann ist die Schmerzgrenze für Betriebe und Gäste erreicht?

Wenn wir unser Gästeversprechen und damit deren Erwartungen uns gegenüber nicht mehr erfüllen können und wenn wir über die Belastungsgrenzen unserer Teams hinausgehen. Change Management darf nicht passiv sein und sich auf akute Brandherde konzentrieren. Es geht um Analyse, Planung sowie Mut, neue Wege zu gehen und Optionen zu nutzen. Alle Parteien müssen involviert werden; auch die Gäste. Nehmen wir als Beispiel die Digitalisierung: Das Online-Check-in dient nicht zur Reduzierung des menschlichen Kontakts. Es ist ein optimierter Prozess, der auch dem Gast Zeit spart. Mitarbeitende gewinnen Zeit, um sich ihrer Gastgeberrolle zu widmen. Das müssen wir erklären, aber auch Ängste abbauen und Sorgen nehmen.

Gewinnen Sie der Diskussion auch etwas Positives für die Branche ab?

Wir haben uns zu lange darauf ausgeruht, dass der Tourismus boomt. Die Gäste kamen, und die Hotels waren voll. Das hat die Branche als Arbeitgeber zwar attraktiv gemacht, aber auch dafür gesorgt, dass man sich aus der komfortablen Lage heraus im Umgang mit den Mitarbeitenden lange nicht weiterentwickelt hat. Die Pandemie hat den bereits bestehenden Negativtrend wesentlich verschärft. Jetzt erkennen wir, dass es nicht allein um den Gast als König geht, sondern auch um die Mitarbeitenden, und müssen entsprechend reagieren. Dazu zählen veränderte Arbeitsbedingungen, aber auch, dass wir als Branche nach aussen hin für unseren Wert einstehen.

Hospitality Summit
Sabrina Westphälinger verantwortet seit über vier Jahren den HR-Bereich für Accor in der DACH-Region als Senior Director Talent & Culture Germany, Austria & Switzerland. Gleichzeitig verantwortet sie die Geschäftsführung der Accor Hotels Switzerland SA als Countrylead. Davor war sie Director of Human Resources & Training bei Accors Premiummarke Mövenpick Hotels & Resorts. Ein weiterer Meilenstein ihrer Karriere waren HR-Positionen bei Booking.com. Westphälinger begann ihre Karriere mit einer klassischen Hotelfachausbildung, gefolgt von über zehn Jahren HR-Positionen bei der Intercontinental Hotels Group in Deutschland und der Schweiz. Sie hat einen Executive Master in General Management der FH Graubünden. [IMG 2]

Am 12. Juni spricht Sabrina Westphälinger am Podium über Unternehmens- und Mitarbeitendenführung am Hospitality Summit in der Halle 550 in Zürich Oerlikon.

hospitality-summit.ch