Alle hatten darauf gehofft, der Bundesrat habe einen Plan B, als er die Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU für gescheitert erklärte. Heute, gut eineinhalb Jahre später, müssen wir ernüchtert einsehen: Nein, hat er nicht. In der Europa-Frage wirkt die Landesregierung planlos.
Zwar werden eifrig Sondierungsgespräche geführt. Doch wie der bilaterale Weg weiterführen soll, bleibt ungeklärt. Man wird den Eindruck nicht los, dass sich die Schweiz in eine Sackgasse manövriert hat. Aber nicht etwa in eine, an deren Ende ein einladendes Bergdorf wie Arosa oder Engelberg wartet, sondern in eine düstere, eine voller Risiken.
Die Denkfabrik Avenir Suisse stellt in ihrem Erosionsmonitor fest, dass die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU teils bereits am Bröckeln sind. Dies besonders deshalb, weil sich das europäische Recht laufend weiterentwickelt. Zum Beispiel beim Datenschutz: Seit 2018 hat die EU einen verschärften Datenschutz. Die Schweiz hat nachgezogen und setzt ihrerseits per September 2023 ein neues Datenschutzgesetz in Kraft. Aber: «Es ist offen, ob die EU das Schweizer Datenschutzgesetz als äquivalent anerkennen wird. Verweigert die EU die Anerkennung, droht Schweizer Unternehmen, die Verarbeitung kundenbezogener Daten aus der EU untersagt oder zumindest erschwert zu werden», warnt Avenir Suisse. Und so gibt es weitere Beispiele, wo die Vorteile der bilateralen Verträge bereits erodiert sind oder in absehbarer Zeit erodieren könnten.[RELATED]
Noch sind die beiden für den Schweizer Tourismus zentralen Dossiers – Personenfreizügigkeit und Schengen – zwar von dieser Erosion verschont. Besser noch: Bisher zeichnet sich dort auch keine Verschlechterung ab. Aber soll die Schweiz wirklich herumtrödeln, bis eine konkrete Verschlechterung droht? Allein die Personenfreizügigkeit hat für die Schweiz einen monetären Wert von jährlich 14 Milliarden Franken, wie das Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Economics errechnet hat.
Dass wir kein Stromabkommen mit der EU haben, verschärft derzeit die Energiekrise, weil wir bei Stromlieferungen auf den guten Willen der Nachbarn angewiesen sind. Ebenso beim Gas, wo die Signale aus Deutschland zuletzt eher auf «schaut selbst» gestellt waren. Gut möglich, dass wir dem Winter etwas gelassener entgegenschauen könnten, wenn wir rechtzeitig näher an Europa gerückt wären. Die aktuelle Lage ist ein Schuss vor den Bug und im besten Fall ein Weckruf, dass wir in der Europa-Frage jetzt handeln müssen. Und sie führt uns vor Augen, dass wir, wenns hart auf hart kommt, nicht hurtig, hurtig eine Verhandlungslösung finden.