Reto Mathis, das St. Moritz Gourmet Festival steht vor der Tür: «USA – Discover the Best from the West». Auf welchen Anlass freuen Sie sich besonders?

Ganz ehrlich? Auf die Spaghettata nach dem Great Gourmet Finale. Das ist seit jeher mein persönlicher Höhepunkt: Wenn alle Köche, Hoteliers, Veranstalter nochmals zusammenkommen, erschöpft, aber gelöst und glücklich, und das Festival Revue passieren lassen. Es ist der Moment des Austauschs, in dem die Gespräche tiefer und die Kontakte geknüpft werden.

Für Sie ist die diesjährige Austragung eine besondere: Sie treten per Ende dieser Wintersaison Ihr Restaurant La Marmite ab, das mit seinen 13 GM-Punkten auch als eines der höchstgelegenen Gourmetrestaurants gilt. Trifft man sich nun zum letzten Mal im Rahmen des Festivals auf Corviglia?

Vermutlich schon. Wer das Restaurant künftig übernehmen und mit welcher Ausrichtung betreiben wird und ob es wei-terhin während des Festivals genutzt werden wird, entzieht sich meiner Kenntnis.

Sie geben damit aber Ihr Aushängeschild, vor allem ein Stück Familiengeschichte auf. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Das Restaurant wurde vor 50 Jahren von meinem Vater gegründet. 25 Jahre lang hat er es geführt, 25 Jahre ich. Auch wenn ich meine Entscheidung nicht einfach so wegstecke, so sind 50 Jahre doch genug. Dazu geführt haben verschiedene Faktoren: Es war keine Nachfolge in Sicht. Ich habe zwar zwei Töchter, aber die eine ist in England, die andere in Zürich. Zweitens bin ich Pächter, die Location gehört also nicht mir. Zudem habe ich mit «Mathis Food Affairs» mehrere kulinarische Projekte am Laufen – nebst «La Marmite» fünf weitere allein auf Corviglia –, die ebenfalls meine Aufmerksamkeit verlangen. Mit ein Grund waren aber nicht zuletzt auch demografische Umstände: Der starke Franken, die klimatischen Veränderungen, das Business ist eindeutig härter geworden. Der Zeitpunkt nach dem Gourmet-Festival und der alpinen Ski-WM, die erstmals seit 1948 wieder in St. Moritz stattfindet, ist ideal für einen Schlussstrich.

Haben nicht einfach auch Kaviar- und Trüffelgerichte auf zweieinhalbtausend Metern über Meer ausgedient?

Das würde ich so nicht sagen. Die Trüffelpizza wird es auch zukünftig noch geben, einfach nicht mehr auf Corviglia. Fact aber ist: Dauerte die Wintersaison früher fünfeinhalb Monate, so sind es heute gerade mal noch deren vier. Mit denen macht man aber kein Business, zumal Sport und Lifestyle und nicht Luxus und Genuss das Sommergeschäft dominieren. Das sind Rahmenbedingungen, die man – egal, wie gut man ist – einfach nicht beeinflussen kann, von denen ich aber auch nicht mehr abhängig sein möchte. Ich wende lieber mich Neuem zu.

Neues wie die «Meierei», wo Sie ausschliesslich lokale, regionale Produkte servieren?

Der Landgasthof Meierei am St. Moritzer See ist ein befristetes Projekt, das wir nur noch bis Ende März betreiben, dann wird umgebaut. Aber es ist so: Hier haben wir uns für ein rein regionales, saisonales und erschwingliches Konzept entschieden, und das kommt sehr gut an.

Lokale Produktion statt eingeflogene Luxusgüter. Regionalität als der neue Luxus auch in St. Moritz?

Unbedingt. Zumal wir hier oben über hervorragende Produzenten mit hochstehenden Produkten verfügen, und dem müssen wir unbedingt vermehrt Rech-nung tragen. Unsere geogra­fische Lage macht es uns zwar nicht ganz einfach. Geht es nach dem weltweiten Trend, nur zu verwenden, was im Umkreis von 20 Kilometern wächst, hätten wir tatsächlich ein Problem. Aber wir hier oben dürfen den Begriff «Region» auch nicht allzu eng fassen. Die Alpenregion erstreckt sich von Frankreich über Italien bis nach Österreich, und unser Vorteil besteht darin, dass dies von hier aus alles innert kürzester Zeit erreichbar ist. Nicht zu vergessen: all unsere Täler vom Puschlav bis ins Bergell mit ihrem herausragenden kulinarischen Erbe. Das müssen wir uns vermehrt zunutze machen, unser Netzwerk ausbauen und uns als Region kulinarisch stärker positionieren. Auch unser Gast ist bestens informiert und setzt auf Authentizität, Regionalität und Transparenz. Eine Wurst aus heimischer Jagd geniesst heute denselben Stellenwert wie einst ein Kaviar-Brötli. Wer gestern eine Gerstensuppe bestellte, wählt morgen ein Carpaccio mit Trüffeln. Das entspricht der heutigen Vorstellung von Luxus, und dem müssen wir noch mehr gerecht werden.

Sie haben schon vor Jahren St. Moritz' Imageproblem angesprochen und setzen sich für einen hipperen, sexyeren Nobelort ein. Tut sich aus Ihrer Sicht mittlerweile auch was?

Und wie! Es findet ein Wandel statt, der Freude macht und mich zuversichtlich stimmt – ausgehend von einer neuen jungen Generation von Leistungsträgern von der Gastronomie bis zur Kunst mit guten Ideen und hervorragendem Netzwerk. Und mit dem Österreicher Gerhard Walther erhalten wir einen neuen Tourismusdirektor, in den ich grosse Hoffnungen setze.

Welche Auswirkungen hat der Wandel für einen Event wie das Gourmet-Festival? Spielt er bei der Planung eine Rolle?

Gewiss. Das Festival ist exklusiv und als erstklassiger Event positioniert. Das erwartet der Festivalgast, und daran ändert sich auch in Zukunft nichts. Aber inhaltlich verfolgen wir solche Veränderungen natürlich mit grossem Interesse und nehmen sie uns auch zu Herzen. Aus diesem Grund beispielsweise wollten wir unbedingt Melissa Kelly dabei haben, Gastköchin im Hotel Nira Alpina, die in Maine einen Bauernhof bewirtschaftet und ganz auf «farm to table» setzt. Sie entspricht nicht einfach dem Zeitgeist, sie hat eine Botschaft, von der wir alle profitieren können. Das spornt auch uns an und bringt uns weiter.

Zur Person: Gastro-Unternehmer und Event-Organisator

Das Familienunternehmen wurde einst von Vater Hartly Mathis gegründet, heute vereint der St. Moritzer Reto Mathis unter Mathis Food Affairs elf Gastrobetriebe. Darunter sind die «Cascade Trattoria» in St. Moritz wie auch sein Franchise-Unternehmen «Krispy Kröst» in Zürich. Mathis ist Mitbegründer des St. Moritz Gourmet Festivals und als Präsident der Event-­Organisation für die Rekrutierung der Gastköche zuständig. Darüber hinaus vertreibt er mit «Reto Mathis Delicatessen» eine eigene Gourmetlinie.

mathisfood.ch

Lesen Sie mehr zum St. Moritz Gourmet Festival der htr hotel revue vom 26.01.2017 Nr. 2/17: