Die Initiative verlangt innerhalb von drei Jahren nach der Annahme die Neuverhandlung des Freizügigkeitsabkommens mit der EU. Statt freiem Personenverkehr sollen wieder Kontingente gelten, die sich an den «gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz» orientieren, wie es im Initiativtext heisst. Ein Inländervorrang soll dafür sorgen, dass Schweizerinnen und Schweizer bei der Stellenbesetzung bevorzugt werden.
Schweiz im Würgegriff
Die SVP sieht die Schweiz im «Würgegriff» der unkontrollierten Zuwanderung, mit negativen Folgen für Sozialwerke, Infrastrukturen, Kulturland und Löhne. Weder kulturell noch mengenmässig sei die heutige Zuwanderung für die Schweiz verkraftbar, argumentieren die Initianten.
Mit der Initiative stellen sie aber nicht nur den freien Personenverkehr in Frage, sondern das bilaterale Verhältnis insgesamt. Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit gehört zum Paket der Bilateralen I, das seit 2002 in Kraft ist.
Dieses umfasst sechs weitere Abkommen, darunter jenes über technische Handelshemmnisse sowie Land- und Luftverkehrsabkommen. Die Verträge sind mit Ausnahme des Forschungsabkommens durch die «Guillotine-Klausel» miteinanderverbunden: Wird ein Abkommen gekündigt, fallen auch die übrigen automatisch dahin.
So weit wird es nach Ansicht der SVP nicht kommen. Die Partei ist überzeugt, dass über die Personenfreizügigkeit Nachverhandlungen geführt werden können. An einer Kündigung des Abkommens habe die EU kein Interesse, da die Schweiz ein wichtiger Wirtschaftspartner sei.
Brüssel gibt sich unerbittlich
Die Signale aus Brüssel bestätigen diese Ansicht nicht. In einem Interview liess Botschafter Richard Jones keinen Zweifel daran, dass das Freizügigkeitsabkommen im Fall einer Annahme gekündigt würde. Freier Personenverkehr sei ein fundamentales Prinzip für die EU, Nachverhandlungen werde es nicht geben.
Ob die EU tatsächlich Ernst macht mit der Kündigung und gar die Guillotine auslöst, wird man erst erfahren, wenn die Initiative angenommen würde. Zutreffend ist aber, dass dies weder im Interesse der Schweiz noch im Interesse der EU wäre, denn die wirtschaftlichen Beziehungen sind in der Tat sehr eng.
Die Schweiz ist heute der viertwichtigste Handelspartner der EU. Umgekehrt gehen über die Hälfte der Schweizer Exporte in die EU, wo die Schweizer Wirtschaft jeden dritten Franken verdient. In anderen Bereichen, etwa beim Güterverkehr oder der Forschung, ist die Zusammenarbeit ebenfalls eng.
Zuwanderung als Wirtschaftsmotor
Seit 2007 gilt die Personenfreizügigkeit mit den 15 alten EU-Ländern sowie Malta und Zypern, seit 2011 mit acht Ländern Osteuropas – wenn auch beschränkt durch die Ventilklausel. Anders als vom Bundesrat vorausgesagt, stieg die Zuwanderung markant: Lebten Ende 2006 knapp 900'000 Bürger aus EU- und EFTA- Ländern in der Schweiz, sind es heute rund 1,25 Millionen.
Der Arbeitsmarkt vermochte die mehrheitlich gut gebildeten Zuzüger jedoch vollständig aufzunehmen: Die Arbeitslosenquote sank von 3,3 Prozent im Jahr2006 auf 2,9 Prozent im 2012. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Erwerbstätigen um fast 450'000. Die Zuwanderer verbreiterten dadurch nicht nur die Steuerbasis der öffentlichen Hand, sondern besserten auch die Rechnung der AHV auf.
Einher mit diesem Arbeitsplatz-Boom ging ein Wirtschaftswachstum, das die Schweiz als robuste Volkswirtschaft aus der Krise hervorgehen liess. Für die SVP handelt es sich dabei jedoch um Wachstum, das allein durch die zusätzlichen Arbeitskräfte und nicht durch Produktivitätssteigerung zu Stande gekommen ist.
Das Mass der SVP
Mit einem Appell zum «Masshalten» führt sie ihren Abstimmungskampf allein gegen die geschlossenen Reihen von Bundesrat, Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden. Den Fehler, zu glauben, dass die Initiative deshalb chancenlos wäre, macht heute niemand mehr – zumal es auch bei der linken Basis rumort.
Obwohl die Zustimmung gemäss der ersten SRG-Trendumfrage nur bei 37 Prozent liegt, ist im Gegner-Lager Nervosität spürbar. Der Bundesrat war im Dezember in Dreierbesetzung vor die Öffentlichkeit getreten, nicht weniger als ein Dutzend Wirtschaftsverbände warben Anfang Januar für ein Nein. Sie warnen davor, den bilateralen Weg zu gefährden. Der Mangel an Fachkräften würde das Wachstum bremsen, die Kontingentspolitik eine teure Bürokratie auslösen.
Parteien und Verbände weisen darauf hin, dass die Initiative mehr Probleme schaffe als löse. Hohe Mieten, ausufernden Wohnungsbau, volle Züge und Lohndruck hätten auch andere Ursachen als die Personenfreizügigkeit. Diese würde die Probleme allenfalls akzentuieren.
Schicksalsjahre für Europapolitik
Der Bundesrat sieht den bilateralen Weg und das Erfolgsmodell Schweiz gefährdet. In drastischen Worten warnte Bundespräsident Didier Burkhalter vor Armut, illegaler Einwanderung und Kriminalität.
Für den Bundesrat ist der Abstimmungskampf eine Zerreissprobe: Er muss die Schweiz auf bilateralem Kurs halten durch Abstimmungen über Zuwanderungs- und Ecopop-Initiative, allenfalls auch noch über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien. Gleichzeitig verhandelt er auf Druck Brüssels über die Weiterentwicklung des Verhältnisses zur EU. Die nächsten Jahre können als europapolitische Schicksalsjahre gelten. (av/sda)