Als 1871 zum ersten Mal eine Zahnradbahn Gäste auf die Rigi fuhr, war das ein Ereignis, das weit über die Landesgrenzen hinaus Beachtung fand. Heute, gut 150 Jahre später, nehmen es die meisten Reisenden als Selbstverständlichkeit, dass man in Vitznau LU oder Arth-Goldau SZ bequem ins Bähnli ein- und auf der Rigi wieder aussteigen kann. Man verschwendet keinen Gedanken daran, warum die Verbindung reibungslos klappt – und schon gar nicht daran, warum die Bahn eigentlich so aussieht, wie sie aussieht.
Umso mehr Gedanken zum Äusseren und Inneren der Bahn hat sich Therese Naef gemacht. Die Chefin des Thalwiler Design-Unternehmens Milani war in den letzten Jahren damit beschäftigt, die neuen Züge der Rigi-Bahnen zu entwerfen, die seit diesem Jahr am Berg verkehren. Bei einem Treffen in Vitznau erklärt sie, welche Herausforderungen sich beim Entwickeln einer touristischen Bahn stellen und was Design und Technik über das Reisen in Zukunft verraten.
Ein Zug ab Stange kam für die Rigi-Bahnen nicht infrage
Würde einem die zierliche Frau mit den modischen Jeans und dem gut sitzenden Veston auf der Strasse begegnen, käme man kaum auf die Idee, dass hier eine gefragte Zug-Designerin vor einem steht. «Mein Vater war Bähnler; ich habe also gewissermassen Eisenbahner-Gene», sagt Naef und lacht. Ihr Büro hat mit der neuen Rigi-Bahn denn auch nicht zum ersten Mal einen Zug entworfen. Die SBB-Komposition Dosto etwa, das neue Zürcher Flexity-Tram und die Walzer- und Tango-Züge der Appenzeller Bahnen wurden ebenfalls vom Milani-Team gestaltet.
Fünf Jahre ist es her, dass die Rigi-Bahnen beschlossen haben: Jetzt müssen neue Züge her. Die damals jüngsten Wagen seien noch aus den 80er-Jahren gewesen, sagt Jörg Lustenberger, beim Bahnunternehmen verantwortlich für Betrieb, Technik und Infrastruktur.
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Eines war von Anfang an klar: Ein Zug ab Stange kommt nicht infrage. Grund dafür ist nicht etwa Hochmut seitens des Unternehmens, Grund dafür sind aussergewöhnliche Anforderungen. So verkehrt die Bahn beispielsweise mit Gleichstrom, anders als die meisten Züge in der Schweiz, die mit Wechselstrom unterwegs sind. Zudem führen Normalspurgleise auf die Rigi, wogegen die Mehrheit der hiesigen Berge mit Schmalspurbahnen erschlossen werden. Am Ende war Stadler Rail der einzige Anbieter, der die individuellen Wünsche des Unternehmens erfüllen konnte. «Der erste Entwurf von Stadler sah aber aus wie eine S-Bahn», sagt Lustenberger.
Holzliegen tragen zur Instagramability der Züge bei
Auftritt Naef. Die Designerin hat den Entwurf überarbeitet: Die Fenster wurden so gross wie möglich gemacht. Die dominierenden Farben Schwarz und Weiss und das aufgesetzte Logo erinnern an den 1911 bei der Arth-Rigi-Bahn in Betrieb genommenen Wagen Nr. 6, und die abgewinkelten dunklen Bänder auf der Aussenseite spiegeln die für den Berg typischen Felsbänder (der Name Rigi kommt vom lateinischen Wort Riga, was Linie, Strich oder Felsband bedeutet).
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Dagegen fällt auf, dass das Grün, das seit dem kürzlich erfolgten Rebranding die Marke Rigi mitdefiniert, im Design kaum zu finden ist. «Wir haben bewusst auf zu viel Corporate Design verzichtet», erklärt Naef. Der Zug müsse auch in 40 Jahren noch zum Unternehmen passen, wenn das Corporate Design bestimmt schon mehrfach überarbeitet worden sei.
«Ich glaube, dass die Bedeutung von WLAN unterwegs überschätzt wird.»
Therese Naef
Chefin des Design-Unternehmens Milani
Nicht alles, was sich die kreative Zürcherin ausgedacht hatte, liess sich umsetzen. Auf Holzfensterrahmen musste sie verzichten. «Wegen eines Meters.» Eines Meters? «Wäre der Tunnel einen Meter kürzer, hätten weniger strenge Brandschutzauflagen gegolten, und wir hätten die Rahmen verwirklichen können.»
Design-Highlight sind die Holzliegen, die vorne und hinten in den Zügen zu finden sind und vor denen Panoramafenster den Blick Richtung Gipfel oder Vierwaldstättersee freigeben. Man wird den Gedanken nicht los, dass dabei auch an die Instagramability der Züge gedacht wurde. «Social Media und Digitalisierung sind heute beim Reisen unumgänglich», sagt Naef dazu. Deshalb sei auch jeder Sitzplatz mit einer USB-Ladestation ausgerüstet. Und WLAN? «WLAN gibt es nicht in den Zügen. Ich glaube, dass die Bedeutung von WLAN unterwegs überschätzt wird. Heute nutzen die meisten Gäste das Handynetz, wenn sie mit der Rigi-Bahn fahren.»
Auf der einen Seite effizient, auf der anderen gemütlich
Für das Bahnunternehmen ging es bei der Bestellung aber nicht nur darum, einen schicken, neuen Zug zu bekommen. Zentral war auch die Effizienz. Der Zug muss rasch be- und entladen werden können. Und er muss schneller fahren als die alten. Denn die bisherigen Züge benötigen für die Fahrt von Vitznau auf die Rigi über eine halbe Stunde. Das macht den Halbstundentakt enorm umständlich. «In der Hochsaison fahren wir zu den Stosszeiten zwar im Halbstundentakt. Weil es nur wenige Ausweichstellen gibt, stehen die eingeschobenen Züge aber immer irgendwie quer in der Fahrplanlandschaft», sagt Lustenberger. Mit den schnelleren Fahrzeugen gehe das nun reibungslos.
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Nicht zuletzt erlauben die sechs modernen Züge dem Bahnunternehmen, sich strategisch neu aufzustellen. Die Strecke Vitznau–Rigi kann gemäss Lustenberger mit den neuen Zügen effizient und modern betrieben werden. Auf der anderen Bergseite, der Strecke Arth-Goldau–Rigi, geht es dagegen gemütlicher zu und her. Dort sollen die historischen Wagen den Charme vergangener Tage versprühen.
Ein Dilemma, das nicht nur die Rigi betrifft
Mit der «Charta Rigi 2030» hat sich die Innerschweizer Destination der Nachhaltigkeit verschrieben. In dieser Absichtserklärung setzt sie sich unter anderem eine klimaschonende Entwicklung und CO2-Reduktionsmassnahmen zum Ziel. Wie diese Vorsätze erreicht werden könnten, zeigt eine Ende Oktober publizierte Studie des Fachbereichs Naturnaher Tourismus & Pärke der Ostschweizer Fachhochschule.
Diese von den Urhebern der Petition «Rigi: 800 000 sind genug!» in Auftrag gegebene Studie streicht ein Dilemma heraus, mit dem viele Schweizer Topdestinationen konfrontiert sind: Der mit Abstand grösste Teil der CO2-Emissionen im Tourismus stammt von der An- und Abreise der Gäste – besonders der Überseegäste. Die Studienautoren haben für die Rigi entsprechende Schätzungen angestellt. Demnach betrugen die CO2-Emissionen des Rigi-Tourismus im Jahr 2018 um die 488 337 Tonnen. Davon stammen laut Studie fast 98 Prozent vom An- und Abreiseverkehr. Ein Wert, der aufgrund der Methodik sicher grosszügig geschätzt ist, aber dennoch zu denken gibt. Im Jahr 2021, als kaum Gäste aus den Fernmärkten in die Schweiz kamen, sank der CO2-Ausstoss des An- und Abreiseverkehrs auf 130 179 Tonnen, was das Gewicht des Flugverkehrs verdeutlicht.
Die Studie schliesst daraus: Um die Treibhausgasemissionen wie angestrebt deutlich zu reduzieren, «müsste sich die Anzahl der mit dem Flugzeug [...] anreisenden Gäste aus Asien und Übersee massiv verringern». Gleichzeitig räumt sie aber ein: «Wesentlicher Erfolgsfaktor war [für die Bahn] der hohe Anteil an Asien- und Überseegästen.» Die Autoren zeigen zwar mögliche Wege aus dieser Abhängigkeit auf – etwa die Aufhebung der GA-Gültigkeit, um mehr Einnahmen pro Fahrgast zu generieren. Frédéric Füssenich, Chef der Rigi-Bahnen, bezeichnete die Vorschläge gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA aber als «sehr schwammig» – auch wenn die Studie gute Inputs liefere.
Die Anschaffung des neuen Rollmaterials ist ein Bekenntnis zum Volumengeschäft. Wer für 37 Millionen Franken effizientere Züge kauft, will diese auch ausgelastet sehen.