Morgens auf den Berg, mittags ins Spa und abends ans Konzert? Scheint alles ganz normal. Gleichzeitig wird die Forderung nach Entschleunigung für Mensch und Natur und nach nachhaltigem Handeln lauter. Eine Diskrepanz, die keine sein dürfte. Auch die Tourismusbranche muss den sich stetig ändernden Anforderungen und Bedürfnissen gerecht werden. Die Frage nach dem Ob und Wann erübrigt sich. Spätestens jetzt geht es um das Wie.

Der Anfang ist gemacht, das Leitprinzip fehlt nach wie vor
Das breit gefächerte Teilnehmerfeld am diesjährigen TFA Tourismusforum Alpenregionen in Oberstdorf (D) und dem Kleinwalsertal (A) vom 28. bis 30. März zeigte, dass sich die Leistungsträger ihrer ökonomischen, ökologischen und sozialen Verantwortung durchaus bewusst sind.

Auch wenn die Umsetzung kein einfacher Balanceakt ist, sind vielerorts die Handlungsfelder definiert und diverse Lösungsansätze bereits erfolgreich implementiert. Das ist zwar erfreulich, doch gibt es noch viel zu tun.

Es ist Zeit für neues Denken und gemeinsames Handeln.

Ralf Roth, Leiter Institut für Natursport und Ökologie, Deutsche Sporthochschule Köln

Fotovoltaikanlagen, regionale Partnerschaften, ökologische Baumassnahmen oder Parkleitsysteme. Die Branche investiert bereits seit Längerem in zukunftsträchtige Innovationen.Doch findet Ralf Roth, Leiter des Instituts für Natursport und Ökologie an der Deutschen Sporthochschule Köln, am TFA klare Worte: «Das Leitprinzip über der Nachhaltigkeit fehlt.» Für Roth ist die Operationalisierung von Nachhaltigkeit ein Teamprojekt. Will heissen: Alle guten Vorsätze nützen nichts, wenn nicht alle am selben Strang ziehen. «Es ist Zeit für neues Denken und gemeinsames Handeln», so Roth.

Das Nachhaltigkeitsverständnis müsse gezielt sowohl bei Unternehmensleitungen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch bei den Gästen verankert werden. Ein guter Startpunkt wäre die Resilienzförderung, findet Roth. Die Fähigkeit, Krisen und Störungen zu absorbieren, gleichzeitig widerstands-, bewältigungs- und lernfähig zu sein, müsse bei allen Stakeholdern gefördert werden.


Impressionen vom 31. TFA

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Mit vielen kleinen Schritten zur Bewusstseinsverankerug
Innovation und Nachhaltigkeit als neue Normalität? Zumindest — das wurde am diesjährigen TFA klar — sind sie das Gebot der Stunde. Einmal mehr. Bereits 1989, am ersten TFA, wurde auf dem Speaker-Podium über Nachhaltigkeit referiert. Dass das Thema zum diesjährigen Forumsmotto avancierte, zeigt: Die Vision ist das eine, die konkrete Umsetzung das andere.

Alles nur Greenwashing, Grünfärberei, die darauf abzielt, einem Unternehmen in der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zu verleihen? Keineswegs, findet Judith Grass, Geschäftsführerin der Golm Silvretta Lünersee Tourismus GmbH in Österreich. Das mittelgrosse Tourismusunternehmen ist seit 2018 klimaneutral. Das nächste grosse Ziel ist gesetzt. Man will der nachhaltigste Bewegungsraum in den Alpen werden.

Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, einfach loszulegen.

Judith Grass, Geschäftsführerin Golm Silvretta Lünersee Tourismus GmbH

Grass und ihr Team scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Bereits heute hat man innert drei Jahren den CO₂-Ausstoss um 30 Prozent reduziert. Bis 2030 sollen es weitere 30 Prozent sein. Um diese Ziele zu erreichen, ist man bei der Golm Silvretta Lünersee Tourismus GmbH auch bereit, Kompromisse einzugehen. So wäre der Ausbau der eigenen Rodelbahn zur schneesicheren Anlage aus ökonomischer Sicht durchaus lohnenswert gewesen. Ökologisch aber ein absolutes No-Go, so Grass. Ergo: Der Rodelbahnbetrieb muss sich nach den Launen der Natur richten.

Damit es gelingt, solche Entscheidungen auch den Mitarbeitenden zu erklären, sollten die Teammitglieder regelmässig für Nachhaltigkeitsthemen sensibilisiert werden. Um die Vision zu verankern, muss sie von den Führungskräften – inner- und ausserhalb des Betriebs – demonstriert werden. Der regelmässige Austausch untereinander ist laut Grass unerlässlich. «Die Mitarbeitenden sind mit den Gästen täglich in direktem Kontakt und somit unsere vordergründigen Meinungsbildner.» Schritt für Schritt Richtung Nachhaltigkeitserfolg. «Man kann mit ganz vielen kleinen Dingen und Anreizen schon ganz grosse Änderungen erreichen und so Visionen und das Bewusstsein von Nachhaltigkeit verankern», so Grass.

Nachhaltigkeit dürfe keine kurzfristige Denkweise sein, sondern müsse auch innerhalb von Unternehmen stark gelebt werden. Die junge Geschäftsführerin produziert nach eigenen Angaben in ihrem privaten Haushalt gerade mal zwei Säcke Plastikabfall pro Jahr. Nicht erstaunlich, dass sie auch in den Kaffee-Ecken ihres Unternehmens auschliessslich unverpackte Waren zur Konsumation bereitstehen hat. Oder dass denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit dem öffentlichen Verkehr oder dem Fahrrad zur Arbeit kommen, regelmässig ein Mobilitätsfrühstück spendiert wird, was wiederum als interner Netzwerkanlass dient. Das Unternehmen schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Sowohl die ökologische wie auch die soziale Nachhaltigkeitsebene werden bedient. «Es geht beim Thema Nachhaltigkeit nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, loszulegen», so Judith Grass.[RELATED]

Ganzheitliche Strategie bedingt Einbezug der Gäste
Nicht nur bei der Anreise, auch in Sachen Umsetzung der kommunizierten Nachhaltigkeitsversprechen kann es den Gästen anscheinend nicht schnell genug gehen. Die Anbieter tun deshalb gut daran, auch sie rechtzeitig zu sensibilisieren.

Wenn die Oberstdorf Kleinwalsertal Bergbahnen beispielsweise mittels Kabinendurchsagen nicht etwa auf die örtlichen Ausflugsziele und das Bergpanorama, sondern auf die Einzigartigkeit der einheimischen Flora und Fauna sowie Schutzzonen für die Wildtiere hinweisen, hat dies laut Marketingleiter Jörn Homburg grosses Aufklärungspotenzial mit ebenso langfristigem wie weitreichendem Effekt. Genauso wie der verständlich kommunizierte Hinweis im Bergrestaurant, wie viel CO₂-Ausstoss ein Steak auf dem Berg im Vergleich zur regionalen Kartoffelpfanne hat. Auch hier gilt: kleiner Aufwand, grosse Wirkung.

«Bergbahnen und Nachhaltigkeit können nicht nur zusammen, sondern sie müssen zusammen», sagt Homburg. Damit knüpft er an das diesjährige Fazit des Tourismusforums an: Das wertvolle Gut der Natur, weswegen die Gäste auf den Berg fahren, muss erhalten, gepflegt und gefördert werden.

Die htr hotel revue ist Medienpartnerin des TFA.


Nachgefragt

Welche Rückmeldungen haben Sie aus dem Teilnehmerfeld zum diesjährigen TFA erhalten?
Man war froh, endlich wieder einmal in einem einigermassen normalen Rahmen physisch zusammenzukommen und sich über Ländergrenzen hinweg auszutauschen. Es ist sehr gut angekommen, dass sich das Motto «Innovationen und Nachhaltigkeit» wie ein roter Faden durch alle Themenblöcke gezogen hat. Unsere Positionierung und die gewählten Themenschwerpunkte haben zu einer deutliche Verjüngung und zu einem wachsende Anteil an weiblichen Führungskräften am TFA geführt.[IMG 2]

Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde. Tritt die Branche an Ort, oder sehen Sie Fortschritte?
Ich sehe klare Fortschritte, die mich zuversichtlich stimmen. In der Hotellerie nimmt dieses Thema eine wachsende Bedeutung ein und ist mittlerweile in vielen Betrieben auf der Geschäftsleitungs- und der Eigentümerebene angekommen.

Was muss zeitnah in Angriff genommen werden?
Der beste Innovationstreiber sind Krisen – so leidvoll das oft ist. Wir erleben gerade eine Zeit der gewaltigen Umbrüche, der Lieferengpässe, des Fachkräftemangels, der stark steigenden Energiekosten und ganz neuer Sicherheitsbedürfnisse. Diese Strömungen begünstigen nachhaltiges Wirtschaften, gute Mitarbeiterführung, konsequentes Ressourcenmanagement und die Rückbesinnung auf die gesunden regionalen Kreisläufe. Deshalb glaube ich, dass die für einen Perspektivenwechsel erforderlichen Massnahmen nicht mehr nur als notwendig erkannt, sondern auch finanzierbar sein werden.