Der Flughafen Samedan liefert zurzeit Stoff für ein spannendes Drehbuch. Der höchstgelegene Flugplatz Europas, wo die Schönen und Reichen aus aller Welt landen, soll erneuert, sicherer und attraktiver werden. Der Verwaltungsratspräsident der Betreibergesellschaft Engadin Airport AG wird vom Bundesgericht verdonnert, 140 Millionen Franken Steuern nachzuzahlen, unter anderem, weil er in Samedan eingeflogene Kunst weder verzollt noch angegeben hat. Der Flughafenausbau kostet plötzlich viermal mehr als ursprünglich kommuniziert. Eine Bündner SP-Grossrätin stellt kritische Fragen und wird mit Drohungen konfrontiert. Und die Bevölkerung vor Ort ist verunsichert wegen Schlagzeilen wie «Aus 22 werden 88 Millionen» und schreibt kritische Leserbriefe zur «massiven Aufstockung».

Doch der Reihe nach. Der Regionalflugplatz im Oberengadin ist in die Jahre gekommen. Damit er betriebsfähig bleibt und die gesetzlichen Anforderungen auch künftig erfüllt, soll er baldmöglichst modernisiert werden. Insbesondere das Betriebsgebäude mit Terminal, Kontrollturm, Büros, Restauration sowie Zollprozessen, kurz die betriebsrelevante Infrastruktur. Die «lebenserhaltenden Massnahmen» wurden 2017 auf 22 Millionen budgetiert. «Die Kalkulation erfolgte vor Projektierung aufgrund von Annahmen und Erfahrungswerten», erklärt Daniel Peter, Geschäftsführer des Infrastrukturunternehmens Regionalflughafen Samedan (Infra RFS). Das Oberengadiner Stimmvolk sagte im gleichen Jahr Ja zum Verpflichtungskredit von 8,5 Millionen Franken. In den Folge­jahren rückte neben der «dringlichen Kernentwicklung» auch die «notwendige Weiterentwicklung» des Flugplatzes in den Vordergrund. Die Investitionssumme stieg auf 88 Millionen Franken, wobei rund 15 Millionen von den Helikopterbetrieben finanziert werden. Für die weitere Finanzierung sollen Drittpartner an Bord geholt werden.

Kritik an «Gigantismus»
«Bei den aktuellen Plänen berücksichtigen wir auch Konzessionsauflagen und den Regionalflughafen als Ausserschengen-Zollflugplatz mit internationalen Fluganbindungen», sagt Peter. Zudem soll der Flugplatz auch künftig profitabel betrieben werden können. «Dieses Mehr an Infrastruktur kostet zwar mehr, leistet aber auch mehr», sagt der Infra-Chef.

«Die aktuellen Ausbaupläne sind viel zu gross für das Oberengadin», wettert Franziska Preisig, Bündner SP-Grossrätin, Juristin und Dozentin für Tourismusrecht an der Höheren Fachschule für Tourismus Graubünden in Samedan. Sie verlangt Transparenz, spricht von Gigantismus und Verschandelung der Natur. Im Februar 2022 fragte sie im Kantonsparlament, ob das öffentlich-rechtliche Unternehmen Infra RFS Aufträge nicht ausschreiben müsse. Im März lancierte Preisig an vorderster Front eine Petition zum Flugplatz Samedan mit dem Titel «Respekt vor dem Volkswillen: 22 und nicht 88 Millionen sind genehmigt».

Darin verlangt sie unter anderem, dass der Ausbau ohne private Grossinvestoren geschieht und die Bevölkerung erneut abstimmen kann. Und an einer öffentlichen Infoveranstaltung im April fragte sie, ob den Ausbauplänen überhaupt eine Bedarfsanalyse zugrunde liege. Denn für sie ist klar: «Alles über 10 Millionen Franken ist ein Grossprojekt, bei dem Umweltverbände, Petitionäre und andere Anspruchsgruppen mitwirken können müssen.»

Insbesondere nach dem Bündner Baukartellskandal will die Juristin wissen, woher die Gelder allfälliger privater Investoren kommen, welche Interessen diese verfolgen und was ihnen versprochen wird. «Der Flugplatz soll nicht in private Hände kommen», betont Franziska Preisig, die sich bereits 2012 mit einer Unterschriftensammlung erfolgreich gegen eine Privatisierung wehrte. Damals stand der Milliardär und Grandhotel-Dolder-Besitzer Urs E. Schwarzenbach als Käufer in der Poleposition. Heute ist er Verwaltungsratspräsident der Engadin Airport AG.

Die Kritik von Franziska Preisig am Projekt führte vor den Gesamterneuerungswahlen des Bündner Parlaments im Mai zu unschönen Reaktionen. Ein Engadiner FDP-Politiker soll der Tourismusdozentin berufliche Konsequenzen angedroht haben, sollte sie «politisch so weitermachen» wie bisher. Und wie die «Südostschweiz» am 28. Mai schrieb, erhielt der CEO der Academia Engiadina in Samedan eine namenlose Mail, er habe seine Mitarbeiterin nicht im Griff. Der Gemeindevorstand Samedan lehnte daraufhin im Gegensatz zu St. Moritz die finanzielle Unterstützung von Preisigs Arbeitgeberin, der Academia Engiadina, ab.

Grosse Bedeutung für den Tourismus
Fragt man Touristiker aus dem Oberengadin zu diesen Geschehnissen, winken sie ab, das sei nur Wahlgeplänkel gewesen. Namentlich dazu äussern will sich niemand. Im Fokus stehe der für die gesamte Destination wichtige Regionalflugplatz und dessen multifunktionale Weiterentwicklung. Und auch von einem Prestigeobjekt könne keine Rede sein. Fredi Gmür, Verwaltungsrat von Engadin St. Moritz Tourismus (ESTM), hält fest: «Der Flughafen hat für die Luxushotellerie, den Zweitwohnungsstandort, als Freizeitinfrastruktur sowie für die Versorgung und die Sicherheit der Gäste eine sehr grosse Bedeutung.» Und Marijana Jakic, Brandmanagerin von St. Moritz, fügt an, dass der Nobelort eine Premiummarke sei und der jetzige Flugplatz für Gäste der Luxushotellerie in Sachen Attraktivität und Erlebnis noch viel Luft nach oben habe.[RELATED]

Ob der Ausbau privat oder öffentlich finanziert wird, ist den Touristikern egal. An der Flughafenkonferenz im Oktober will Infra RFS verschiedene Finanzierungsvarianten sowie valable Entwicklungspartner aus dem In- und Ausland vorstellen. Im Februar 2023 soll die Entscheidungskonferenz, bestehend aus elf Gemeinden, darüber befinden. Daniel Peter geht davon aus, dass es im kommenden Frühling nochmals eine Volksabstimmung geben wird. Bis dahin haben die Flughafenverantwortlichen einiges an Kommunikationsrückstand aufzuholen. Seit Mai ist eine Website zum Entwicklungsprojekt aufgeschaltet.

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«Palace in the Air»: Ein Charter-Modell mit Potenzial

Im Februar 2020 bewies das Luxushotel Badrutt’s Palace in St. Moritz, dass Direktflüge zwischen London und Samedan möglich sind und einem Bedürfnis entsprechen. Ein 30-plätziger Dornier-328-Jet flog am Freitag,
14. Februar, vom Londoner Flughafen Biggin Hill ins Oberengadin und am gleichen Tag wieder zurück.

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Auch an weiteren Wochenendtagen im Februar brachte der Jet britische Feriengäste ins Engadin und reisefreudige Engadiner in die englische Metropole. «In diesen Februarwochen machen unsere britischen Gäste mehr als 50 Prozent aus», sagt Richard Leuenberger, Managing Director des «Badrutt’s Palace». Ihnen bot die Nobelherberge die Möglichkeit, unkompliziert und in nur 105 Minuten von London direkt nach Samedan zu gelangen. Knapp sieben Stunden weniger als herkömmlich über Zürich oder Milano. «Zeit ist Geld, besonders für dieses Gästesegment», sagt Leuenberger.

Für 1600 Franken konnten Hin- und Rückflug plus Transfer von St. Moritz nach Samedan und zurück gebucht werden. Nur ein Weg kostete 890 Franken. Auf dem Exklusivflug bot «Palace in the Air» weitere Extras: Ein Butler und hauseigene Mitarbeitende sorgten sich um das Wohl der Gäste, der mehrfach ausgezeichnete britische Gastronom Jason Atherton kümmerte sich um das Board Catering.

Gespräche mit Interessenten
Die acht Flüge aus London brachten insgesamt 144 Gäste in den glamourösen Wintersportort, in die andere Richtung wurde das Angebot weniger genutzt. Obwohl die Direktflüge erst drei Wochen vor Start angeboten wurden, waren die Freitagsflüge Richtung Samedan im Nu ausverkauft. Nicht zuletzt dank einem Bericht in der «Financial Times». Rund ein Viertel der Gäste buchte den Flug innert 24 Stunden vor Abflug. Im Nachhinein bezeichnet der Hoteldirektor das zeitlich limitierte Projekt als «sehr interessante Erfahrung». Das Angebot sei auch von Gästen in 4- und 3-Sterne-Hotels genutzt worden. Profitabel seien die Direktflüge zwar nicht gewesen, vor allem weil der Aufwand für Sitzbuchungen, Sicherheitskontrollen wie auch Shuttle-Service sehr hoch gewesen sei und nicht zum Kerngeschäft des Hotels gehöre.

Für die Gäste aber seien die Direktflüge äusserst attraktiv gewesen. «Mit kompetenten Partnern wären wir sofort wieder dabei», betont Leuen­berger. Der Aviatikaffine hofft, dass sich  jemand diesem Nischengeschäft annehmen wird. Aktuell finden Gespräche mit Flugunternehmen aus Deutschland, England und der Schweiz statt.