Brigitta Gadient, wo haben Sie die Feiertage verbracht?
Ich war mit meinem Mann mehrheitlich im Prättigau, und wir haben mit meiner Mutter Weihnachten gefeiert.
Hoffentlich auf Distanz.
Ja, selbstverständlich. Meine Geschwister und ich haben unsere 85-jährige Mutter einzeln, mit Maske und dem nötigen Abstand besucht.
Brigitta Gadient (60) ist seit einem Jahr Präsidentin der Tourismusmarketingorganisation Schweiz Tourismus. Von 1995 bis 2011 vertrat die Juristin und gebürtige Churerin den Kanton Graubünden im Nationalrat – zunächst als SVP-Politikerin, ab 2008 bei der BDP. Gadient leitet in Chur ein eigenes Büro für Rechts- und Organisationsberatung. Daneben bekleidet sie weitere Spitzenämter: So ist sie seit 2017 Präsidentin der Fachhochschule Graubünden und seit 2019 Vizepräsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes. Seit November 2020 präsidiert sie zudem die Schweizer Luftfahrtstiftung. Per Anfang 2021 wurde Gadient zur Präsidentin der Stiftung Schweizerischer Bankenombudsman gewählt.
Sie sind nun seit einem Jahr Präsidentin von Schweiz Tourismus. Wie sieht Ihre erste Bilanz aus?
Ich hatte einen tollen Start, doch bereits im Februar kam der Corona-Schock, der internationale Tourismus kam nach und nach zum Erliegen. Seither erleben wir alle sehr schwierige Zeiten. Trotz Verständnis und Unterstützung aus Politik und Bevölkerung bleibt die Situation für viele Regionen und Geschäftsbereiche kritisch. Es wird noch Jahre dauern, bis wir den Stand von vor Corona wieder erreicht haben werden.
Wie war die Zusammenarbeit mit Martin Nydegger, dem Direktor von Schweiz Tourismus?
Gut und intensiv. Er sagte mir einmal, wir hätten uns in diesem verrückten Jahr so häufig ausgetauscht, wie er sich mit meinem Vorgänger in den zwei Jahren davor nicht ausgetauscht habe.
Sie sind in der über 100-jährigen Geschichte der Marketingorganisation die erste Frau an der Spitze. Gibt es im Tourismus ein Frauenproblem?
Nein, es gibt hier viele Frauen in wichtigen Positionen, auf jeder Ebene. Trotzdem gibt es Nachholbedarf, aber das nicht nur im Tourismus. Doch das geschieht nicht von heute auf morgen.
Nach Ihrer Wahl betonten Bundesrat und Schweiz Tourismus Ihre «grosse Passion» für den Tourismus. Worin besteht diese?
In einem Schulaufsatz habe ich mal gelesen: «Die Bündner ernähren sich von Touristen.» Ich finde, das trifft es ganz gut. (lacht) Nein, im Ernst: Bereits meine Grosstante hatte ein Restaurant, in dem ich ein und aus ging. Als Bündnerin und ehemalige Politikerin komme ich mit dem Tourismus tagtäglich in Berührung. Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsbereich, für viele Landesteile sogar der wichtigste.
Corona hat ihn in die schwierigste Krise seit langem gestürzt. Schweiz Tourismus wird vom Bund mit zusätzlichen 40 Millionen Franken unterstützt. Eine grosszügige Geste.
Die Hälfte davon ist nicht für uns, sondern geht zur Entlastung direkt zu den touristischen Partnern. Die andere Hälfte, der Beitrag für Schweiz Tourismus, ist an klare Auflagen gebunden. So mussten wir den Marketingschwerpunkt zunächst im Heimmarkt setzen und nachhaltige Angebote fördern. Zudem wurde diese Summe nicht nur für 2020, sondern auch für das neue Jahr gesprochen.
Wozu braucht es überhaupt Marketingmassnahmen in einer Zeit, in der sich einzig die Viren frei bewegen können?
Über die Wirkung von Marketing lässt sich vortrefflich streiten. Ich bin überzeugt: «Dream now – travel later» und «Wir brauchen Schweiz» waren sehr wirksame Kampagnen, mit denen wir Neugierde und Begeisterung für bisher unbekannte Landesteile wecken konnten. Es fand ein noch nie dagewesener Austausch über die Sprachgrenzen hinweg statt. In Graubünden haben wir im Sommer so viel Französisch gehört wie noch nie. Plötzlich mussten viele Betriebe zum ersten Mal französischsprachige Speisekarten drucken.
Trotz Reisebeschränkungen wirbt Schweiz Tourismus auch im Ausland...
Aus Deutschland oder Benelux betrug der Gästerückgang im Sommer immerhin «nur» gut 20 Prozent, was angesichts der schwierigen Situation gar nicht so schlecht ist. Wir müssen im Ausland in den Köpfen der Menschen präsent bleiben. Sobald wieder problemlos gereist werden kann, werden die Menschen grossen Nachholbedarf haben. Auch andere Länder sind beim Marketing nicht untätig. Würden wir die Hände in den Schoss legen, geriete die Schweiz bei den ausländischen Gästen in Vergessenheit.
Welche Märkte werden 2021 prioritär bearbeitet?
Mit Hinblick auf den Frühsommer sicher Europa, insbesondere die Nachbarländer, von wo aus man problemlos mit dem Auto oder Zug anreisen kann. Anschliessend sind die für uns ebenfalls wichtigen Märkte Grossbritannien und Nordeuropa an der Reihe. Erst danach kommen die Fernmärkte dran. Diese brauchen allerdings eine grössere Vorlaufzeit, da die Frist zwischen Ferienplanung und Buchung länger ist. In China oder den USA haben wir deshalb bereits erste Recovery-Massnahmen gestartet.
Welche konkreten Inhalte sind für die Kampagnen geplant?
Unter anderem werden wir die Stadthotellerie und den Businessbereich fördern, etwa mit der Kampagne «Rent a Hotel»: Unternehmen können gleich ein ganzes Hotel für ein Seminar oder eine längere Retraite mieten. In der Schweiz haben wir die einmalige Situation, dass viele Städte in Gewässernähe liegen, was wir entsprechend vermarkten werden. Weiterführen werden wir ausserdem unsere Kampagne «Train-hub Europe» für schnelle, direkte und klimafreundliche Zugverbindungen aus grossen europäischen Metropolen in die Schweiz. Vielversprechend wird auch unser Schwerpunkt im Bereich der Nachhaltigkeit sein, der die Schweiz als nachhaltiges Reiseland bewerben wird.
Sie sassen im Rahmen der «Tourismusgipfel» gemeinsam mit anderen Branchenvertretern und Bundesräten an einem Tisch. Finden die Anliegen der Branche in Bern genügend Gehör?
Mehr und besser ginge natürlich immer. Aber wir spüren eine grosse Bereitschaft seitens der Politik, Unterstützung zu bieten. Wir müssen jetzt aktiv und präsent bleiben.
Wie nehmen Sie persönlich die Entscheide und Massnahmen der Regierung in der Corona-Krise wahr?
Der Bundesrat hat sicher keine leichte Aufgabe. Bis heute wissen wir vieles über das Virus nicht. Und am Anfang wussten wir gar nichts. In dieser Situation hat der Bundesrat rasch und ruhig reagiert. Später wurde es komplizierter, was zum Teil auch an unserem föderalistischen System liegt. Es ist sehr einfach, das Hin- und Herschieben von Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen zu kritisieren. Abzuwägen, wie man das Land wirtschaftlich am Leben hält und gleichzeitig die Gesundheit der Menschen schützt, ist hingegen schwierig. Jeder Todesfall ist einer zu viel. Gleichzeitig stehen viele Betriebe am Abgrund. Für diesen Balanceakt gibt es kein Patentrezept.
Viele der schwer betroffenen Betriebe sind Restaurants. Sie sind momentan geschlossen – und das nicht zum ersten Mal in dieser Krise. Sind sie wirklich die «Übeltäter»?
Das müssen Sie die Epidemiologen fragen. Eine endgültige Antwort darauf, welche Massnahmen gerechtfertigt sind und welche nicht, gibt es meines Wissens nicht. Entscheidend ist, dass die Spitäler nicht überlastet sind. Klar ist aber auch, dass die Gastronomie, ja alle betroffenen Betriebe im Tourismus zusätzliche Unterstützung benötigen. Die gesprochenen Mittel reichen bei weitem nicht.
Was fordern Sie?
Mehr Effizienz bei der Verteilung der bereits gesprochenen Gelder. Anschliessend muss man, wo nötig, über eine Aufstockung der Mittel reden. (Das Gespräch mit Brigitta Gadient erfolgte noch vor den Beschlüssen des Bundesrats vom 13. Januar. Anm. d. R.)
Es war im letzten Jahr viel von Solidarität die Rede. Welchen Stellenwert hat der Begriff für Sie?
Solidarität und Ausgleich waren für mich während meiner ganzen politischen Arbeit zentral. Dass Solidarität für unser Land wichtig ist, zeigte sich 2020 deutlich: Romands reisen ins Engadin, junge Menschen gehen für ältere einkaufen. Solidarität ist kein leeres Wort, sondern wird tatsächlich gelebt.
Wann wird sich der Tourismus von dieser Krise erholt haben?
Der Tourismus wird sich erholen. Es gibt weltweit immer mehr Menschen, die über Wohlstand und freie Zeit verfügen, die mobil sind und ihre Freizeit bis ins hohe Alter gestalten wollen. Der Tourismus hat eine gute Zukunft – und die Schweiz eine gute Perspektive.
Das Gespräch führten Sabine Lüthi und Patrick Timmann.