Theo Schnider, Sie sind als einheimische «Saftwurzel» seit mehreren Jahrzehnten in Sörenberg und im Entlebuch tätig. Hat es Sie denn nie irgendwo anders hingezogen?
Nein, eigentlich nie. Dies, obwohl ich von anderen Destinationen zahlreiche Angebote erhielt. Aber die Herausforderungen des Tourismus sind überall die gleichen, eigentlich unabhängig von der Destinationsgrösse. Ich sah für das Entlebuch immer wieder Entwicklungspotenzial und fand es spannend, der Region mehr Profil geben und die Unesco Biosphäre aufbauen zu können sowie dem regionalen Tourismus eine ganz andere Dimension zu verleihen. Aber ich bin mit der Welt vernetzt und kommuniziere auch mit Ausserirdischen... (Siehe Video) [IMG 2]
Das Ausland hat sie auch nie gereizt?
Ich bin oft als Referent und Berater in der Funktion als Direktor der Biosphäre im Ausland unterwegs. Eine fixe Tätigkeit im Ausland zu übernehmen, war für mich nie ein Thema. Aber es ist spannend, Projekte weltweit zu begleiten und auch daraus zu lernen.
Am vergangenen Samstag wurden Sie zum Präsidenten der Bergbahnen Sörenberg gewählt. Sie übernehmen das Ruder in einer schwierigen Phase dieser Bergbahnunternehmung.
Während langer Zeit wurde über das Projekt Rothorn Ost diskutiert. Damit hätte das Skigebiet auf der Ostseite des Brienzer Rothorns neu erschlossen werden sollen. Beabsichtigt war, die alte Bahn und das alte Bergrestaurant zu ersetzen. Innerhalb von zehn Jahren verändern sich jedoch Markt und Kundenverhalten stark. Deshalb und weil auch die Projektkosten immer weiter anstiegen und die Auflagen laufend strenger wurden, zogen wir die Reissleine und verzichten auf die Realisierung von Rothorn Ost. Mit diesem Entscheid war der bisherige Verwaltungsratspräsident Fredy Portmann nicht einverstanden und gab deshalb seinen Rücktritt bekannt. Wir wollen nicht eine möglichst kühne Strategie, sondern eine nachhaltige, verantwortungsvolle Strategie.
Neben der Leitung der Biosphäre und der Funktion als Bergbahn-Präsident amten Sie auch als Präsident des Marketingpools Entlebuch. Wie bringen Sie all dies unter einen Hut?
Es ist unabdingbar, dass man sich organisiert. Wichtig ist auch, den Blick fürs Ganze, über den Tellerrand hinaus, zu behalten und sich nicht in Details zu verlieren. Diese Funktionen bieten aber auch die Möglichkeit, stark vom existierenden Netzwerk profitieren zu können. Obwohl ich vorläufig weiterhin hauptberuflich bei der Biosphäre tätig bin, werde ich mein Pensum um 10 bis 20 Prozent reduzieren. Praktisch heisst das, weniger Lohn und noch mehr Arbeit.
Zur Person: Überzeugter und überzeugender Entlebucher
Theo Schnider (61) ist seit 2001 Direktor der Unesco Biosphäre Entlebuch und seit vergangenem Samstag auch Verwaltungsratspräsident der Bergbahnen Sörenberg. Zuvor war er während 21 Jahren Kurdirektor in Sörenberg. Schnider ist auch Referent und Dozent an verschiedenen Fach- und Hochschulen in den Bereichen Tourismusmarketing, Nachhaltige Entwicklung, Mobilität, Partizipationsprozesse, Klimaveränderung, Netzwerkarbeit und Tourismusstrategie. Er wirkte auch im Expertenpool RegioPlus des Seco und im Beraterpool des Verbandes Schweizer Tourismusdirektoren mit. Er ist überdies Mitglied der Beratungskommission für Landwirtschaftspolitik des Bundesrates. Ausbildungsmässig hat Theo Schnider einen grossen Rucksack. Er liess sich zum Wirtschaftskaufmann, Tourismusfachmann sowie Natur- und Umweltfachmann ausbilden. Weiter liess er sich in den Bereichen Risk- und Disaster-Management, Marketing/PR/Kommunikation und Partizipationsprozesse sowie Grafik weiterbilden. Ebenso in Forst-, Naturschutz- und Gewässerschutzrecht. 2007 wurde Theo Schnider für sein Lebenswerk mit dem Tourismuspreis Milestone ausgezeichnet.
Trotz allem wollen Sie die Leitung der Biosphäre langsam abgeben. Werden Sie es als «Mister Biosphäre» nach 20 Jahren schaffen, ganz loszulassen?
Irgendeinmal müssen alle loslassen. Der «Mister Biosphäre» wird mich wohl bis zum letzten Arbeitstag vor der Pensionierung in vier Jahren verfolgen und vielleicht sogar darüber hinaus. Damit habe ich kein Problem. Wenn ich nun provozieren kann, dass man jetzt schon über die Strukturen nach meiner Zeit diskutiert, ist dies von grossem Vorteil. Dies ist mit ein Grund,dass ich mich bereit erklärte, das Verwaltungsratspräsidium der Bergbahnen Sörenberg zu übernehmen. Denn der Regionalplanungsverband ist jetzt schon aufgefordert, zu klären, wie man in Zukunft mit der Biosphäre umgehen will. Mir ist sehr wichtig, dass es auch nach meiner Ära mit der Entwicklung der Unesco Biosphäre Entlebuch weitergehen wird. Das gehört zur Verantwortung eines jeden Direktors, der mit Leidenschaft und Herzblut wirkt.
Im Zuge des Nachfolgeprozesses soll ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Organisationsmodell für das Management der Unesco Biosphäre Entlebuch erarbeitet werden. Wie muss man sich dieses Modell vorstellen?
Eine Reorganisation nur um der Reorganisation willen braucht es nicht. Entscheidend ist die Frage, gibt es angesichts der komplexen Aufgabenstellung und der künftigen Herausforderungen eine intelligentere Organisationsform, die noch effizienter und wirkungsvoller ist. Eine weitere zu beantwortende Frage lautet: Welche Leute in welcher Funktion sind nötig, um die Ziele zu erreichen?
Ist wohl gut möglich, dass künftig einiges anders gemacht wird, als Sie dies während 20 Jahren taten?
Ja, dies ist durchaus möglich. Sollte man die Biosphäre anders und effizienter leiten und entwickeln können, bin ich sofort mit im Boot. Mit Veränderungsprozessen hatte ich nie Mühe. Ganz im Gegenteil: Ich sehe mich als Inputgeber für Veränderungen. Und ich bin ein Gestalter und kein Verwalter. Möglich ist aber auch, dass man zum Fazit gelangt, dass bisher doch einiges richtig gemacht wurde. Ob das nun modern ist oder nicht, erfolgreiche Destinationen und Unternehmen brauchen leidenschaftliche Promotoren.
Wie kam man damals auf die Idee, eine Biosphäre zu schaffen?
Auslöser war die Annahme der Rothenthurm-Initiative zum Schutz der Moore Ende 1987. Damit wurden auf einen Schlag rund 50 Prozent der Fläche der Destination Entlebuch als geschützt erklärt. In Sörenberg, wo ich damals Kurdirektor war, waren sogar zwei Drittel des ganzen Gemeindegebietes geschützte Fläche. Es stellte sich die Frage, ob touristische Entwicklung überhaupt noch möglich sei. Doch zu Beginn verwehrte man sich der Diskussion um Schützen und Nutzen. Es herrschte die Meinung vor, das Volk hat entschieden, nun ist die Fläche geschützt und basta. Damit konnte ich mich nicht abfinden und erschien als Indianer verkleidet im Luzerner Kantonsparlament, um zu erklären, dass man aus dem Entlebuch kein Indianerreservat machen könne.
Es wurde zwar kein Indianerreservat, aber ein Biosphärenreservat mit Ihnen als Häuptling.
Diese Aktion hat der Diskussion um Schützen und Nutzen in der Schweiz endlich Auftrieb gegeben. Man gewann in der Region die Erkenntnis, dass man das vermeintliche Handicap Schutzgebiet ins Positive kehren sollte. Es ging darum, eine Form zu suchen, wie man derart grosse Schutzgebiete vermarkten kann. Die Idee war zu Beginn die Schaffung eines Moor-Kompetenzzentrums von internationaler Bedeutung. Da die Natur des Entlebuchs jedoch für weit mehr steht als nur für Moorschutz, suchten wir nach anderen Lösungsansätzen und stiessen auf die Idee des Unesco-Biosphärenreservates. Da die Bevölkerung für den Erfolg zwingend mit einzubeziehen war, wurde sie umfassend über die Idee informiert. Im Jahr 2000 haben die Stimmbürger sämtlicher Gemeinden die Idee zur Schaffung eines Biosphärenreservates mit sensationellen 94 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Im Jahr 2001 erfolgte die Anerkennung durch die Unesco. Übrigens ist es das erste Biosphärenreservat der Welt, das in einem partizipativen Prozess entstanden ist.
Seit 2008 ist der Perimeter der Biosphäre auch ein regionaler Naturpark von nationaler Bedeutung. Davon nimmt kaum jemand Kenntnis.
Gegen aussen kommunizieren wir die Biosphäre und nicht den Naturpark, da deren Philosophie besser zu uns passt und wir von den internationalen Tätigkeiten her besser ins weltweite Netz der Biosphären passen.
Sowohl der geplante regionale Naturpark Adula als auch der geplante Nationalpark im Locarnese wurden von der Bevölkerung klar abgelehnt. Sind Biosphären die bessere, sprich erfolgreichere Lösung?
Ein Biosphären-Reservat ist kein Allheilmittel, das sind aber auch Naturparks und Nationalparks nicht. Die Schaffung von Pärken ist emotional und sehr anspruchsvoll, entsprechend braucht es Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Akteuren in den Regionen und vor Ort. Und die Umweltschutzorganisationen, Regierungs- und Amtsstellen müssen die lokalen und regionalen Leute arbeiten lassen. Letztere müssen jedoch mit Informationen und Kompetenzen ausgestattet sein, um auch über Natur und Landschaft diskutieren zu können. Die Diskussionen brauchen viel Raum und Zeit, damit sie zum Erfolg führen. Sehr wichtig ist die richtige Kommunikation. Ich bin überzeugt, die Menschen verfügen über mehr als genug Wissen, um Probleme lösen zu können, aber sie können zu wenig miteinander kommunizieren und kooperieren. Zur Ablehnung des Naturparks Adula und des Nationalparks im Locarnese haben sicher auch Ängste vor Einschränkungen und Veränderungen beigetragen. Diese Ängste können nur in Diskussionen und im Erleben positiver Schritte genommen werden. Derart heikle Projekte und Operationen dürfen nicht mit der Brechstange durchgedrückt und ausgeführt werden. Vielmehr braucht es eine ganz feine Pinzette. Die häufigsten Ursachen, weshalb man beim Diskutieren ins Streiten kommt, sind Zielkonflikte, die nicht entdeckt worden sind.
In der Schweiz existiert neben dem Biosphärenreservat Entlebuch auch jenes von Val Müstair. Arbeiten Sie in gewissen Bereichen zusammen?
Eine enge Zusammenarbeit besteht nicht. Wir haben jedoch immer offene Türen und leisten gerne Unterstützungsarbeit, denn starke Kooperationen werden immer zentraler und wichtiger.
Kategorien Biosphäre unterscheidet sich von Pärken nationaler Bedeutung
Die Unesco hat das Programm «Der Mensch und die Biosphäre» («Man and Biosphere», MAB) begründet. Ziel ist es, neue Modelle für eine sorgsame Bewirtschaftung des Lebensraumes zu konzipieren. In den Unesco-Biosphärenreservaten wird das MAB-Konzept in die Praxis umgesetzt. MAB orientiert sich dabei am Leitbild einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung. In der Schweiz erfüllen der Schweizerische Nationalpark zusammen mit der Biosfera Val Müstair sowie das Unesco-Biosphärenreservat Entlebuch die entsprechenden Anforderungen. Die Pärke von nationaler Bedeutung zeichnen sich durch schöne Landschaften, eine reiche Biodiversität und hochwertige Kulturgüter aus. Auf dieser Basis sind die Parkgemeinden zusammen mit der Bevölkerung und den Kantonen bestrebt, diese Werte zu erhalten und für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ihrer Regionen weiter zu steigern und nachhaltig zu nutzen. Der Bund fördert die Errichtung und den Betrieb der Schweizer Pärke seit dem 1. Dezember 2007. Das Entlebuch gilt gemäss letztem Audit der Unesco als eine von sieben Modellbiosphären der Welt.