Jan Steiner, was begeistert Sie persönlich an Grossanlässen wie der anstehenden Freestyle-WM, dem Engadin Ski Marathon oder die Idee der Olympischen Spiele in der Schweiz?
Grossanlässe sind Projekte, wo alle miteinander an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Ich war 2003 bei der Skiweltmeisterschaft in St. Moritz das erste Mal aktiv dabei – als Rutscher am Berg. Da habe ich ein bisschen Blut geleckt. Die gewonnenen Erfahrungen helfen mir in meiner Situation als CEO von Engadin Tourismus, Politiker, Partner, eigentlich das ganze Tal wieder auf einen Grossanlass einstimmen zu können.
Was ist das Besondere für das Engadin an den grossen Kisten?
Das Engadin und St. Moritz sind mit solchen Events gross geworden. Das hat mit den Engländern angefangen, die mit dem Bob zu uns gekommen sind. Dann natürlich auch die Anlässe auf dem See, Polo und White Turf …
«Hospitality Insight»
Hotellerie, Tourismus, Gastronomie: Unsere Branche ist unglaublich dynamisch und vielfältig. Diesem Umstand tragen wir neu mit unserem Videocast «Hospitality Insight» Rechnung.
Jeden Monat unterhalten wir uns mit einer Persönlichkeit über das Schwerpunktthema der folgenden Ausgabe Ihrer «htr hotelrevue».
... das sind doch eher Cüpli-Anlässe im überschaubaren Rahmen. Nicht unbedingt riesige Veranstaltungen.
Das stimmt. Aber auch die haben sich weiterentwickelt und dank ihnen wurde eine neue Ära eingeläutet. Grossanlässe gehören heute zu unserer DNA, die wir pflegen wollen. Immerhin hat St. Moritz 1928 und 1948 Olympische Spiele ausgerichtet. Wir hatten fünf Weltmeisterschaften und veranstalten im März das erste Mal auch die Freestyle-Weltmeisterschaft aus.
Welche wirtschaftlichen Ziele verfolgt Engadin Tourismus mit diesen Events? Braucht es diese Grossanlässe überhaupt?
Die Frage, ob es sie braucht oder nicht, kommt bei uns immer wieder auf. Für den Tourismus sind Grossanlässe sicher befruchtend. Mit Blick auf die bevorstehende Freestyle-WM: Ostern ist 2025 sehr spät, deshalb ist der März der ideale Zeitpunkt, diese WM nach dem Skimarathon durchzuführen. Solche Anlässe helfen uns auch, Grossinvestitionen zu tätigen. Dank der WM konnten wir eine weltcuptaugliche Halfpipe im Tal realisieren; eine Freestyle-Halle steht zur Diskussion. Das zeigt: Grossanlässe ziehen auch Investitionen an.
Inwiefern prägen solche Anlässe die Marke Engadin?
Wenn es um die Marke und das Branding Engadin geht, zielen wir auf eine Verjüngung hin. Gegenwärtig haben wir eine Gästestruktur von 45 Jahren aufwärts. Wir wollen ein jüngeres Publikum erreichen und Angebote für jüngere Zielgruppen haben. Da ist die Freestyle-WM ein sehr schöner Punkt.
Wie wollen Sie mit den erwarteten rund 80'000 Besucherinnen und Besuchern an der Freestyle-WM einen nachhaltigen Event sicherstellen?
Wenn ich das Wort Nachhaltigkeit höre, sollten wir immer alle drei Dimensionen berücksichtigen. Über die ökonomische haben wir uns schon unterhalten. Sie bringt die Wertschöpfung und Investoren, die an die Zukunft dieses Tals glauben.
Dann gibt es die soziale Nachhaltigkeit.
In diesem Bereich sind wir sehr stark. Nehmen wir die freiwilligen Helfer. Sie sind ein Vermächtnis aus der nachhaltigen Alpinen Weltmeisterschaft 2003. Der Spirit der Volunteers, die bei uns an die Grossevents kommen, um zu helfen, ist immer noch da. Vielleicht müssen wir noch die eine oder Hausaufgabe machen, etwa wie wir die einheimische Bevölkerung noch aktiver in diesen ganzen Prozess einbeziehen. Zum Beispiel mit mehr Aufklärung, um das Verständnis für solche Anlässe zu fördern.
Bleibt die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit. Jüngere Leute sind klimasensibel, Nachhaltigkeit ist ihnen wichtig.
Es ist ganz wichtig, dass alle drei Dimensionen in einem Gleichgewicht stehen. Nachhaltigkeit ist nicht nur Ökologie. Aber auch hier sind wir uns der Verantwortung bewusst. Wer beispielsweise mit der Rhätischen Bahn anreist, hat die Fahrtkosten inklusive im Eintrittsticket. Die OKs aller Anlässe in unserem Tal sind sensibilisiert auf die Thematik.
Sie sagen, man müsse noch ein bisschen mehr Aufklärung betreiben und die regionale Einbindung fördern. Gibt es konkrete Initiativen, um die lokale Wirtschaft nachhaltig zu stärken?
Die vielen kleinen OKs im Tal leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Es kommt kein grosser Event-Anbieter, der etwas hinklotzt und dann wieder abzieht. Bei uns funktioniert das von unten nach oben. Für Grossevents stimmen wir uns mit allen Keyplayern ab: mit der Hotellerie, den Bergbahnen, aber auch mit der Politik.
80'000 Besucherinnen und Besucher brauchen Betreuung und wollen bedient werden. Haben wir nicht schon ohne Grossanlässe Mühe, genug Fachkräfte zu finden?
Es ist ein Glücksfall, dass die Freestyle-WM auf die zweite Märzhälfte fällt. So können Hotels offenbleiben, und ihr Personal bis Ostern, also über Mitte April hinaus beschäftigen. Wir bringen mit dem Anlass die Gäste in die Hotels. Somit haben wir eine Win-win-Situation.
Grossanlässe gehören zur DNA des Engadins und von St. Moritz.
Woher kommen all die Fachkräfte?
Das Engadin und St. Moritz sind begehrt, auch bei den Arbeitnehmenden. Wir finden die Arbeitskräfte, die wir brauchen. Das grössere Problem ist: Wo bringen wir sie unter? Da wurde die Politik im Tal aktiv und man will jetzt auch Wohnraum zu schaffen. Nun kommen gesetzliche und raumplanerische Aspekte ins Spiel, die diese Absichten verzögern. Das ist bei uns aktuell ein bisschen die Achillesferse.
Wo sehen Sie das Engadin in 10, vielleicht in 20 Jahren im Kontext von internationalen Events?
Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir für die FIS-Games, die immer zwischen den Olympischen Spielen stattfinden, Interesse bekundet haben. Es laufen aktuell Verhandlungen zwischen FIS und Swiss Ski. Dann sind die X-Games aus Amerika eventuell spannend – neue Formate im Skisport, die ein jüngeres Publikum ansprechen.
Auch die Olympischen Winterspiele 2038 sind wieder Thema.
Es würde uns für die ganze Schweiz freuen, wenn die Olympischen Winterspiele 2038 zustande kämen. Wenn es klappt, sehen wir, was im Engadin möglich ist. Wir sind immer bereit für spannende Anfragen von Grossanlässen. Aber auch hier gilt: Rechtzeitige Einbindung der Bevölkerung und die richtige Kommunikation sind wichtig. Wenn man einfach Grossevents durchführt, ohne den Rückhalt aus der Destination, wird man zum Einzelkämpfer.
Was ist jeweils die grösste Kritik an Grossanlässen?
Ein wichtiger Punkt ist das Geld. Wie viel Steuergelder sollen investiert werden? Wäre die Finanzierung nicht Aufgabe von Sponsoren? Das sind die häufigsten Fragen.
Warum existiert eigentlich über Weihnachten und Neujahr kein Grossanlass?
Da muss man ehrlich sein: Über diese Tage haben wir genügend Gäste. Wenn ich sehe, welche Flut an Veranstaltungen wir im Tal haben, die sich teilweise gegenseitig konkurrenziert, wäre eine Bereinigung sicher nicht schlecht. Am wichtigsten ist es, dass die einheimische Bevölkerung und die Gäste gut aneinander vorbeikommen.
Ist es für Sie denkbar, dass die Region auch ohne regelmässige Grossanlässe erfolgreich sein könnte?
Wir sind mit den Grossanlässen gross und stark geworden. Darauf bauen wir auch künftig. Aber wir wollen auch diversifizieren. Der Sommer wird immer stärker. Wenn es in den Städten zu heiss wird, wird unsere Bergfrische wichtiger. Und dann kommt der goldene Herbst. Wenn wir passende Produkte finden, die uns die Saisons verlängern, haben wir, ein zweites schönes Standbein, an welchem wir auch weiterarbeiten können.