Ende November 2016 hatten die Stimmberechtigten der Kantone Graubünden und Tessin einen Nationalpark rund um das Rheinwaldhorn, den Park Adula, an der Urne verworfen.
Das Scheitern dieses ehrgeizigen Projekts, das während vieler Jahre vorbereitet worden war, führte schon bald zu dem neuen Projekt, das von der Tessiner Regierung, acht Gemeinden und zwölf Bürgergemeinden, über deren Gebiet sich der Nationalpark erstrecken soll, unterstützt wird.
Die Regeln im Tessiner Nationalpark sollen weniger eng gefasst sein als beim bestehenden Schweizer Nationalpark im Engadin, einem Naturreservat, dessen Unberührtheit streng kontrolliert wird.
Der Nationalpark soll aus einer Kernzone und einer Umgebungszone bestehen. Der Durchmesser des Nationalparks verläuft über mehrere Klimazonen von den Brissago-Inseln auf 193 Metern bis zum 2864 Meter hohen Wandfluhhorn oberhalb von Bosco Gurin. Die schwach besiedelten und stets von Abwanderung bedrohten Täler Onsernone und Centovalli stellen das eigentliche Zentrum des Parks dar.
Aggressiver Ton
Im Gegensatz zum Nationalparkprojekt Adula, das bereits vor dem Scheitern an der Urne von einigen Gemeinden abgelehnt worden war, stehen im Locarnese alle beteiligten Gemeinden und Bürgergemeinden offiziell hinter dem Projekt.
«Es ist gut für die Natur und die Umwelt, aber auch für die Dörfer und Talschaften, denn es gibt ihnen eine Zukunft», sagt Elvio Della Giacoma, Gemeindepräsident von Brissago. Doch kürzlich musste Della Giacoma an einer Gemeindeversammlung, in der es um den Park ging, Befürworter und Gegner zur Ordnung rufen. «Der Ton ist momentan aggressiv und gehässig», sagte er.
CVP-Nationalrat Fabio Regazzi ist ein Gegner des Projekts. Er vertritt die Mehrheit der Jäger, die das Jagd-Verbot in den Kernzonen und auch andere geplante Restriktionen bekämpfen. Befürchtet wird, dass das Jagdverbot ausgedehnt werden könnte. Für ihn gibt es auch noch finanzielle und verwaltungstechnische Aspekte, die geklärt werden müssten.
Park-Charta für zehn Jahre
Abgestimmt wird am 10. Juni über die Park-Charta, eine Art Businessplan für die ersten zehn Jahre. Für die Kernzone, die 28 Prozent der Gesamtfläche von 218 Quadratkilometern umfasst, gibt es gesetzliche Restriktionen, damit sich die Natur dort frei entwickeln kann. Schon jetzt sind diese Zonen praktisch ungenutzt und verwildert.
Die Kernzone kann zwar nur auf vorgeschriebenen Wegen begangen werden, Hunde an der Leine sind jedoch erlaubt. Die Belieferung von Berghütten mit Helikoptern oder Rettungseinsätze durch die Rettungsflugwacht bleiben weiterhin möglich. Die Jagd ist grundsätzlich verboten, kann aber in Sonderfällen erlaubt werden, etwa um die Zahl von Wildschweinen zu reduzieren. (sda/npa)
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