Marijana Jakic, Ihr Name lässt nicht vermuten, dass Sie in St. Moritz aufgewachsen sind.
Sie meinen, weil ich nicht Crameri oder Rogantini heisse?

Genau.
Das kommt daher, dass meine Eltern aus Kroatien stammen.

Erzählen Sie Ihre Geschichte.
Mein Vater fand in den 1970er-Jahren Arbeit in St. Moritz. Meine Mutter, meine beiden Geschwister und ich lebten anfangs noch in Kroatien.

Wo arbeitete Ihr Vater?
Im legendären Dracula Club, der kurz zuvor von Jetsetter Gunter Sachs eröffnet worden war. Mein Vater war dort Garderobier.

Ich kenne kein Tourismusprodukt, das durch Top-down-Einführung Erfolg hatte.

Das hört sich nach einer typischen Gastarbeiterbiografie an. Sind Ihre Eltern nach der Pensionierung nach Kroatien zurückgekehrt?
Ja. Nach der Pensionierung 2018 kehrten sie wieder zurück. Sie hatten den trügerischen Gedanken, dass sie dort glücklich alt werden würden, weil sie dort alles kennen.

Wie sieht die Realität aus?
Die Zeit ist auch in ihrer Heimat nicht stillgestanden. Meine Eltern müssen sich neu orientieren. Sie vermissen die Schweiz, und insbesondere meine Mutter vermisst ihre drei Kinder. Wir leben alle in der Schweiz.

Dies oder das?
Champagner oder Bernina-Bier?
Palü-Bier auf der «Hauser»-Terrasse im Sommer. Einen Bellini in der Renaissance-Bar im «Badrutt’s Palace». Und wenn Champagner, dann kein Massenprodukt, sondern ein auserlesener Blanc de Blancs.

Aretha Franklin oder Taylor Swift?
Eindeutig Aretha Franklin!

Moncler oder Patagonia? 
Mein Kleiderschrank ist sehr viel unkonventioneller, lebendiger und bunter.

Tradition oder Innovation?
Beides. Die Tradition gibt mir Halt und Substanz. Die Innovation stillt meine Neugier.

Lesen oder segeln?
Kurz-Segelausflüge mit Freunden und Familie zwischen Nordsardinien und Südkorsika.

Sie kamen als Elfjährige nach St. Moritz. Erinnern Sie sich an Ihr erstes Bild des Engadin?
In Kroatien lebten wir auf dem Gebiet des ehemaligen Pannonischen Meeres, das heute von der Save durchflossen wird. Es ist ein flaches, weites Land mit Blick über endlose Weizenfelder bis zum Horizont. Als ich ins Engadin kam, war der Anblick der schroffen Berge etwas einschüchternd. Ich hatte damals das Gefühl, sie würden meine Gedanken blockieren.

Vor sechs Jahren kehrten Sie nach vielen Jahren in Zürich ins beschauliche Engadin zurück. Hat sich Ihr Verhältnis zu den Bergen inzwischen verändert?
In der Tat. Mein Gefühl ist heute genau umgekehrt. In den Bergen fühle ich mich zu Hause, auf den Graten finde ich Orientierung und Halt.

Wann wurde Ihnen bewusst, wie mondän St. Moritz ist?
Das kam erst später, als ich als Jugendliche mit meinen Freunden in den Ausgang ging.

Ihre Karriere war international. Können Sie etwas über Ihre letzte Station erzählen?
Nach 13 Jahren in der Finanzwelt bekleidete ich bei GAM Investments die Position als weltweite Markenchefin. Irgendwann hätte ich in dieser Kaderfunktion nach London ziehen müssen.

Was gab den Ausschlag, stattdessen ins Bergdorf zurückzukehren?
Als das Angebot eintraf, als Brand Manager für die Destination zu arbeiten, musste ich nicht lange überlegen. Es reizte mich, an den Ort zurückzukehren, dem ich so viel zu verdanken habe und mit dem ich emotional verbunden bin. Dazu kommt die Lebensqualität im Oberengadin, die wirklich einmalig ist.

Welche Gemeinsamkeiten haben der Finanzsektor und eine Tourismusregion wie St. Moritz?
Bei Banken – wie übrigens auch bei Premiummarken – sind die Strategien strukturiert und international ausgerichtet. Dies auf eine Tourismusdestination zu übertragen und damit die Zukunft von St. Moritz zu gestalten, finde ich eine unglaublich spannende Herausforderung.

St. Moritz stand, was die Logiernächte betrifft, schon besser da als heute. Sie liegen 9 Prozent unter dem Wertvon vor der Finanzkrise im Jahr 2008.
Diese Aussage ist deshalb nicht korrekt, weil die Jahre 2008 und 2024 nicht eins zu eins verglichen werden können. Seit den frühen 2000er-Jahren sank das Bettenangebot in St. Moritz nämlich um mehrere Hundert Betten. Es gibt heute 450 bis 1000 Betten weniger als vor der Finanzkrise. Dies hat sich entsprechend in den Logiernächte­statistiken niedergeschlagen.

Wir achten darauf, dass die Events zur Entwicklung der Destination und der Einheimischen beitragen.

Weshalb gibt es heute weniger Hotelbetten?
Weil die Ertragslage in der Hotellerie im Verhältnis zu anderen Geschäftsmodellen wie zum Beispiel Immobilien tief ist, der Aufwand aber gross, haben Hoteliers Alternativen gesucht, besonders bei Generationenwechseln. Deshalb wurden einige Hotels in Zweitwohnungen umgebaut, deren Verkauf um einiges lukrativer ist als das Betreiben von Hotels. Auch ist die Individualität der Gäste grösser geworden. Um mehr Komfort und Platz zu bieten, legt man bei Umbauten mehrere Zimmer zusammen. Dadurch gehen Betten verloren, und das wirkt sich wiederum auf die Logiernächtezahlen aus.

Steigen die Bettenzahlen wieder?
Seit ein paar Jahren, ja. Aktuell blicken wir auf eine Rekord-Wintersaison zurück. Die Logiernächte lagen nicht nur 3,95 Prozent über dem Vorjahr, sondern auch über dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre.

Seit vergangenem Jahr sind Sie CEO der neu gegründeten St. Moritz Tourismus AG. Sie haben als Erstes einen 5-Jahres-Plan ausgearbeitet, mit dem Ziel, die Saison zu verlängern. Weshalb?
Weil wir in der Zwischensaison nicht ausgelastet sind und in der Hochsaison an unsere Grenzen stossen. Das grosse Verkehrsaufkommen wird zum Problem, und wir können unsere hohe Servicequalität irgendwann nicht mehr garantieren, weil zusätzlich zu den Übernachtungsgästen viele unangemeldete Tagestouristen das Dorf besuchen und die Dienstleister an ihre Grenzen bringen.

Ein Luxusproblem. Wie können Sie dem begegnen?
Als Erstes haben wir analysiert, was diese Gäste motiviert, uns mitten in der Hochsaison, beispielsweise am 26. Dezember, zu besuchen. Wir haben herausgefunden, dass für den Grossteil dieser Gäste St. Moritz ganz einfach auf der Bucketlist steht. Es sind auch Feriengäste aus den USA, die mit einem Pauschalrundreiseticket ab Milano über Como anreisen. Am Abend kehren sie wieder nach Mailand zurück. Es ist schade, dass die Reiseanbieter nicht mit uns in Kontakt treten.

Wie haben Sie reagiert?
Wir haben mit den Reiseanbietern Kontakt aufgenommen. Wir wollen dieses Angebot beziehungsweise die Reisenden besser leiten und begleiten. Wir möchten die Reisenden registrieren, damit wir erfahren, wann und woher sie kommen. Und wir möchten ihnen auch Reise­zeiten ausserhalb der Spitzen vorschlagen. Wir bieten zudem einen digitalen Gastro- und Shoppingführer mit Öffnungszeiten und Angeboten. So können die Gäste das Dorf zielgerichteter erleben. Zusätzlich erklärt ein persönlicher Guide Wissenswertes über St. Moritz, seine Bevölkerung und unsere Geschichte.

Wenn man aber einmal hinter die Kulissen blickt, lernt man ein neues St. Moritz kennen, ein vielfältiges.

Weshalb betreiben Sie diesen grossen Aufwand?
Wir möchten die Reiseströme nicht nur lenken, sondern auch die Chance ergreifen, diese Gäste an uns zu binden. Wenn sie ein positives Erlebnis haben, werden sie uns wieder besuchen, um dann auch länger zu bleiben.

Ist das nicht etwas Wunschdenken?
Nein. Amerikaner lieben die Schweiz und ihre Berge. Nur müssen wir – wie andere Destinationen auch – beginnen, die Besucherströme zu leiten.

Bei der Verlängerung der Saison setzen Sie auf die Karte Events und Partnerschaften. Weshalb?
Weil wir damit die gewünschten Zielgruppen bewusst ansprechen können. Für uns ist die konsequente Weiterverfolgung der Ausrichtung von St. Moritz als Premiummarke wichtig. Wir arbeiten deshalb mit denselben Ansätzen wie beispielsweise die Consumer-Premium-Brands.

Was ist das übergeordnete Ziel?
Alle unsere Aktivitäten für St. Moritz haben einen nachhaltigen Ansatz. Und das, was wir tun, ist auf Langfristigkeit ausgerichtet. Der Kern unserer Marke soll auf jeden Fall erhalten bleiben. Doch wir haben angefangen, ihn zu schärfen und behutsam zu modernisieren. Deshalb interpretieren wir unsere Tradition heute ganz im Sinn des legendären St. Moritzer Pioniergeistes, aber auf moderne Art und Weise. Unser oberstes Ziel besteht darin, St. Moritz einer jüngeren Generation zugänglich und begehrlich zu machen.

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Gibt es bereits erste Erfolge?
Wir konnten passende und spannende Marken­kooperationen abschliessen und Events nach St. Moritz holen. Diese Partner generieren Synergien, tragen den Spirit von St. Moritz in die Welt hinaus und sorgen für Wiedererkennungswert bei für uns wichtigen potenziellen Lifestyle-affinen Gästen.

Ein konkretes Beispiel?
Es entsteht Neues in St. Moritz. Etwa das St. Moritz Art Film Festival Smaff oder das Health & Longe­vity Forum.

Welche Ziele haben Sie damit erreicht?
Wir können zeigen, dass wir mehr sind als White Turf und Snow Polo. Mit den neuen Events ziehen wir ein neues Publikum ausserhalb der Saison an. Es trägt zur Diversifizierung der Marke bei.

St. Moritz geriet letzten Winter wegen einer exklusiven Modeschau in die Kritik, weil sie in einem Stück Wald stattfand, wo sich Wildtiere im Winter zurückziehen. Wie haben Sie das erlebt?
Die Moncler-Modeschau hatte eine weltweite Ausstrahlung, speziell auch in den sozialen Medien, und erreichte dadurch Millionen potenzieller neuer Gäste. Insbesondere auch in der von uns anvisierten jüngeren Zielgruppe, die durch konventionelle Werbemassnahmen schwer zu erreichen ist.

Die Moncler-Modeschau erreichte Millionen potenzieller neuer Gäste.

Darf der Tourismus alles, nur um des Wachstums willen?
Gemäss unserer Strategie streben wir die touristische Weiterentwicklung an und möchten die Begehrlichkeit von St. Moritz als Premium­destination der Alpen steigern. Dabei helfen uns solche Events mit internationaler Ausrichtung.

Würden Sie heute wieder so entscheiden?
Ja.

Welchen internationalen Event möchten Sie unbedingt noch nach St. Moritz holen?
Wir haben schon etwas gefunden, aber da die Verträge noch nicht unterschrieben sind, kann ich noch nicht konkret werden. Was ich mir sehr wünschen würde, wäre eine mutige und gewagte Veranstaltung wie Burning Man oder eine  klassische wie die Biennale in Venedig.

Mit welchen Key Performance Indicators messen Sie den Erfolg der Events?
Es gibt einige: Wertschöpfung, Logiernächte, Teilnehmerzahl, Zuschauer, Spending per Capita, sozialer Einfluss. Auch die Kommunikationsstärke ist ein wichtiger Faktor: Wie wird die Veranstaltung von den Medien wahrgenommen, und welche Reichweite hat sie?

Ich habe gehört, Sie überprüfen die Ziele nicht nur mit Statistiken, sondern machen jeweils auch einen Lobby-Check.
(lacht) Man darf den Lobby-Check nicht allzu ernst nehmen ... In der Weihnachtszeit besuche ich seit vielen Jahren immer zur gleichen Zeit am gleichen Datum die Lobbys unserer 3-, 4- und 5-Sterne-Hotels, um zu erfahren, wer unsere Gäste sind. Vor sieben Jahren sassen da vor allem ältere Damen und Herren, die Bridge spielten. Inzwischen hat sich das verändert. Es hat eine Diversifikation stattgefunden, die Gäste sind jünger und vielfältiger geworden.

Welche Rolle spielen die Einheimischen bei der Wahl eines Events?
Wir achten darauf, dass er zur Entwicklung der Destination und der Einheimischen beiträgt. Wir möchten, dass ein Know-how-Transfer vom Event zur lokalen Bevölkerung stattfindet. Hier nenne ich gerne die Bobbahn, welche 1904 gebaut wurde, als Beispiel. Man hat damals darüber gestritten, ob St. Moritz so eine verrückte Bobbahn braucht. Auf der ältesten Bobbahn der Welt trainieren heute einheimische Skeleton- und Bobfahrer und nehmen an internationalen Wettkämpfen teil. Dieser Sport ist heute identitätsstiftend, auch für Einheimische. Auch Grossprojekte, die damals vor allem für die Aristokratie realisiert wurden, bieten der lokalen Bevölkerung heute immer auch einen Mehrwert.

Wie gelingt es Ihnen, die einheimische Bevölkerung mit der Glamour-Welt zu verbinden?
Es ist eine schöne Welt. Keine Glamour-Welt. Wir verfolgen den Ansatz, dass wir den Gästen nicht nur die Bühne zeigen, sondern auch das, was hinter den Kulissen läuft. Am Open Doors Ende Juni liessen wir Gäste beispielsweise hinter die Kulissen blicken. Darunter befanden sich Sportanlagen, Museen, aber auch Hotels und mehr. Oder beim Festival da Jazz gibt es mehrere Gratiskonzerte, die Einheimische und Gäste besuchen können.

Sie räumen also mit den gängigen Klischees Pelz, Champagner und Glamour auf?
Nicht aufräumen, sondern die Realität zeigen. Viele Gäste, die St. Moritz nur aus einer Lifestyle-Sendung in einem deutschen Privat-TV kennen und noch nie in St. Moritz waren, werden mit Klischees bedient. Sie haben Respekt, wenn nicht sogar Vorurteile gegenüber dem weltbekannten Kurort. Wenn man aber einmal hinter die Kulissen blickt, lernt man ein neues, vielfältiges St. Moritz kennen.

Wie gelingt das?
Zusätzlich zu neuen Events und Angeboten machen wir eine Markenkampagne mit dem Namen Shakers and Makers. Wir erzählen zuerst die Geschichte eines Musikers aus St. Moritz und eines Zimmermädchens des «Suvretta House». Indem wir ihre Persönlichkeit und ihre Arbeit zeigen, inkludieren wir die Einheimischen nicht nur, sondern nehmen sie in der Kommunikation mit. Das stiftet Identifikation. Diese Kampagne ist auf mehrere Jahre ausgelegt.

Die Bedürfnisse von Tourismus und lokaler Bevölkerung driften teilweise auseinander. Wie holen Sie sie ins Boot?
Wir sind dauernd im Austausch. Politik, Hotellerie, Bergbahnen, Parahotellerie, Eventveranstalter und weitere waren Teil des Strategieprozesses. Zusätzlich haben wir periodische Meetings. Ich kenne kein Tourismusprodukt, das durch Top-down-Einführung Erfolg hatte. Mit Motivation und Engagement durch Anziehungskraft und Inspiration erreichen wir viel mehr als mit Druck oder Zwang. Tourismusmanagement ist Next Level Leadership. Am besten sind kleine Projekte, die von Willigen angestossen werden, Wurzeln schlagen und über die Jahre zu einem Event oder Produkt heranwachsen, das nicht mehr wegzudenken ist.

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Strategisch gesehen sind die Hausaufgaben gemacht. Aber wie holen Sie den einfachen Bürger ab?
Im direkten Austausch. Die Begegnungen finden auf der Strasse statt, beim Einkaufen oder im Café. Dafür nehme ich mir immer Zeit. Es gibt auch weitere Botschafter und die Mitarbeitenden von St. Moritz Tourismus.

Welche Rolle spielen Hotels und andere Unterkünfte bei der Saisonverlängerung?
Sie spielen eine wichtige Rolle und bilden das Rückgrat der Strategie zur Saisonverlängerung. Denn ohne Unterkünfte können keine Events stattfinden, und wir können geplante Mass­nahmen nicht umsetzen.

Oft ist die Rentabilität in den einzelnen Gastbetrieben in der Zwischensaison nicht gegeben. Weshalb sollten sie trotzdem offen haben?
Die verlängerten Öffnungszeiten grosser Infrastrukturen und Betriebe sind mit sehr hohen Kosten verbunden. Damit sich die längeren Betriebszeiten lohnen, muss die Auslastung entsprechend hoch ausfallen. Für manche, die über eine umfassende Infrastruktur und vielfältige Angebote verfügen, werden die längeren Saisons ein neues Geschäftsmodell sein, und wir gehen deshalb davon aus, dass künftig weitere Betriebe durchgehend geöffnet haben werden.

Traditionell nutzen die Leistungsträger die Zwischensaisons, um den Mitarbeitenden Ferien zu geben, zu entspannen, die Infrastruktur zu unterhalten, Neubauten zu tätigen und Produkte zu innovieren. Wie passt dieses Bedürfnis mit dem Anspruch nach einer verlängerten Saison zusammen?
Dafür bleibt im Frühling Zeit. Von Juni bis März aber möchten wir offen sein, also zu einer Dreiviertel­jahres-Destination wachsen. Dazu haben wir in St. Moritz und im Engadin sowohl die nötige Infrastruktur wie auch das Potenzial. Unser Ziel ist es, jede Saison bestmöglich auszulasten. Gerade die Herbstsaison ist bei uns durch die gelben Lärchenwälder, die Sonnentage und die klare Luft einmalig, und das möchten unsere Partner mit ihren Bemühungen bewusst unterstreichen.[RELATED]

Das erfordert aber eine komplett neue Planung der Mitarbeitenden.
Wir schaffen so attraktivere Arbeitsbedingungen: Anstelle von Saisonverträgen können die Leistungsträger Jahresverträge anbieten. Dies würde uns angesichts des Fachkräftemangels einen grossen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt verschaffen. Ferien müssen wie in städtischen Betrieben auch während der Öffnungszeiten möglich sein.

Welche Produkte könnten Gäste auch im Oktober in ein 5-Sterne-Haus ziehen?
Wir müssen hier auf Themen und Geschäftsfelder setzen, die ganzjährig möglich sind – unabhängig von Wetter und Saison. Dies können zum Beispiel Kultur- und Wellbeing-Angebote sein oder Events und Konferenzen.

Kommen wir noch zur Huhn-oder-Ei-Frage: Wer soll mit der Saisonverlängerung beginnen, die Hoteliers oder die Bergbahnen?
Die Hoteliers haben bereits mit der Saisonverlängerung begonnen. Es gibt bereits diverse Hotels im 3- und 4-Sterne-Bereich sowie Restaurants in St. Moritz und im Engadin, die ganzjährig geöffnet sind. Mittlerweile zieht auch die 5-Sterne-Hotellerie vermehrt mit: Das Hotel Grace La Margna hat zum Beispiel ganzjährig geöffnet und das Grand Hotel Kronenhof in Pontresina ist bis auf eine Pause im Frühling ebenfalls das ganze Jahr über offen.

Kann eine Bergdestination in der Zwischensaison auch ohne grosse Player wie die Bergbahnen performen?
Es kommt auf das Businessmodell an. Wenn man Angebote mit Yoga und Waldbaden macht, dann braucht es keine Bergbahn. Aber wenn es ums Wandern oder Schneeschuhlaufen geht, dann geht es nicht ohne sie. Man muss hier einfach im Austausch bleiben und abwägen, was finanziell Sinn macht.

Gibt es einen Leistungsauftrag der Gemeinde an die Bergbahnen, wie man es in Gstaad kennt?
Nein, das brauchte es bisher nicht. Die beiden Bergbahngesellschaften halten den Betrieb schon jetzt im Herbst so lange wie möglich aufrecht. Zwar steht nicht das ganze Angebot zur Verfügung, aber eine Bahn fährt immer.

Und im Frühling?
Aus meiner Sicht macht es keinen Sinn, die Bahnen im Frühling durchgehend offen zu halten. Auf unserer Höhe ruht die Natur dann. Der letzte  Schnee ist im Mai noch nicht ganz weg, und die Frühlingsblumen blühen noch nicht.

Welche Kategorie von Hotels eignet sich am meisten für die Zwischensaison?
Es kommt auf den Angebotsmix an. 3-, 4- und 5-Sterne Hotels sind ebenso gefragt wie eine Ferienwohnung oder Jugendherberge.

Muss ein Dorf auch mal durchatmen?
Es kommt darauf an, wen man fragt. Junge Leute würden antworten, dass St. Moritz das nicht braucht. Wenn die Strassen im Mai leer gefegt sind, weil alle in den Ferien sind, finden es die Zurückgebliebenen recht öde. Ältere Leute hingegen sagen, dass ihnen die Ruhe guttue. Aus touristischer Sicht macht die Ruhepause im Mai Sinn. Man geht in die Ferien, unterhält die Häuser und baut um.

Und wo werden Sie sich als Nächstes erholen?
Unter dem Jahr in St. Moritz. Nach jeder Geschäftsreise fällt mir wieder auf, wie schön es ist. Es hat tatsächlich diesen Heile-Welt-Charakter. Im Mai spanne ich wie fast alle St. Moritzer ein paar Wochen aus. Dann fahre ich in mein zweites Zuhause nach Sardinien, wo ich ein einfaches Granithäuschen aus dem Jahr 1904 besitze. Eine ehemalige Schneiderei.

Zur Person
Marijana Jakic (* 1978) ist CEO der St. Moritz Tourismus AG. St. Moritz ist für sie in ihrer heutigen Rolle Arbeit und Berufung zugleich. Unter dem Leitsatz «people shape brands» setzt sie auf langfristige touristische Entwicklung, Zukunftssicherung, Markenentwicklung und Markenführung, erweitert die Zielgruppen und spricht die «neuen St. Moritzer Generationen» an. Zuvor arbeitete sie in Management­positionen im Bankensektor in Zürich und London. Marijana Jakic spricht bereits fünf Sprachen, zurzeit lernt sie zusätzlich Spanisch. Die Mutter eines 15-jährigen Sohnes lebt nach dem Prinzip der Authentizität.