Von Annette Reuther, dpa
Enge Treppen führen hinunter in die Sixtinische Kapelle. Normalerweise stauen sich davor Tausende Menschen, Kameras kontrollieren das Gedränge. Die Vatikanischen Museen sind nicht nur berühmt für die Kapelle mit Michelangelos Deckenfresko, in der die Papstwahl stattfindet, und für Raffaels Stanzen. Sie sind auch bekannt für Gedränge, Massenansturm, stundenlanges Warten vor dem Eingang und viel zu grosse Touristengruppen aus aller Welt, die den Museumsgenuss vergällen.
Seit Corona ist alles anders. Die Museen unweit des Petersplatzes schlossen Anfang März. Als ganz Italien in die Isolation geschickt wurde, weil in der Lombardei und in Norditalien so viele Menschen starben, dass man nicht mehr wusste, wohin mit den Leichen. Am 1. Juni ist also für Rom und den Tourismus so etwas wie ein Tag der Wiederauferstehung, wenn auch nur symbolisch: Die Vatikanischen Museen öffnen wieder. Und auch das Kolosseum. Der Unterschied bei dem Besuch wird sein: Zwei der weltweit bekanntesten Attraktionen werden vergleichsweise leer sein.
«Es ist wahrscheinlich die beste Zeit, um herzukommen», sagte die Direktorin der Vatikanischen Museen, Barbara Jatta, bei einer Vorabbesichtigung. Vergangenes Jahr kamen etwa 6,7 Millionen Menschen, damit gehören die Museen zu den meistbesuchten der Welt.
Pro Tag drücken sich normalerweise bis zu 27'000 Menschen durch die prachtvollen Hallen. Nach der Wiedereröffnung am Montag erwartet Jatta keinen Ansturm. Schliesslich sind Italiens Grenzen noch bis 3. Juni dicht, und auch danach wird sich der internationale Tourismus nicht schnell erholen. In der Galleria Borghese seien in den ersten drei Tagen nach der Öffnung insgesamt nur 100 Menschen gekommen, sagte Jatta. In Pompeji kamen auch nur wenige Besucher nach der Wiedereröffnung.
Etwa 90 Prozent der Besucher der Vatikanischen Museen kommen aus dem Ausland. «Es ist eine Chance auch für die Römer, für die Italiener, die Schönheit ihres Landes wiederzuentdecken», sagte Jatta. Während der Schliessung waren dafür die Restauratoren in der Sala di Costantino (Saal des Konstantins) besonders eifrig an der Arbeit, wo Raffaels Werk gesäubert wird.
Beim Eintritt ins Museum müssen Besucher einen Thermoscanner passieren, Desinfektionsmittel steht bereit, und Masken sind Pflicht. Auch ist eine Reservierung obligatorisch, Gruppen dürfen maximal zehn Personen stark sein. Dafür entfällt die Gebühr für die Vorabbuchung: Der Eintritt kostet dann 17 statt 21 Euro.
Doch die Schönheit alleine zu geniessen, mag für Besucher toll sein – für den Vatikanstaat ist es eine Katastrophe. Dieser lebt zum grossen Teil aus den Einnahmen der Museen. Und die Gehälter von rund 800 Mitarbeitern des Museums müssen weiter bezahlt werden.
Der Wirtschaftschef des Heiligen Stuhles, Juan Antonio Guerrero Alves, geht davon aus, dass die Erholung nur langsam voranschreiten wird, wie er in einem Interview sagte. Von einem Bankrott des Vatikans in der Coronakrise durch wegbrechende Einnahmen auch durch Spenden, wie er manchmal prophezeit wird, will er allerdings nicht reden.
Wie dramatisch die fehlenden Touristenmassen für ganz Rom und andere Kunststädte wie Venedig oder Florenz sind, wird bei einem Schritt vor die Tür der Vatikanischen Museen klar. Dort hängt an einem – jetzt geschlossenen – Café, das sich normalerweise nicht vor durstigen und hungrigen Gästen retten kann, ein Schild: «Ohne die Hilfe der Regierung können wir nicht wiedereröffnen. Tausende Jobs sind in Gefahr.» Viele Restaurants im historischen Zentrum von Rom sind noch zu oder nur spärlich besetzt.
29 Millionen Übernachtungen hat Rom im letzten Jahr gezählt. Wäre die jetzige Touristenebbe für viele Menschen nicht der finanzielle Ruin und für die Stadt ein wirtschaftliches Desaster, könnte man
sagen: Rom war noch nie so schön wie jetzt.
Auch vor dem Kolosseum stauen sich normalerweise Menschen von früh bis spät. Ständig drehte sich das Gespräch darum, wie man die Massen in den Griff bekommen könnte. Seit Corona sind das vergangene Zeiten.
Am Montag öffnet nun auch das antike Amphitheater wieder. Es seien «schwierige Monate» für die archäologische Anlage gewesen, «gehüllt in eine surreale Stille, die schwer zu akzeptieren ist», erklärt die Verwaltung. «Plötzlich wurde die tägliche, vitale und lebendige Beziehung zu einem internationalen Publikum unterbrochen, für eine Zeit, die unendlich lang schien.» Mit einem reduzierten Nachmittagsticket wollen die Verantwortlichen nun die Römer, die nach der Arbeit kommen könnten, für ihr bekanntestes Bauwerk begeistern.
Denn bis asiatische Grossgruppen, die das Kolosseum normalerweise stürmen, zurückkommen, kann es dauern. Kulturminister Dario Franceschini appelliert deshalb immer wieder an die europäische Solidarität und verspricht, dass Gelder aus dem EU-Aufbaufonds auch in alle Bereiche der Kultur fliessen sollen. Die Uffizien in Florenz zum Beispiel bezifferten die Verluste durch die Monate der Komplettschliessung auf zwölf Millionen. Der Bürgermeister von Florenz sucht nun im Ausland Mäzene, um die riesigen Einbussen für die gesamte Stadt abzufangen. Nun liegen nicht nur lange und schwierige Monate hinter Italiens Kulturwelt, es liegt vor allem eine lange schwierige Zeit vor ihr. (sda/dpa)