Der digitale und der nachhaltige Wandel geben auch im Tourismus den Takt an. Um politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen beide Entwicklungen parallel, als «Twin Transformation», verfolgt werden. Digitalisierung und Nachhaltigkeit stehen in enger Abhängigkeit zueinander: Die Datenverarbeitung verbraucht grosse Mengen an Energie, was direkt mit dem Klima zusammenhängt.

Zugleich bieten digitale Innovationen Werkzeuge, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Nur wenn Unternehmen und Betriebe die digitale und die Nachhaltigkeitsagenda zusammenbringen, gelingt der Durchbruch, um die digitale Funktion zu verbessern, Nachhaltigkeitsziele voranzutreiben und ihre Organisationen zukunftssicher zu machen. [RELATED]

Soziale Ebene kaum beachtet
«Twin Transformation» birgt Wettbewerbschancen und Innovationspotenzial. Eine Ebene, die in der Diskussion aber oft vergessen geht, ist der soziale Aspekt der Nachhaltigkeit. Für Birgit Bosio, Lektorin am MCI Tourismus, der unternehmerischen Hochschule in Innsbruck, darf er nicht weiter vernachlässigt werden.

«Für die ‹Twin Transformation› braucht es Menschen und ein respektvolles Miteinander, ohne dass jemand ausgegrenzt oder diskriminiert wird», sagt Bosio und liefert das Stichwort Diversity. Während dies viele Branchen erkannt hätten, fehle im Tourismus noch das nötige Bewusstsein dafür. «Ohne Menschen kein Tourismus. Gerade auch der Fachkräftemangel rückt das Thema Diversität in den Vordergrund. Wir haben immer mehr Fachkräfte aus dem Ausland, müssen mehr Frauen beschäftigen, aber auch ältere Menschen sinnvoll im Arbeitsmarkt halten.»

Um das Thema im Tourismus weiter zu schärfen, hofft das MCI gemeinsam mit weiteren Partnerinstitutionen aus Südtirol, Bayern und Slowenien aktuell auf eine Projektförderung durch Cosme, das EU-Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für KMU.

Viel Potenzial beider Gleichstellungsfrage
Laut Bosio lässt der Tourismus bei der Gleichstellungsfrage viel Potenzial liegen. Frauen hätten nach wie vor nicht dieselben Karrierechancen wie Männer. Gemäss dem «Sustainable Development Goals Report 2023» wird es bei der aktuellen Entwicklung wohl noch 286 Jahre dauern, bis diskriminierende Gesetze für Frauen international abgeschafft sind, 40 Jahre, bis Frauen in Führungspositionen gleich stark vertreten sind wie Männer, und 47 Jahre, bis Frauen und Männer in Parlamenten gleichwertig vertreten sind. Birgit Bosio: «Das zeigt, dass es für Frauen – gerade auch im alpinen Tourismus – nach wie vor sehr grosse Hürden gibt, Karriere zu machen.»

Ähnlich verhalte es sich mit Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu zählen in der Schweiz rund 40 Prozent der Bevölkerung, 2,95 Millionen Menschen (BFS 2022). Laut Bosio fehlen für diese potenziellen Talente, trotz einiger Vorzeigebetriebe, nach wie vor die Voraussetzungen, damit sie im Tourismus beruflich Fuss fassen können. Dasselbe gelte auch im Bereich der Integration von Menschen mit Behinderungen oder von älteren Menschen und bilde sich im Tourismus auch bei den Gästeangeboten ab.

Ohne Menschen kein Tourismus. Der Fachkräftemangel rückt das Thema Diversität in den Vordergrund.
Birgit Bosio, Lektorin MCI Tourismus Innsbruck

Höhere Resilienz, mehr Agilität
Bosio stellt den ganzheitlichen Lösungsansatz in den Raum. Dieser beginne bereits bei der Bildung der jungen Generation in Schulen und führe über die tertiäre Ausbildung hin zu lebenslangem Lernen. Die Politik müsse die richtigen Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, und es brauche einen Wirtschaftssektor, der das unausgeschöpfte Potenzial im Arbeitsmarkt sehe und entsprechend handle. Dieses ist gemäss einer internationalen McKinsey-Studie mit 1000 Unternehmen unbestritten: Geschlechtergerechtere Unternehmen performten im Hinblick auf ihre Rentabilität und langfristige Wertschöpfung um 25 Prozent besser.

Ebenso verhielt es sich bei ethnisch-diversen Unternehmen, wo der Unterschied sogar bei 36 Prozent lag. «Entscheidend ist für mich die Offenheit für dieses Thema und damit eine grosse Portion Empathie, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können und zu wollen, damit man Diversity in die strategische Unternehmensstrategie aufnehmen kann», so Bosio.

Leitfäden für Diversität
Die Wissenschaft und verschiedene Organisationen liefern Leitfäden, wie man Diversität in Unternehmen besser verankern kann. Für den Tourismus in der Schweiz bietet der Verein Equality4Tourism (siehe Box) relevante Inputs und themenspezifische Veranstaltungen. International verschreibt sich UN Tourism (vormals UNWTO) dem Thema Barrierefreiheit und setzt auch stark auf die Rolle der Frauen im Tourismus.

Die European Travel Commission hat einen Bericht zum LGBTIQA-Reisesegment verfasst, und ein umfangreicher Bericht des World Travel & Tourism Council liefert ausführliche Informationen und Erkenntnisse zu allen Dimensionen der Diversität im Tourismus.

Equality4Tourism lädt zum Round Table
Der Verein Equality4Tourism wurde 2023 gegründet. Gründungsmitglieder sind die Schweizer Jugendherbergen, HotellerieSuisse, Schweiz Tourismus, der Schweizer Reise-Verband, die SBB und die ZFV-Unternehmungen. Das Präsidium hat Janine Bunte, CEO der Schweizer Jugendherbergen, inne. Das Ziel von Equality4Tourism ist es, den Tourismus auf die Zukunft auszurichten und das Potenzial von Arbeitskräften weit über die Geschlechterdiversität hinaus zu erschliessen.

Am 11. Juni lädt Equality4Tourism zum Round Table in die Geschäftsstelle von HotellerieSuisse nach Bern ein. Der Anlass dient Führungspersonen aus tourismusnahen Branchen der Diskussion, Inspiration und Vernetzung. Break-out-Sessions in kleineren Gruppen regen zum vertieften Austausch an. Die Teilnahme ist kostenlos.

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