Effizienz, Produktivität und Profitabilität sind wichtig, natürlich. Sie stehen aber keinesfalls alleine als Erfolgsfaktoren im Zentrum. Stichworte wie Attraktivität, Integration, Sinnhaftigkeit und Erfüllung am Arbeitsplatz haben mindestens denselben Stellenwert beziehungsweise sind dem wirtschaftlichen Erfolg vorgelagert.
Wo Mitarbeitende die Zukunft des Betriebes mitgestalten
Doch wie entsteht für Mitarbeitende Sinnhaftigkeit? Zum Beispiel indem sie nicht nur ausführende Organe sind, sondern mit dem Gast und der Geschäftsleitung auf Augenhöhe interagieren. Anstatt per Powerpoint-Präsentation einstudierte Standards oder aufgesetzte Begrüssungsfloskeln möchten motivierte Fachkräfte ihren eigenen Stil einbringen. Vielleicht ist ein Teammitglied ja ein wahrer Profi in Sachen Berg- oder Mountainbike-Touren? Oder ist im Dorf besonders gut vernetzt? Kann hervorragend und konstruktiv mit Reklamationen umgehen? Interessiert sich stark für Innovationen? Von diesem Talent sowie Know-how können und sollten Betrieb und Gast zwingend profitieren.
Qualifikationen und Leidenschaften Einzelner sollten sogar ganz bewusst in die Unternehmensstrategie integriert werden. Je stärker das Gefühl von Identifikation und Zugehörigkeit, desto höher sind Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft. Wie motivierend wäre es wohl für einen langjährigen Mitarbeiter, wenn er sogar in die Strategieplanung miteinbezogen würde? Dort, wo Mitarbeitende an der Zukunftsgestaltung des Betriebs teilhaben und an einem Ort wirken können, wo gemeinsam Neues geschaffen wird, passiert das sogenannte Work-Life-Blending, das Verschmelzen von beruflicher und privater Motivation. Was kann einem Betrieb Besseres passieren?
Als Arbeitgeber für etwas stehen (nicht für alles)
4-Tage-Woche, keine fixen Wochenstunden, die Arbeitszeit als flexibles Kontingent, Anpassung an individuelle Lebensphasen, Work-Life-Balance – das bieten immer mehr Betriebe im Tourismus, in der Hotellerie und Gastronomie. Und das ist auch gut so. Doch um den Bekanntheitsgrad als Arbeitgeber zu steigern, die eigene Unternehmens-Marke zu schärfen und sich gegenüber den Mitbewerbenden abzugrenzen, braucht es mehr: den Aufbau und die Optimierung eines Employer Brandings. Und dies ist ein ganzheitlicher, fortlaufender Prozess, der niemals stillsteht.
Zentrale Frage: Wie findet man zu einer Positionierung, die das eigene Angebot von anderen unterscheidbar macht? Der Schlüssel liegt dabei nicht nur in der Analyse von Trends, Marktumfeld und Konkurrenz. Entscheidend sind die DNA des Gastgebers und wiederum die persönlichen Stärken seines Teams. Nur wenn die Positionierung auf den Inhaber, die Unternehmensleitung und die langjährigen Mitarbeitenden ausgerichtet ist, kann sie authentisch sein. Eventuell unterscheidet sich die aktuell passende Positionierung – gerade bei Nachfolgen – auch massgeblich von der früheren Ausrichtung des Hauses. Diese Möglichkeit wird leider zu häufig ignoriert. Ebenso wie die Tatsache, dass man sich für eine Positionierung entscheidet und damit gegen eine andere.
Ist der Auftritt jugendlich und witzig, sollte auch ein junges (oder jung gebliebenes), humorvolles Team dahinterstehen.
Wer ein Bikehotel, ein Hundehotel, ein digital ausgerichtetes Zukunftshotel oder ein durch und durch analoges Traditionshotel sein möchte, der muss dies auch mit Haut und Haaren verkörpern – in Sachen Hardware und in Sachen Soft Skills. Dasselbe gilt für all die Werte, für die man laut Website und Firmenphilosophie steht und die über alle Kanäle des Unternehmens, der Stakeholder und idealerweise der Mitarbeitenden und Gäste in die Welt hinausgetragen werden. Ist der Auftritt jugendlich und witzig, sollte auch ein junges (oder jung gebliebenes), humorvolles Team dahinterstehen. Sonst kommen nicht nur die «falschen» Gäste, sondern auch die «falschen» Mitarbeitenden, und es entstehen falsche Erwartungen.
Der Hotelier als Trainer, Coach und Sparringpartner für seine Mitarbeitenden. Das tönt ganz wunderbar. Doch ein Betrieb kann noch so vorbildlich agieren, es nützt wenig, wenn das Drumherum nicht stimmt – sprich: die Attraktivität der Destination. Die Zeiten, da der Tourismusbetrieb die Ersatzfamilie war, man zusammen in den Ausgang, zum Essen und zum Sport ging und damit zufrieden war, sind vorbei. Anspruchsvolle Mitarbeitende erwarten etwas von ihrem Arbeitsumfeld, von ihrem Lebensraum (auf Zeit). Was nützt es einer jungen Fachperson, wenn sie eine spannende Stelle mit 4-Tage-Woche hat, zur Gestaltung der drei freien Tage aber keine oder nur überteuerte Angebote für sie verfügbar sind? Wenn sie aus dem Ausland kommt, es aber kein soziales Umfeld gibt, weil die meisten Arbeitskollegen wegen des fehlenden oder viel zu teuren Wohnraums ausserhalb wohnen?
Möchte ich in dieser Destination arbeiten und leben?
Hier gilt es, das Bewusstsein für die Lebensqualität der Tourismusmitarbeitenden auch auf Destinationsseite zu schärfen, konkrete Projekte zur Steigerung der Attraktivität des Lebensraums zu definieren und die Kommunikation über die DMO zu steuern – und da gibt es bereits sehr gute Beispiele in der Schweiz. Je abgeschiedener die Region, desto zentraler ist diese Aufgabe. Ideal – aber leider nicht selbstverständlich – ist es dabei, wenn Destination und Gemeinde an einem Strick ziehen!
Wir befinden uns aktuell in einer Zeit des Übergangs. Lösungen werden erstellt, getestet und umgesetzt. Doch weil wir zu lange in alten Strukturen verhaftet waren, bedarf es nun einiger Anstrengung, um die Lücken zu schliessen. Dabei hilft auch eine neue Sichtweise auf das Thema Neueinstellungen. Wer kann, sollte Leute anstellen, wenn sie auf dem Markt sind, und nicht erst, wenn sie gebraucht werden. «Always recruiting» lautet das Stichwort. Und wer flexible Modelle nutzt, wird auch hier auf der Gewinnerseite stehen.
Der Autor, Frank Reutlinger, ist Inhaber und Geschäftsführer der Kohl & Partner Schweiz AG. Das international tätige Beratungsunternehmen mit Schwerpunkt im alpinen Raum ist spezialisiert auf die Hotel- und Destinationsentwicklung und verfügt aktuell über ein Netzwerk aus acht Büros in vier Ländern sowie ein Beraterteam von über vierzig Experten.
Frank Reutlinger (53) ist gelernter Koch, Dipl. Hotelier HF/SHL, Betriebsökonom mit einem Executive MBA, amtete in diversen Kaderpositionen in der Gastronomie, der Luxushotellerie und im Tourismus und ist Präsident der Schweizer Jugendherbergen.
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