Bekannte aus der Zürcher Gastroszene haben mir Videos zugespielt, die dokumentieren, was sich in den Ausgehvierteln in der Nacht vom vergangenen Samstag auf den Sonntag tat. Man sieht Folgendes: Nachdem die Gäste wie vom Bund verordnet um Mitternacht aus den Restaurants, Bars und Clubs entfernt wurden, verspürten sie keine grosse Lust, bereits nach Hause zu gehen. Sie stürmten die Billigläden, die von der Sperrstunde nicht betroffen sind, deckten sich dort mit Alkohol ein und standen dann massenhaft in den Gassen herum, umrahmt von den dunklen Fassaden der geschlossenen Lokale. Es ist eine bizarre Szenerie.
Ich verstehe den Frust der Gastronomen. Sie mussten lange im Lockdown ausharren, zeigten dafür Verständnis und schluckten die Kröte, dass zu den ersten Wiedereröffnern ausgerechnet die auf Körpernähe programmierten Tattoo-Studios zählten. (Diesen Entscheid des Bundesrates werde ich wohl nie verstehen.) Dann, am 11. Mai, kam endlich auch das Gastgewerbe zum Zug, aber mit strengen Auflagen, darunter die Einhaltung der Abstandsregel und das Diktat der Polizeistunde, das für manche Betreiber ein vernünftiges Geschäften schier unmöglich macht. Dennoch wurden die Vorgaben, soweit ich es beurteilen kann, vorbildlich umgesetzt und durchgesetzt.
Nur erscheint das immer sinnloser. Denn offensichtlich hat die Mehrheit der Bevölkerung Corona zumindest im Freien und erst recht im Ausgang bereits abgehakt. In einer Lokalität wäre eine gewisse Kontrolle immerhin noch gewährleistet.
Der Bundesrat hat mit seinem Entscheid, die Schweiz in den Lockdown zu schicken, einen konsequenten Entscheid gefällt, der allgemein mitgetragen wurde. Nun, im zweifellos sehr schwierigen Prozess der Lockerung macht er bisweilen den Eindruck, sich im Mikromanagement zu verheddern. Die Sperrstunde ist ein Beispiel für einen realitätsfernen und für viele existenzbedrohenden Entscheid. Wer die Bestimmungen in seinem Betrieb vor Mitternacht durchsetzen kann, schafft dies auch danach.