Das menschliche Auge kann etwa 200 Farbtöne unterscheiden, heisst es auf der Website der Universität Mannheim – und für jeden dieser Töne gibt es 500 unterscheidbare Helligkeitsstufen. Berücksichtigt man zusätzlich die möglichen Aufhellungen durch den Weissanteil im Farbton, ergibt sich eine Gesamtzahl von rund 20 Millionen Farben.

Kein Wunder, dass man bei der Farbauswahl oft verunsichert ist oder in den falschen Farbtopf greift. Dabei können Farben, richtig eingesetzt, viel mehr als nur schön aussehen: Passende Farbkombinationen oder Nuancen wecken Wohlgefühle, schaffen entspannende Atmosphären und Gemütlichkeit oder erzeugen aufregende Emotionen und Wow-Effekte.

Ob fein nuanciert oder frech und knallig in Szene gesetzt – wenn man weiss, was man damit erreichen will, ist der Grundstein für die weitere Planung gelegt. Wichtig ist, die Farben von Anfang an mit einzubeziehen, sei es als festes Element oder als Highlight in Form von Textilien, Dekoration oder mobilen Elementen.

Gezielte Farbauswahl: Kleine Anpassungen, grosse Wirkung
Wenn Farben erst später ins Spiel kommen, sind sie ideal, um ein neues visuelles Erscheinungsbild zu schaffen, ohne dass gleich eine komplette Umgestaltung vorgenommen werden muss. Ein neuer Anstrich für die Wände, eine andere Farbe für die Sitzpolster, und schon entsteht eine völlig neue Welt. Farben können unschöne Bereiche oder Bausubstanz kaschieren. Dunkle Farben lassen Elemente eher verschwinden, während weisse oder helle Farben sie betonen.

Beim Betreten eines Raumes fallen zuerst die hellen Flächen und Elemente ins Auge – man orientiert sich am Hellen. Weiss gilt leider immer noch als sicherer Hafen und wird überall dort eingesetzt, wo keine bewusste Farbentscheidung getroffen wurde. So kann es passieren, dass ungewollt Dinge hervorgehoben werden, die nicht im Mittelpunkt stehen sollen. Weiss ist dominant, nicht neutral. Dunkle Farben geben Tiefe, schaffen Ordnung und rücken in den Hintergrund.

Farbe ist nicht gleich bunt
Bunte Farbtöne zeichnen sich durch eine hohe Farbsättigung aus. Farben können aber auch durch ein Zusammenspiel feiner Nuancen wirken, die auf den ersten Blick nicht sofort auffallen – ihre Wirkung aber selten verfehlen. Die Zwischentöne werden oft vernachlässigt. Dabei bieten sanfte Töne viele Möglichkeiten, Architektur oder Innenarchitektur im Zusammenspiel mit Proportionen, Oberflächen und Lichtinszenierungen zu verstärken. Diese sogenannten leisen Töne lassen sich sehr gut mit Akzentfarben kontrastieren.

Ein fein abgetönter Hintergrund lässt beispielsweise farbige Kunstbilder deutlich intensiver und strahlender wirken als weisse Wände. Viele Galerien oder Museen bevorzugen daher graue oder sogar dunkle Wände gegenüber weissen.

Mit sanften Tönen gibt es viele Möglichkeiten, die Architektur oder Innenarchitektur im Zusammenspiel mit Proportionen, Oberflächen und Lichtinszenierungen zu verstärken.

Das Farbsystem NCS (Natural Color System) hat im vergangenen Jahr 100 neue Farbtöne mit geringem Buntanteil herausgebracht, die aktuell sehr gefragt sind. Farben oder Nuancen eignen sich auch hervorragend, um Zonen und Einheiten zu schaffen. Werden einzelne Wände mit Farbe verbunden, entsteht Grosszügigkeit. Will man in einem grossen lichtdurchfluteten Raum Klarheit schaffen und Unsicherheiten vermeiden, setzt man Kontraste.

Dazu eignen sich verschiedene Kontraste wie hell/dunkel, kalt/warm, Farb- oder Qualitätskontraste (Sättigungsgrad). Kontraste schaffen Orientierung und Ordnung. Natürlich ist das Farbempfinden beziehungsweise der Farbgeschmack von Mensch zu Mensch verschieden. Die Farbwirkung hängt jedoch immer von den Lichtverhältnissen, dem Material und dem Betrachter ab.

Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse über die Farbwahrnehmung, die uns bei der Farbauswahl helfen können. Sie stimmen aber nicht immer mit der gängigen Farbpsychologie überein. Einige Wohntrends favorisieren zum Beispiel Blau im Schlafzimmer, weil es beruhigend wirken soll. Andere wissenschaftliche Berichte warnen jedoch vor Blau in Ruheräumen, da es signalisiert, dass es Tag ist und uns wachhalten kann. Farbe allein ist nicht alles.

In der Innenarchitektur ist es vielmehr das Zusammenspiel verschiedener Komponenten – Farbe, Form und Material –, die sich zu einem gewünschten Gesamtbild oder einer bestimmten Atmosphäre ergänzen. So lässt sich zum Beispiel viel warmes Holz wunderbar mit kühleren Farbtönen kombinieren, wodurch eindrucksvolle Kontraste entstehen. Farbtöne sind das beste Mittel, um vorhandene Materialien oder Elemente zu unterstützen, zu beruhigen oder zu kontrastieren.

Farb- und Lichtplanung: Der Weg zur optimalen Raumwirkung
Das beste Farbkonzept allein reicht jedoch nicht aus, um eine perfekte Atmosphäre zu schaffen, wenn das Lichtkonzept nicht stimmt. Dieses sollte unbedingt mit einem Fachplaner auf die bestehenden Farben abgestimmt werden. Vorsicht ist beispielsweise bei gelben Flächen geboten. Wenn Gelb verwendet wird, dann unbedingt in Räumen mit viel Licht und Sonne. Da der Gelbanteil im Licht am geringsten ist, wirken gelbe Wände im Schatten oft grau, dumpf und sogar schmutzig.

Generell gilt: Helle und grelle Farben gehören ins Licht, dunkle Töne in den Schatten. Der CRI (Color Rendering Index) ist ein Qualitätsmerkmal für künstliches Licht im Vergleich zu natürlichem Licht. Eine Lichtquelle, die alle Spektralfarben wie das Sonnenlicht enthält, sorgt für eine natürliche und optimale Farbwiedergabe. Achten Sie beim nächsten Lampenkauf auf den CRI-Wert. Ein Wert über 90, idealerweise 95, ist optimal.

Farben steuern das Essverhalten
Ähnlich wie bei der Akustik können unterschiedliche Farbwirkungen, die unser Unterbewusstsein beeinflussen, auch Auswirkungen auf unser Essverhalten haben. So kann etwa die Farbe des Geschirrs appetitanregend oder appetithemmend wirken. Warme, dezente Farben sollen den Appetit fördern, während kühle, blaue Töne hemmend wirken und uns langsamer und weniger essen lassen.

Auch ein grosser Kontrast zwischen der Farbe des Geschirrs und des Essens kann das Essverhalten beeinflussen. Wir essen tendenziell weniger, wenn das Gericht interessanter und farbiger wirkt, also grosse Kontraste aufweist. Das ist aber kein Grund, sich den Appetit verderben zu lassen: Denn Farben sorgen für Leben und Vielfalt.

Dieser Fachartikel ist in Zusammenarbeit mit Dobas entstanden.

Isabelle DʼAngelo, Dipl. Innenarchitektin HF und Expertin für Farbdesign bei der Dobas AG