Frau Pereira, Sie waren Direktorin von 4- und 5-Sterne-Häusern und sind jetzt Geschäftsleitungsmitglied einer Hotelgruppe. Hatten Sie eine solche Karriere im Visier, als Sie vor über 30 Jahren als junge Frau in die Branche einstiegen?
Überhaupt nicht. Ich kam aus Österreich, hatte eine kaufmännische Ausbildung und wollte unbedingt in der Schweiz leben und arbeiten. Da damals für Ausländer noch das Saisonnierstatut galt, kamen fast nur Jobs in der Gastronomie infrage. Also boxte ich mich fünf Jahre als Serviceangestellte durch, um dann eine Arbeitsbewilligung zu bekommen, die mir ein breites Jobspektrum ermöglichte. Eine Kollegin, die schwanger wurde, bot mir dann an, mich als ihre Nachfolgerin als Cheffe de Service im Mövenpick Hotel Zürich Airport zu empfehlen. Zunächst schreckte ich zurück. Um vier Uhr in der Früh anfangen, das wollte ich eigentlich nie. Als breit interessierter Mensch reizte es mich dann doch, und ich bekam den Job.
Gab es später ein Schlüsselerlebnis, ab dem Sie Ihren Weg gezielt weitergingen?
Ja. Bei Mövenpick durfte ich im internen Management-Trainee-Programm mitmachen und während zweier Jahre alle Abteilungen durchlaufen. Einige Kaderkollegen stichelten freilich wiederholt, als Quereinsteigerin ohne Hotelfachschule erhielte ich nie einen guten Posten. Das nervte mich. Ich ging zum Hoteldirektor und fragte ihn ohne Umschweife, ob ich Aufstiegschancen hätte oder tatsächlich die Fachausbildung nachholen müsse. Er meinte grinsend: «Theoretiker haben wir genug. Entweder kann man es oder nicht. Und Sie können es.» Als mir später die Rooms-Division-Managerin auch noch den Job als Front-Office-Managerin anbot, wusste ich definitiv, dass ich es schaffen würde, und zwar bis zur Hoteldirektorin. Ich absolvierte berufsbegleitend ein Betriebsökonomie-Studium. Das bedeutete, während zweier Jahre meine Ferien dem Blockunterricht zu opfern.
Eine Quereinsteigerin und passionierte Netzwerkerin mit Managerqualitäten
Bettina Pereira (53) ist Head of Sales & Marketing und Geschäftsleitungsmitglied bei der Welcome-Hotels-Gruppe mit Sitz in Kloten ZH. Seit 2011 präsidiert sie das Netzwerk «Frauen im Tourismus», das für den kommenden Herbst eine grosse, offene Netzwerkveranstaltung im Volkshaus Zürich plant. Die gebürtige Österreicherin ist 1988 in die Schweiz gezogen und hat sich als Quereinsteigerin in der Hotellerie nach oben gearbeitet. Bevor sie bei Welcome Hotels einstieg, führte sie als General Manager das Hotel NH Zürich Airport, anschliessend die Leonardo-Hotels Rigihof und Alden Splügenschloss in Zürich.
Heute sind Sie ganz oben und unterstützen selber Frauen dabei, berufliche Chancen zu bekommen und wahrzunehmen. Warum?
Wie ich damals bei Mövenpick brauchen weibliche Nachwuchskräfte nach wie vor Mentorinnen oder Mentoren, die sie in die richtige Richtung lenken. Gerade in der Tourismusbranche, die von den Frauen lebt. Sie machen die Mehrheit der Beschäftigten aus. Trotz Top-Ausbildung hat sich jedoch nur für wenige von ihnen die Türe ins oberste Management geöffnet.
In welcher Sparte der Tourismusbranche haben es Frauen diesbezüglich am schwierigsten?
Der Weg nach oben ist überall eine grosse Herausforderung; und Frauen müssen dabei immer noch etwas mehr leisten als Männer. Wichtig ist aber, dass sie formulieren, was und wohin sie wollen und was sie bereit sind, dafür zu investieren. Wer orientierungslos auf der Karriereleiter herumklettert, wird schnell herumgeschubst. Wir Frauen müssen wirklich endlich lernen, zu sagen, was wir wollen. Erwartungen werden nur erfüllt, wenn diese auch ausgesprochen werden.
Wenn es in einem Unternehmen um die Chancengleichheit trotzdem schlecht steht, was dann?
Es liegt in der Entscheidung jeder Arbeitnehmerin, ob sie dort arbeiten respektive weiterarbeiten möchte oder nicht. Ich selber würde es nie tun, Chancengleichheit ist für mich in der heutigen Zeit Grundvoraussetzung. Und wenn ich es tun würde, würde ich zumindest nicht lockerlassen und den Mut haben, innerhalb des Betriebs meine Forderungen zu formulieren und Veränderungen anzustreben.
Weibliche Nachwuchskräfte brauchen Mentorinnen und Mentoren, die sie in die richtige Richtung lenken.
Mit welchen Argumenten würden Sie anderen Unternehmen der Tourismusbranche schmackhaft machen, qualifizierte und ehrgeizige Frauen gezielter zu fördern?
Ich würde ihnen bewusst machen, dass es sich lohnt. Denn es ist immer hilfreich, eine weibliche Sicht auf die Dinge zu erhalten. Zudem qualifizieren sich Frauen nebst einer sehr guten Ausbildung durch Leadership-Qualitäten und Empathie für leitende Funktionen.
Was ist mit dem Gegenargument, Familie und Kaderjob seien halt schwer unter einen Hut zu bringen?
Auch in unserer Branche ist eine Karriere für Mütter durchaus möglich. Es braucht nur etwas Flexibilität und Innovation zu Themen wie Kinderwunsch und Kinderbetreuung sowie Arbeitszeitmodellen. Diesbezüglich werden sich die Arbeitgebenden künftig aber ohnehin umorientieren müssen. Denn die Tourismusbranche leidet unter Fachkräftemangel, der durch Corona noch verschärft wurde. Viele Mitarbeitende sind abgesprungen, wurden gekündigt und haben sich umorientiert. Um sie zurückzuholen oder neue zu finden, müssen wir ihnen etwas bieten. Nicht überall, aber in vielen Bereichen sind Jobsharing, Teilzeitpensen oder Homeoffice dank Digitalisierung möglich. Gerade was Letzteres im Erwerbsleben bedeutet, hat man in den zwei Pandemiejahren ja gesehen.
[IMG 2]Bei Welcome Hotels sind Frauen selbst im obersten Kader in der Mehrzahl. Welche Instrumente setzen Sie in Ihrem Betrieb ein, um Frauen zu fördern?
Unser CEO Marcel Wohlgemuth war schon immer sehr offen gegenüber Frauenförderung. Nicht zuletzt, weil er schätzt, dass Frauen in der Regel Macherinnen sind. Wenn etwas gemacht werden muss, krempeln sie die Ärmel hoch und erledigen es, egal, was sonst noch los ist. Bei uns sind die Hierarchien nicht so steil und die Entscheidungswege relativ kurz. Also muss es zackig gehen.
Setzen Sie auch gezielte Förderinstrumente ein?
Nein, aber wir pflegen eine Kultur, die Frauen entspricht. Ich glaube, wenn sie Chancen bekommen, neue Herausforderungen zu meistern und dank offener Kommunikation auch selber Ideen einzubringen, fühlen sie sich am Arbeitsplatz wohl und bleiben auch gerne. Dann ist – anders als bei Männern – der Lohn auch nicht unbedingt das vordergründige Kriterium, weshalb man sich umorientiert. Im Verein «Frauen im Tourismus», den ich präsidiere, bieten wir hingegen spezifische Workshops an und erarbeiten derzeit auch ein Mentoring-Programm für unsere Mitglieder.
Mit 95 Mitgliedern ist dieses Netzwerk klein – angesichts der rund 140 000 Frauen, die in der Branche tätig sind. Netzwerken Frauen zu wenig?
Wir sehen, dass sich vor allem junge Berufsfrauen fürs Netzwerken noch wenig interessieren. Da versuchen wir jetzt anzusetzen. Denn sich einem Netzwerk anzuschliessen, sich auszutauschen und so private und geschäftliche Synergien zu nutzen, ist wirklich die beste Entscheidung, die jede Frau für sich treffen kann. Um sich ein gutes Netzwerk aufzubauen, muss man aber auch sonst aktiver werden.
Das heisst?
Männer gehen an die Bar, trinken ein Bier und reden miteinander. Frauen möchten das lieber sehr viel offizieller tun, damit es keine komische Note bekommt und Aussenstehende sich vielleicht fragen, was die denn da so zu bequatschen haben. Viele Kolleginnen in meinem Umfeld sagen mir auch, sie trauten sich einfach nicht, jemanden anzusprechen. Dabei arbeiten sie in der Hotellerie und sind den Kontakt mit fremden Leuten gewohnt. Da muss man halt zwischendurch einfach aus seiner Komfortzone heraus. Wenn man sich dabei mal eine blaue Nase holt, steht man halt wieder auf, richtet seine Krone und geht weiter geradeaus.
Verschiedenen Verbänden der Branche täte zum Beispiel etwas mehr Frauenpower durchaus gut.
Bewegt man sich im Netzwerk einer bestimmten Branche nicht in einer Art Kokon?
Diese Gefahr besteht. Deshalb sollte man sich auch für andere Netzwerke interessieren oder sich sogar zwei oder mehreren anschliessen. Ich hatte zum Beispiel Kontakt mit IT-Frauen. Das war mega interessant, weil allein schon deren Sprache und Kommunikation ganz anders war, und wir uns trotzdem bei vielen Themen fanden. «Frauen im Tourismus» pflegt den Austausch mit anderen Frauennetzwerken ebenfalls, etwa mit Femdat und Alliance F. Wir sind auch bei Swonet dabei, der Plattform, welche die grössere Sichtbarkeit und verbindende Zusammenarbeit von inzwischen 160 Schweizer Frauenorganisationen vorantreibt und auch Männernetzwerke vorstellt.
Wäre für Sie der Austausch mit einem Männernetzwerk wünschenswert?
Ich ganz persönlich fände es cool. Bei einem Swonet-Anlass gab es einmal ein Gespräch mit der damaligen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Sie sagte, um ihre Anliegen in die politischen Kreise zu tragen und um für sie Mehrheiten zu finden, brauche sie zwingend auch Männer. Das habe ich nie vergessen. Auch wir brauchen Männer, die unsere Bedürfnisse unterstützen und für sie lobbyieren. Die Männer brauchen freilich auch uns. Verschiedenen Verbänden der Branche täte zum Beispiel etwas mehr Frauenpower durchaus gut. Denn ein gesunder Mix aus Frauen und Männern trägt dazu bei, dass eine grössere Offenheit in der Zusammenarbeit sowie für neue, spontane Projekte entsteht.[DOSSIER]
Wie stehen Sie zu Frauenquoten?
Ich bin heute ein Quotenfan, weil sich einfach zu wenig bewegt. Das Thema Lohndiskriminierung wurde angegangen, weil hier Überprüfungen gemacht werden. Aber bei der Frauenquote verhält sich die Gesellschaft relativ ruhig. Auch wir Frauen selbst! Wir sollten endlich bereit sein, uns zu nehmen, was uns laut Gesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann zusteht.
Viele möchten aber keine «Quotenfrau» sein.
Das ist falsch gedacht. Es geht doch darum, dass man einen Job will und auch die entsprechende Qualifikation dafür vorweisen kann. Ohne die würde man sowieso nicht in die Kränze kommen. Wenn man dann halt von einigen als Quotenfrau verunglimpft wird, ist das doch egal.