Am 1. Juli 2016 haben Sie die Stelle als Direktor von HotellerieSuisse angetreten. Was hat Sie vor acht Jahren an HotellerieSuisse gereizt? 
Für eine nationale Arbeitgeber- und Tourismus-Verbandsorganisation Wirkung entfalten zu können, die wirtschaftliche, gesellschaftliche sowie politische Relevanz in der Schweiz hat. HotellerieSuisse vereint mehr als 3000 KMU-Mitglieder, ist in der Verantwortung des zweitgrössten Landes-Gesamtarbeitsvertrags mit rund 240 000 unterstellten Mitarbeitenden, gestaltet als Stifterin strategisch die Weiterentwicklung der Bildungsinstitutionen Hotelfachschule Thun sowie Ecole hôtelière de Lausanne EHL Group mit insgesamt rund 5000 Lernenden und Studierenden mit. Diese unglaubliche Vielfalt hat mich damals sehr gereizt. 

Welches sind die grössten Erfolge in diesen acht Jahren? 
HotellerieSuisse wird heute in der nationalen Politik, der Bundesverwaltung, in Wirtschaft und Medien als moderne, differenziert agierende und transparente Verbandsorganisation wahrgenommen. HotellerieSuisse ist als Verband der innovativen und nachhaltigen Beherbergungsbetriebe der Schweiz erfolgreich positioniert. Wir konnten über das Projekt «Bildungslandschaft» unsere Bildungsinstitute unter ein gemeinsames Dach transferieren und damit erstmalig in der Schweiz wie weltweit einen Bildungsanbieter formieren, der von der beruflichen Grundbildung bis zum PHD alles aus einer Hand für den Hospitality-Ausbildungsmarkt anbietet. Zudem durfte ich als Vorstandsmitglied des Schweizer Tourismus-­Verbandes einen wesentlichen Beitrag zu dessen Reorganisation und Neupositionierung leisten, damit dieser als wichtiger Player einer nationalen Tourismusdachorganisation seine politische Rolle als Koordinator und starke Stimme des Gesamttourismus einnehmen kann. 

Welches war die schwierigste Entscheidung in Ihrer Amtszeit? 
Die Corona-Pandemie war eine gewaltige Herausforderung für unseren gesamten Wirtschaftssektor. Für viele unserer Mitglieder und deren Mitarbeitende stellte diese Phase eine existenzielle wirtschaftliche Bedrohung dar. Für uns Verantwortungsträger beim Verband gab es in dieser intensiven und hektischen Zeit einige äusserst diffizile Momente und Entscheidungen zu treffen. Im Nachhinein beurteilt denke ich, dass wir als Team hier einen super Job gemacht haben. 

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Was würden Sie rückblickend anders machen? 
Ich würde unsere Mitglieder noch mehr in die Verpflichtung nehmen. Wenn wir auch in Zukunft in genügender Anzahl gut ausgebildete Fachkräfte in unserer Branche haben wollen, braucht es noch mehr Einsatz in den Betrieben. Viele sind gut unterwegs, aber es hat noch Potenzial. 

Was hätten Sie noch ändern wollen im Betrieb, sind aber nicht mehr dazu gekommen? 
Die Verankerung der Nachhaltigkeit in der ökologischen, gesellschaftlichen und finanziellen Dimension ist in unserer Branche noch nicht dort, wo ich sie haben möchte. Wenn wir hierzu insgesamt im Tourismussektor nicht mehr Effort leisten, dann wird eines Tages die Politik über weitere Regulierungen den Takt angeben. Das müssen wir unbedingt verhindern. Seitens HotellerieSuisse haben wir grundlegende Projektideen in der Pipeline. So schaffen wir Verbindlichkeiten, um unsere Branche weiterzubringen. All das verbinden wir mit einem ökonomischen Anreizsystem, damit Betriebe, welche in die Nachhaltigkeit und in die Ausbildung investieren, auch finanziell profitieren. 

Welches sind die grössten Herausforderungen für die Branche in den kommenden Jahren? 
Für unsere KMU-Unternehmen werden in den kommenden Jahren die Gewinnung von Mitarbeitenden, die bessere Nutzung der digitalen Möglichkeiten, die Verankerung der Nachhaltigkeit oder etwa auch die Nachfolgeregelungen in den Betrieben zentrale Themen bleiben respektive sein. Darüber hinaus sorge ich mich jedoch um die geopolitische Lage und die Klimaveränderung. Beides wird über kurz oder lang die Business­modelle im gesamten Tourismussektor direkt beeinflussen. 

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Während der Pandemie haben Sie sich in der ganzen Schweiz mit Hotelièren und Hoteliers getroffen. Welche dieser Erfahrungen nehmen Sie mit? Welche Verbindungen haben diese besondere Zeit überdauert? 
Ich habe nicht nur während der Pandemie unsere Mitglieder besucht, man hat dies zu dem Zeitpunkt einfach am stärksten öffentlich wahrgenommen. Ich habe seit Beginn regelmässig sogenannte Tours d’HotellerieSuisse gemacht und in meinen rund acht Jahren als Direktor gegen 500 Betriebe in der ganzen Schweiz besucht. Als Repräsentant eines Branchenverbandes empfinde ich es als absolute Notwendigkeit, stets den Puls der Basis direkt aufzunehmen.  

Der berühmt-berüchtigte Röstigraben zwischen deutscher und französischer Schweiz reisst immer mal wieder auf. Existiert er auch auf Ebene Hotellerie? Wenn ja: Wie lässt er sich überwinden? 
Mich interessieren weniger allfällige Gräben, sondern wie man kontinuierlich unterschiedlichste Menschen, Regionen, Sprachkulturen, Vertreterinnen und Vertreter aus den Städten wie dem Land oder Bergregionen zusammenführen, verbinden und vernetzen kann. Unsere Branche ist wunderbar vielfältig. Deshalb können wir als Gesamtbranche auch den unterschiedlichsten Gästebedürfnissen spezifische Produkte anbieten. Von der Jugendherberge bis zum 5-Sterne-Haus. Darum sollten wir uns bloss nie gegeneinander ausspielen, sondern stets das Bewusstsein stärken, dass die Vielfalt unser Vorteil ist. Um diesen Geist zu fördern, haben wir Plattformen wie den Hospitality Summit geschaffen oder etwa unsere Erfahrungsaustauschgruppen. Zusammenhalt verbindet immer.

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Sie haben sich sehr für eine bessere Vertretung der Frauen in der Branche eingesetzt. Welche Bedeutung hat es für Sie, dass nun mit Nicole Brändle die erste Frau Direktorin des Verbandes wird? 
Den Boden mitgelegt zu haben, dass nach 140 Jahren Verbandsgeschichte erstmals mit Nicole eine Frau die Direktion übernimmt, freut mich sehr. Zudem haben in den vergangenen 140 Jahren erst fünf Frauen im strategischen Organ von HotellerieSuisse Einsitz genommen, mit allen durfte ich zusammenarbeiten. Heute haben wir in diesem Gremium fünf Männer und vier Frauen, auch eine Vertreterin explizit der jüngeren Generation unter 35 Jahren sowie einen Vertreter aus der internationalen Markenhotellerie. Die verschiedenen Blickwinkel, Erfahrungen und Kompetenzen stärken eine Organisation, damit sie noch innovativer und nachhaltiger agieren kann. 

Was bleibt noch zu tun? 
Für mich sind die Bemühungen innerhalb der Verbandsorgane diesbezüglich symbolische Signale und als Impulse zu verstehen. Die notwendige Arbeit geht viel weiter und ist tiefgründiger, in all unseren Betrieben und der gesamten Wirtschaft wie auch der Gesellschaft gibt es weiter grossen Handlungsbedarf. Hierzu haben wir vor einem Jahr auch den Verein Equality4Tourism mitbegründet. 
Ihr Einsatz für Diversity ist bekannt. Welches waren Ihre Erfahrungen im Hinblick auf Ihre Homosexualität, die Sie ja nie versteckt haben.  
Ich bin gut ausgebildet, habe ein gutes Einkommen und erachte mich als sehr unabhängige Person. Zudem gibt mir meine berufliche Rolle eine gewisse Reichweite, öffentlich wahrgenommen zu werden. Ich erachte eine solch privilegierte Lebenssituation auch als eine Verpflichtung, mich als Botschafter, Mutmacher und Vorbild, gerade auch als Wirtschaftsvertreter, erkennbar zu machen für Menschen, die nicht in dieser Situation sind. In diesem Kontext habe ich auch meine Tätigkeit im Vorstand von Pink Cross gesehen.  

Das brauchte Mut, nein? Gab es Gegenwind/Unterstützung, weil Sie sich für die Belange der LGBTQ+-Community einsetzen? 
Ich durfte in früheren Jahren von meinem damaligen Vorgesetzten beim Kaufmännischen Verband Schweiz lernen, dass man dies als Vorgesetzter und Verbandsdirektor kann. Vorbilder sind enorm wichtig. Nein, für mich brauchte das bei HotellerieSuisse keinen Mut. Dies ist für mich Normalität und ist richtig so. 

Inwiefern hat sich das Thema Diversity durch Ihre Arbeit im Verband entwickelt? 
Vor acht Jahren wurde ich damit konfrontiert, dass mir auf meinen Besuchen in den Hotels zahlreiche Mitglieder sagten, dass HotellerieSuisse nur die Interessen der grossen 5-Sterne-Häuser vertrete, obwohl fast die Hälfte sämtlicher Mitglieder 3-Sterne-Betriebe seien. Diesen Vorwurf habe ich zum Glück schon lange nicht mehr gehört. Dieses kleine Beispiel zeigt, dass die Vielfalt aus ganz vielen Aspekten besteht. Insbesondere eine Verbandsorganisation hat meiner Ansicht nach die Mission, all ihre Mitglieder – jedes ist individuell und unterschiedlich – zusammenzuführen, zu einem grösseren Ganzen zu bringen. Erfolg hat man als Einheit, nicht als Einzelner. Dies bedingt aber gegenseitigen Respekt, Anerkennung, Integrationsfähigkeit, Dialog auf Augenhöhe. Wir haben als Organisation versucht, so gut wie möglich danach zu leben. 

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Wie hat sich die Branche in den vergangenen Jahren entwickelt? Was muss sich noch ändern?  
Die Struktur des Beherbergungsmarktes verändert sich kontinuierlich. Als Verband versuchten wir, mit neuen zusätzlichen Hilfestellungen wie zum Beispiel dem Coachingangebot oder dem Lehrbetriebssupport unsere Mitglieder auf dem Weg des konstanten Wandels weiter zu unterstützen. Gleichzeitig erschien es mir auf politischer Ebene stets wichtig, dass man sich nicht für die Erhaltung von Strukturen stark macht, sondern wettbewerbsorientierte Anreize setzt zur Stärkung der Innovationskraft unseres Wirtschaftszweiges. 

Sie haben sich 2022 als Präsident zur Wahl gestellt? Was ging Ihnen durch den Kopf, nachdem sich die Delegierten für Martin von Moos entschieden hatten? 
Ich bin umgehend an der Delegiertenversammlung vors Mikrofon gestanden und habe Martin von Moos wie auch Marie Forestier und Urs Bircher herzlichst gratuliert. Den Wahlkampf habe ich bewusst gesucht, weil ich eine transparente Diskussion über Inhalte, Profile und Kompetenzen als hilfreich für den Verband erachtete. Ich bin stolz darauf, was wir vier Kandidaten mit der Kandidatur erreichten. Eine offene und breite Auseinandersetzung. Natürlich war ich dann an besagtem Nachmittag der Nicht-Wahl enttäuscht. Aber bereits am nächsten Morgen habe ich gedanklich den Hebel umgelegt, es gab kein Hadern und Schmollen. Ab der Wahl von Martin ging es für mich im Interesse von HotellerieSuise darum, den neuen Präsidenten in seiner Startphase so gut wie möglich zu unterstützen. Wir haben in den vergangenen Monaten ein intensives Einführungsprogramm mit Martin wie auch mit meiner Nachfolgerin Nicole Brändle bestritten. Die beiden werden ihre Rollen zusammen mit der gesamten HotellerieSuisse-Crew mit Bravour wahrnehmen. 

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Auf der Geschäftsstelle sah man Sie bereits in den folgenden Tagen wieder herumwirbeln wie eh und je. Wie verdaut man eine solche Niederlage? 
Ich habe Anfang Juni 2023 meinen Abgang als Direktor für das Jahr 2024 angekündigt, unabhängig vom Ausgang der Verbandspräsidiumswahl, da ich nach acht Jahren eine berufliche Weiterentwicklung anstrebe. Zudem habe ich bei meiner Kandidatur-Ankündigung auch gesagt, dass ich als Alternative eine 12-monatige Weltreise vor mir habe. Welch ein Privileg! Ich mache dies nun bereits zum dritten Mal in meinem Leben, dass ich nach einer intensiven beruflichen Phase auf eine längere Reise gehe, ganz bewusst ohne bereits ein mögliches nächstes berufliches Wirkungsfeld zu kennen. Dies gibt mir ein Gefühl von Freiheit, welche ich mir immer in meinem Leben versuche zu erhalten. Titel und Funktionen sind für mich ziemlich unwichtig, hingegen ist mir wichtig, Inspiration und Wirkung, ein grösseres Ganzes im gesellschaftlichen Kontext, zu erzielen. Irgendwo da draussen wird ein nächstes Feld auf mich warten. Dies zeigt sich dann schon genug früh. 

Was werden Sie vermissen?  
Definitiv die Menschen. Das Lachen mit meinen Crew-Mitgliedern auf der nationalen Geschäftsstelle. Der vertrauensvolle und wertschätzende Umgang mit den strategischen Verantwortlichen von HotellerieSuisse. Inspirierende Gespräche mit Hotelièren und Hoteliers. Das Weiter-lernen-Dürfen von Menschen in bisherigen Wirkungsfeldern wie zum Beispiel im Stiftungs- und Verwaltungsrat der Ecole hôtelière de Lausanne EHL Group. Das strategische Denken in die übernächste Geländekammer mit Verantwortlichen beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Das spielerische Feeling in politisch-taktischen Prozessen mit Kolleginnen und Kollegen des Vorstandes des Schweizer Tourismus-Verbandes oder etwa unter Verbandsdirektoren unterschiedlicher Branchen im Rahmen von Economiesuisse. 

Welche Learnings aus den acht Jahren bei HotellerieSuisse nehmen Sie mit auf Ihren weiteren Karriereweg? 
Dass in die Führungsarbeit noch mehr Zeit zu investieren und die kontinuierliche Arbeit mit den Unternehmenswerten noch höher zu gewichten ist. Und dass die smartere Zieldefinition bei der nächsten Gelegenheit noch besser gelingen möge. 

Charakterisieren Sie bitte HotellerieSuisse in fünf Adjektiven. 
Innovativ. Nachhaltig. Qualitätsbewusst. Strategisch. Herzlich. 

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Sie werden nach Ihrem Austritt bei HotellerieSuisse auf eine Weltreise gehen. Verraten Sie uns einige der Ziele? 
Mit Bus, Zug, Schiff und möglichst wenig mit dem Flugzeug werde ich einmal um den Globus reisen. Die Route sieht etwa 30 Länder vor. Doch ich plane als «Edel-Backpacker» die Reise eigentlich on the road täglich weiter, nach Lust und Laune, je nach Begebenheiten und Chancen vor Ort. Wer mich virtuell begleiten möchte, ist herzlich eingeladen, mir auf Facebook unter Claude.once.around.the.world zu folgen. 

Man hört, dass Sie höchst ungern fliegen – leiden Sie unter Flugangst? 
Ich habe keine Flugangst. Auch keine Flugscham. Ich möchte aber die Übergänge zwischen den Regionen, Kulturen, der Natur bewusster erleben, deshalb will ich möglichst auf dem Landweg unterwegs sein. 

Gibt es bereits erste Überlegungen, was Sie nach Ihrem Time-out unternehmen werden? 
Ich werde die vielen Eindrücke der Weltreise verdauen. Den Weitblick und die neuen Inspirationen in den Alltag übersetzen. Alles andere kommt dann von selber. Ich bin diesbezüglich sehr entspannt. 

Sie sind Mitglied der FDP Schweiz. Ist der politische Weg eine Option? 
Ich bin als 14-Jähriger den Jungfreisinnigen und der FDP beigetreten, weil ich ein politischer Mensch bin und mich für wirtschafts- wie gesellschaftspolitisch liberale Haltungen engagiere. Politische Ämter per se anzustreben, war und wird nie ein Kernmotiv sein. Ich überlege anders: Wie und wo kann ich zum jeweiligen Zeitpunkt am meisten gestalten und bewirken. So bin ich dann offen für entsprechende Rollen, wo auch immer diese sein mögen. 

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Beschreiben Sie sich in fünf Adjektiven. 
Offen. Zugänglich. Integrativ. Politisch. Strategisch. 

Ihre Selfies in den sozialen Medien sind legendär. Was war das letzte Foto, das Sie geschossen haben? 
Die einen hat es gefreut, die anderen fühlten sich belästigt. Letztere haben mich hoffentlich einfach entliked. Das letzte und damit aktuellste Selfie mache ich nun beim Interview. 

Kommunikation ist sicher eine Ihrer Stärken. Welches sind die gröbsten Fehler, die wir Menschen in diesem Bereich machen? 
Ich weiss nun wirklich nicht, ob dies eine meiner Stärken ist. Selbst versuche ich in meiner Kommunikation möglichst authentisch zu sein und mich dabei auch nicht lähmen oder blockieren zu lassen von der eigenen sprachlichen oder geistigen Begrenztheit. Oftmals finde ich es aber wichtiger, zuerst einfach mal gut zuzuhören, dann erkennt man relativ einfach, welche Botschaften erforderlich sind.

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Sie haben eine Zeitmaschine: In welche Epoche würden Sie reisen? 
In die Hochblüte der alten Griechen. Um deren Philosophen, welche uns bis heute beeinflussen, direkt erleben zu können. 

Was lässt Sie jeden Morgen aufstehen? 
Gemeinsam mit Menschen einen Beitrag leisten, um das grössere Ganze zu verbessern.