Der alpine Tourismus brummt. Bergbahnen weisen Spitzenfrequenzen aus, das Gewerbe vermag die Aufträge kaum abzuarbeiten. Auch die Beherberger schreiben gute Zahlen. Manche Restaurants belegen ihre Tische mehrfach. Alles wunderbar?
Leider nein. In strukturschwachen Regionen sind Gastro- und Beherbergungsbetriebe oft systemrelevant. Sie stellen einen sozialen Mittelpunkt dar und behalten das Leben in der Dorfgemeinschaft. Wenn sie fehlen, wandern Einheimische ab und Gäste bleiben aus. Die Orte verkommen zu einer schönen, seelenlosen Kulisse.
Diese Entwicklung entspricht einem natürlichen Strukturwandel, aber der in Gastronomie und Beherbergung grassierende Fachkräftemangel verschärft das Problem. Bekanntlich sind dessen Ursachen vielfältig, der Mangel an adäquaten Mitarbeiterunterkünften heizt die Situation jedoch an. Es gibt zu wenig bezahlbaren und qualitativ guten Wohnraum. Allenthalben ist Lamento zu hören. Richtig zuständig fühlt sich aber niemand. Gemeindebehörden definieren ihren Verantwortungsbereich meist sehr eng.
Die Tourismusorganisation soll den Bau von Mitarbeiterunterkünften betreuen.
Örtliche Gewerbe- und Hoteliervereine haben Mühe, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden: Die Ausgangslagen sind zu verschieden, oder es dominieren Konkurrenzgedanken. Und einzelbetriebliche Massnahmen sind schwierig. Die Schaffung von Unterkünften überfordert den einzelnen Betrieb meist auch finanziell.
Spannendste Anlässe, bestens präparierte Wander- und Bikerouten, schön inszenierte und digital vermittelte Landschaften nützen wenig, wenn das touristische Rückgrat respektive der zu dessen Funktionieren notwendige Rahmen wegzufallen droht. Neue Rollen sind gefragt. Die Destinationsorganisation als primäre Marketingorganisation ist ein Auslaufmodell. Während meiner Zeit als Destinationsdirektor habe ich versucht, die DMO von der reinen Marketing- hin zur Tourismusentwicklungsorganisation zu verändern. Diesen Ansatz gilt es weiterzudenken.
Konkret hiesse dies: Die Tourismusorganisation soll Planung und Bau von Mitarbeiterunterkünften betreuen. Operativ umgesetzt mit fachkundigen Partnern. Die Gemeinde bleibt selbstverständlich wichtig, konzentriert sich aber auf ihre planerischen, aufsichtsrechtlichen und infrastrukturellen Aufgaben. Einmal geplant und gebaut, könnte je nach Situation der Betrieb neuer Unterkünfte ebenfalls durch die DMO verantwortet werden. Letztlich wäre die Organisation nach den jeweiligen Bedürfnissen aufzustellen. So liesse sich die «Entwicklungsabteilung» juristisch auch als zugeordnete eigene Unternehmung führen. Die Verantwortung für eigene Gastrobetriebe wäre ebenfalls denkbar; selbstverständlich ohne Marktverzerrung.
Zur Finanzierung wäre ein Kurtaxen-gespeistes «Innovations-Prozent» einzurichten. Für touristische Infrastrukturen – und dazu zählen Mitarbeiterunterkünfte – sehen die Reglemente solche Formen der Finanzierung vor. Weiter kämen ordentliche Steuermittel oder Beiträge des Hoteliervereins infrage. Die DMO steht im Idealfall breit abgestützt inklusive «Zweitheimische» neutral und legitimiert über den Partikularinteressen einzelner Betriebe und Branchen. Ich bin gespannt auf Umsetzungsprojekte.
Urs Pfenninger war bis Oktober 2021 Direktor Tourismus Adelboden-Lenk-Kandersteg.